„Von neun bis fünf wird gearbeitet, erst danach fängt das Leben an. In diesem System stimmt was nicht“, findet die Schauspielerin und soziale Aktivistin Katharina Stemberger. Sie kann sich für sich nicht vorstellen, einer Arbeit nachzugehen, die ihr so gar keine Freude macht. Für Berufsgruppen wie KindergärtnerInnen und PflegerInnen wünscht sich Stemberger eine höhere Entlohnung. Manager ohne reale Verantwortung verdienen wiederum zu viel.
Katharina Stemberger ist Schauspielerin, Filmemacherin und Coach. Daneben engagiert sie sich in verschiedenen sozialen Projekten. So auch als Vorstandsvorsitzende des Integrationshauses, sie ist Mitbegründerin von der Initiative „Courage.jetzt“. Sie lebt mit ihrem Mann und einer Tochter in Wien. Im Rahmen unseres Themenschwerpunktes “Arbeitszeitverkürzung” haben wir mit Katharina Stemberger über Lohnarbeit, ein gesundes Arbeitspensum und gerechte Entlohnung gesprochen.
Katharina Stemberger, arbeiten Sie zu viel?
Ich ertappe mich bei Gesprächen mit engsten Freunden: „Die nächste Woche wird noch dicht, aber dann wird’s schön ruhig und dann hamma Zeit für einen Kaffee.“ Und irgendwie stimmt das einfach nicht. Ich habe so viele verschiedene Projekte, zum Beispiel das Filmfestival “Netzhaut” in Wiener Neustadt und das Theaterfestival „Hin&Weg“ in Litschau.
Also arbeite ich zu viel? Ja. Aber ich tu mir schwer zu unterscheiden, wo mein Privatleben aufhört und wo meine Arbeit anfängt, weil ganz viel von dem, was ich tue, so viel mit mir zu tun hat.
Wie viel sollte man arbeiten im Leben?
Definiere „Arbeit“.
Die meisten Menschen machen Lohnarbeit, weil sie Geld zum Leben brauchen.
Ich muss auch arbeiten, ich hab weder gut geerbt noch hab ich eine Stiftung im Rücken, und für die Begabten-Stipendien bin ich schon zu alt. Ich schaue mir die Angebote immer sehr genau an und sollte manchmal zu Sachen ja sagen, zu denen ich aber nein sage. Es muss einfach stimmen, aber gleichzeitig bleibt der wirtschaftliche Druck: Miete, Essen, Kind, Versicherung usw. Das ist einfach so. Das ist gleichbleibend schwer in Balance zu halten.
Für viele Menschen ist das ihr Brotberuf.
Man macht was von neun bis fünf und mein eigentliches Leben fängt erst danach an? Da stimmt was nicht. In diesem System stimmt was nicht.
Ich glaube, dass es eine ganz wichtige Frage gibt, die man Menschen stellen muss, und zwar dann, wenn sie 15, 16 sind: „Was freut dich? Was macht dir den größten Spaß?“ Und dann schau, dass du davon irgendwie leben kannst. Ist das naiv? Gäbe es dann keine Krankenschwestern?
Krankenschwestern vielleicht schon, aber vielleicht weniger Abwasser-Techniker. Apropos: Was sind die unterbewertetsten Berufe?
Ich wohne seit 23 Jahren im fünften Bezirk und da gibt es zwei Männer von der MA 48, mit denen ich fast befreundet bin. Der eine kümmert sich immer um unsere Straße, der andere kümmert sich um unsere Mistkübel. Ich rede viel mit ihnen, wenn Zeit ist. Mit dem einen über mein Festival in Litschau, mit dem anderen habe ich mich oft über meine Tochter ausgetauscht, als sie schwer pubertierend und echt schwierig war.
Sie haben mir von ihren Berufen erzählt und ich hatte den Eindruck, die sind richtig stolz, dass sie tun, was sie tun. Gemeinhin könnte man ja annehmen, dass das kein Job ist, den man gerne macht. Aber bei denen hat man das Gefühl, die machen das aus Überzeugung und mit einem großen persönlichen Stolz.
Was mich besonders berührt hat: Am Montag, den 2. November, war das Attentat in Wien. Am 3. November, wie jeden Dienstag, scheppert es um 6.30 bei mir im Hof und es kommt die MA 48 und holt die Mistkübel. Wir alle haben den gleichen Horror erlebt und alle sind mit ihren Familien zu Hause gesessen und sind so wahnsinnig erschrocken. Es war unklar, ob da nicht noch ein paar Wahnsinnige unterwegs sind. Und die stehen in der Früh auf und gehen und holen unsere Mistkübel! Das Gleiche gilt für die Krankenschwestern und die Leute in den Supermärkten: Alle sind sie in der Früh aufgestanden und mussten durch diese erschütterte Stadt gehen, um ihren Diensten nachzugehen.
Aber zurück zu deiner Frage nach den unterbewerteten Berufen. Da gibt es vor allem die im Gesundheits- und Pflegebereich. Ich habe nie verstanden, weshalb Kindergärtnerinnen und Kindergärtner so wahnsinnig schlecht verdienen. Das ist ja verrückt. Wir geben ihnen das Wertvollste, das wir haben, in die Hände! Ich verstehe nicht, warum sie so miserabel bezahlt werden.
Gegenfrage: Welche Berufe sind klar überbewertet?
Manche Managerjobs. Der Gap zwischen dem Postler, der die Pakete austrägt, und dem Vorstandsvorsitzenden der Post war bis vor 15 Jahren ein vertretbares Vielfaches. Das ist heute vollkommen außer Relation. Es heißt dann immer, es ist wegen der Verantwortung. Hat eine Kindergärtnerin keine Verantwortung? Dass Ärzte oder Chirurgen hoch bezahlt werden, verstehe ich ja. Die operieren tatsächlich am offenen Herzen, da geht es um Menschenleben.
Aber die Boni dieser Riesenkonzerne für Menschen, die eingestellt werden, um Einsparungen zu machen, also um Leute rauszuwerfen? Da gibt es viel Dinge, die in meinen Augen nicht stimmen. Vor allem, wenn man auf das große Ganze schaut.
Ich habe nicht Wirtschaft studiert, aber ich glaube, mit freiem Auge erkennen zu können, dass die Verhältnismäßigkeiten nicht mehr stimmen. Das hat nichts mehr mit Leistung, Verantwortung, oder Ausbildung zu tun. Es hat mit was ganz Anderem zu tun, nämlich mit dem, was uns alle kaputt macht, alle Gemeinschaften, einfach alle: Das ist die Gier.
Sie haben Cello studiert, sind dann aber Schauspielerin geworden. Was wären Sie geworden, wenn es nicht geklappt hätte mit der Kunst?
Ich hatte immer wieder Momente in meiner Karriere, in denen ich mir gedacht hab: „ Das ist mir alles zu unsicher, zu persönlich aufreibend, schlecht für Mann und Kind …“ Aber mir ist nichts Anderes eingefallen.
Mein Beruf hat ganz viel damit zu tun, dass ich herausfinde: Warum tickt eine Figur, wie sie tickt? Und wie kann ich das so authentisch wie möglich erzählen? So, dass niemand glaubt, dass ich es spiele, sondern, dass ich es bin. Authentizität in der Darstellung aber auch in der Kommunikation ist etwas, was mich immer vorangetrieben hat. Und das in der Kombination mit einer schrecklichen Neugierde auf das „Menschsein“ und die Menschen.
Das verbindet auch alle meine Berufsfelder: Die Schauspielerei, die Filmfirma, die Professur an der Musik- und Kunst-Uni, das Auftritts- und Präsentationstraining. Ich habe besondere Freude daran, mit Leuten zu arbeiten, die eben keine Schauspieler sind. Ich unterstütze Menschen bei öffentlichen Auftritten und jeder Art der Präsentation. Authentisch, sicher und klar.
Das heißt, auch „normale“ Menschen dürfen Sie anrufen für ein Training für ein Bewerbungsgespräch?
Unbedingt!
Katharina Stemberger spricht im Interview neben Arbeit auch über ihr Engagement. Aus Platzgründen finden Sie den ersten Teil hier.