Lärm im Meer? Schwer vorstellbar, aber es gibt davon mehr, als wir ahnen. Und Schall breitet sich im Wasser sogar fünfmal schneller aus als in Luft. Nun spielen Schall und akustische Wahrnehmung für sehr viele Meerestiere aber eine zentrale Rolle. Sie kommunizieren, suchen Beute, vermeiden Feinde und orientieren sich akustisch.
Dem kommt nun der menschengemachte Lärm in die Quere, der in den letzten Jahrzehnten enorm angewachsen ist. Da ist zum einen der Schiffslärm, der die Ozeane mit einem beständigen Brummen erfüllt und zum anderen der impulsive, explosive Lärm, wie er seitens der Militärs bei der Suche nach U-Booten eingesetzt und erzeugt wird. Die dritte große Lärmquelle stammt von den Schallkanonen, die bei der Ölsuche eingesetzt werden.
Alle 10 bis 12 Sekunden Schallexplosionen – Wochenlang
Explorationsschiffe der Ölindustrie ziehen Schallkanonen (sog. „Airguns“) hinter sich her, die simultan knallen und die Schallwellen durch die gesamte Wassersäule jagen und noch kilometerweit in den Meeresboden hinein. Detektoren messen das Echo, woraus man auf die Beschaffenheit des Meeresgrunds und auf mögliche Öl- und Gasvorkommen schließen kann. Dieser Explosionsschall, der in einer Meeresregion über Wochen und Monate hinweg alle 10 bis 12 Sekunden abgegeben wird, ist aus zwei Gründen besonders gefährlich: durch seine Plötzlichkeit und durch seine enorme Lautstärke (Schallenergie), die etwa 230 Dezibel und mehr erreicht.
25 Millionen mal lauter als ein Presslufthammer
230 Dezibel – was bedeutet das? Dazu müssen wir uns kurz in Erinnerung rufen, dass die Dezibel-Skala logarithmisch ist, d.h. 20 dB haben nicht die doppelte, sondern die 10-fache Schallenergie von 10 dB. Die Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs liegt bei etwa 130 dB, also vergleichsweise beim Einsatz eines Presslufthammers. Vereinfacht gleicht die Schallintensität Unterwasser 156 dB. Bei 230 dB wäre eine Schallkanone also vergleichsweise somit 25.000.000 (Millionen) mal lauter als ein Presslufthammer.
Gehörverlust, Stress, Angst, Orientierungsverlust
Es ist somit für uns kaum vorstellbar, welcher qualvollen Lärmbelastung Wale, Delfine und andere Meerestiere bei 230 dB ausgesetzt sind. Die Folgen sind vielfältig: Gehörverlust, andere physische Schäden, Stress und Angst, Übertönung der Kommunikation, Vertreibung aus wichtigen Lebensräumen, Verlust der Orientierung, bis hin zum Tod, etwa wenn Wale in Panik zu rasch auftauchen und Embolien erleiden.
Lärm im Meer tötet auch Krill, die Grundlage der maritimen Nahrungskette.
Wale, Delfine und Fische sind aber bei weitem nicht die einzigen betroffenen Tiergruppen. Eine jüngst von der Meeresschutzorganisation OceanCare in Auftrag gegebene Studie der Meeresforscherin Dr. Lindy Weilgart von der Dalhousie Universität ergab ein besorgniserregendes Bild. Untersuchungen zeigen bei Fische und Wirbellosen die Beeinträchtigung des Wachstums, der Reproduktionsfähigkeit, des Immunsystem, sogar der DNA, sowie physische Schäden darunter auch mit Todesfolge.
Betroffen ist eben auch der Krill, die Krebstiere als Teil des Planktons
Längst zeigen sich nicht mehr nur Umweltschützer besorgt, auch Fischereiverbände, insbesondere jene lokaler Fischergemeinden äußern Kritik und Sorge über den zunehmenden Lärm im Meer, kam es doch beim Einsatz von Schallkanonen zu einem dramatischen Rückgang von bis zu 70% des Fangs von Kabeljau.
Eine im Frühjahr 2017 veröffentlichte, australische Studie verschaffte der Besorgnis eine neue Dimension. Wissenschaftler zeigten, dass beim relativ kurzen Einsatz einer einzigen Schallkanone regelrechte Löcher in das Zooplankton-Vorkommen geschossen werden. 100% des nicht geschlechtsreifen Krills, sowie 95% von mindestens einem Drittel der Krillarten waren tot.
Das wirft die noch zu wenig untersuchte Frage auf, welche Auswirkungen der Lärm im Meer auf kommerzielle Fischbestände und damit auf die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen hat.
Vereinte Nationen horchen auf
Zwischen 18. und 22. Juni 2018 fand im UNO-Hauptquartier in New York eine einwöchige Konferenz statt, die sich ausschließlich dem Unterwasserlärm und seinen Auswirkungen widmete. Die Diskussionsbeiträge werden in einem Bericht der UN-Generalversammlung vorgelegt, die im Herbst 2018 über mögliche Konsequenzen beraten wird. Schwerpunkte der Diskussionen waren u.a. die Anerkennung von Unterwasserlärm als Meeresverschmutzung, eine umgehende Beauftragung einer globalen Untersuchung der sozioökonomischen Auswirkungen, sowie regulierende Maßnahmen, die zum Einsatz leiserer Technologien führt.
Die Problematik erhält auch Eingang in die Verhandlungen über ein neues UN-Abkommen zur Regulierung menschlicher Aktivitäten in internationalen Gewässern. Die Staaten haben durch die Meere Grenzen ihrer Hoheitsgewässer und Wirtschaftszonen gezogen, aber Schall kennt keine Grenzen. Das Problem muss daher auf der internationalen Ebene gelöst werden.
Auch das Mittelmeer ist Hotspot für die Ölsuche
Viel ist von der Abkehr vom Zeitalter der fossilen Brennstoffe die Rede. Tatsächlich aber wird die Suche nach den letzten Lagerstätten mit voller Kraft vorangetrieben. Einer der aktuellen Hotspots der Suche nach Öl und Gas ist das Mittelmeer. Und dabei wird, Deepwater Horizon hin oder her, auch vor Tiefseegebieten nicht Halt gemacht.
Die Grafik zeigt Gebiete in südosteuropäischen Gewässern, in denen die Ölindustrie in den kommenden Jahren mit Schallkanonen nach Öl suchen möchte. Diese sind u.a. der Lebensraum tieftauchender Arten, wie des Pottwals und des gefährdeten Cuvier-Schnabelwals und der vom Aussterben bedrohten Mönchsrobbe.
Erfolgreicher Widerstand auf den Balearen
Es formiert sich Widerstand der Zivilgesellschaft. So konnten etwa mit Unterstützung der Tourismuswirtschaft rund um die Balearen mehrere Anträge auf Ölsuche abgewehrt werden. Das Gebiet zwischen Balearen und spanischem Festland wurde nun zum Walschutzgebiet erklärt, in dem die Ölsuche untersagt bleiben soll. Auch der französische Umweltminister legte im Dezember 2017 ein Gesetz vor, das jegliche neue Lizenzen für Ölexplorationen in Frankreich und seinen Überseegebieten untersagt. All dies sind erste Anzeichen einer Kehrtwende in der Energiepolitik. Im Einklang mit dem Pariser Klimavertrag sind alle Staaten aufgerufen, diesem Beispiel zu folgen, um der Erhaltung mariner Vielfalt und der Vision vom Stillen Ozean näherzukommen.