Geschichte

Sommer 1989: Als ein Picknick den Eisernen Vorhang lüftete

Foto: Votava/Imagno/APA-Picturedesk

19. August 1989. Vor 30 Jahren flohen 640 DDR-Bürger über die österreichisch-ungarische Grenze. Sie waren Besucher des „Paneuropäischen Picknicks“. Die Grenzbeamten ließen sie passieren. Sie bekamen neue Pässe und die Chance auf ein neues Leben.

Denkmal erinnert an 19.08.1989

Die Gedenkstätte Paneuropäisches Picknick bei Sopron erinnert an die Ereignisse des 19.08.1989. Foto: Public Domain.

Heute erinnert nur mehr ein einfaches Denkmal auf ungarischem Boden an den Tag, an dem der Eiserne Vorhang, der am 19.08.1989 nicht nur Ungarn und Österreich, sondern West- von Osteuropa trennte, sich für kurze Zeit öffnete.

 

Die Befestigungsanlagen an der Grenze waren in diesem Sommer abgebaut worden. Budapest und Moskau waren sich einig, dass sie technisch überholt und eine Erneuerung schlicht zu teuer wären. Nachdem der Zaun bereits abgebaut war, lassen die österreichische und die ungarische Regierung ein Stück des Zaunes noch einmal aufbauen, um ihn am 27. Juni medienwirksam mit einem Bolzenschneider zu durchtrennen.

Eine Veranstaltung, die in ihrer Veranlagung eine ähnlich rein symbolische Wirkung haben hätte können, wird zum historischen Moment.

„Völkerverbindendes“ Picknick

Das Paneuropäische Picknick war eine „völkerverbindene“ Aktion der Paneuropa-Union. Die Verbindung machte sich eine Annäherung zwischen den ost- und westeuropäischen Grenzstaaten zur Aufgabe, in der Hoffnung auf ein friedliches Europa.

Das Picknick samt symbolischem Grenzübertritt sollte also eigentlich eine ungarisch-österreichische Verständigung betonen. Dabei kam alles anders als gedacht.

Eiserner Vorhang hebt sich während Paneuröpäischem Picknick

Der Eiserne Vorhang zog sich von Nord nach Süd durch Europa. Foto: Vincent de Groot / CC-BY-SA

„Je näher die Leute der Grenze kamen, desto schneller wurden sie.“

Vereinbart war, dass einige Teilnehmer den Grenzbalken überschreiten und auf der burgenländischen Seite auf Gleichgesinnte treffen sollten. Ein symbolischer Übertritt, zeitlich begrenzt. Doch die Anwesenden nutzten die Gunst der Stunde, drückten den Balken auf und strömten auf die andere Seite. Die Grenzbeamten reagierten nicht. Es gab keinen Schießbefehl, die 700 DDR-Bürger, Ungarn und Österreicher überragten die fünf Grenzler bei weitem. Es gab keinen klaren Befehl, was zu tun hätten, und so taten sie – nichts.

„Als ich an die Grenze kam, war das Tor, das symbolisch geöffnet werden sollte, schon auf, und alle um mich sprachen Deutsch. Davor hatte ich mich schon gewundert über die Menschenmenge. Je näher die Leute der Grenze kamen, desto schneller wurden sie. Und ich erinnere mich noch genau an all die Trabants am Straßenrand. 14 Jahre haben die Menschen in der DDR dafür gespart (…) Diesen Leuten war die Freiheit wichtiger als 14 Jahre Arbeit.“

Das erzählt Walburga Douglas Habsburg, die als Vizepräsidentin der Paneuropa-Union und Stellvertreterin ihres Vaters in Sopron anwesend war. Otto Habsburg, damals CSU-Europaabgeordneter, und sein ungarische Mitorganisator, der sozialistischer Minister und Reformer Imre Pozsgay, wollten die Reaktion Moskaus mit einer eingeschränkten Grenzöffnung testen.

Paneuropäisches Picknick 1989 als Chance für viele DDR-Bürger

Camping war eine beliebte Sommeraktivität in der DDR. Viele, die in diesem Sommer 1989 am Plattensee war, wechselten die Grenzseiten. Foto: Bundesarchiv / Thieme, Wolfgang / CC-BY-SA 3.0

Sie ließen Wurfzettel drucken und verbreiteten sie – auch unter DDR-Bürgern. Diese kamen – in Scharen. Der naheliegende Plattensee war ein beliebtes Urlaubsziel in der DDR. Ungarn war Teil des Warschauer Paktes, so konnten DDR-Bürger ungestört in das österreichische Nachbarland reisen. In diesem Sommer schienen es aber mehr zu sein als bisher.

Unterwegs in ein freieres Leben

In Budapest hielten sich schon länger einige Deutsche auf, die den offiziellen Weg über die österreichische Botschaft nehmen wollten. Wie auch die Badegäste erreichte sie alle die gleiche Botschaft:

„In Budapest und rund um den Plattensee luden Plakate für den nächsten Tag, den 19. August, zu einem „Paneuropäischen Picknick“ im nahen Sopron. „Jeder nimmt sich ein Stück des Eisernen Vorhangs mit!“, stand darauf,“ erinnert sich der damalige Auslands-Korrespondent Ludwig Greven in der Zeit.

Erich Honecker, Staatsoberhaupt der DDR, sagt gegenüber dem Daily Mirror, es handle sich nicht nur um Fluchthilfe, sondern um eine geplante Aktion der Monarchisten:

„Habsburg verteilte Flugblätter bis weit nach Polen hinein, auf denen die ostdeutschen Urlauber zu einem Picknick eingeladen wurden. Als sie dann zu dem Picknick kamen, gab man ihnen Geschenke, zu essen und Deutsche Mark, dann hat man sie überredet in den Westen zu kommen.“

Paneuropäisches Picknick als Vorbote des Mauersturzes 1989

Drei Monate nach dem Paneuropäischen Picknick fiel die Berliner Mauer. Foto: DoD photo, USA / SSGT F. Lee Corkran

Der ehemalige deutsche Kanzler und CDU-Vorsitzender Helmut Kohl sagte, am 19.08.1989. sei der erste Stein aus der Mauer geschlagen worden.

Angela Merkel, selbst ehemalige DDR-Bürgerin, betont vor allem den Wunsch der Menschen nach Freiheit. Beim Paneuropäischen Picknick sei das Tor zur Freiheit ein unumkehrbares Stück weit geöffnet worden. Ungarn habe dem Willen der Freiheit von Deutschen aus der damaligen DDR so etwas wie Flügel verliehen.

Jubiläum mit bitterem Beigeschmack

Nach 30 Jahren treffen sich nun Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Premiereminister Viktor Orban, um das Jubiläum gemeinsam zu begehen. Österreichs Staatsoberhaupt ist nicht anwesend.

Dass es ausgerechnet Viktor Orban ist, mit dem die deutsche Kanzlerin den Jahrestag der offenen Grenze feiert, scheint für viele ein Hohn. Denn schließlich ist es Orban, der an der ungarischen Südgrenze einen Zaun errichten ließ, als 2015 viele Geflüchtete über Ungarn und Österreich nach Deutschland und weiter in den Westen Europas kamen.

Die ungarische Politik dürfte tatsächlich ganz und gar nicht im Sinne des Paneuropäischen Picknicks sein. Der Gründer der Paneuropa-Union, Richard Coudenhove-Kalergi, sagte:

„Es gibt nur einen radikalen Weg, die europäischen Grenzfragen dauernd und gerecht zu lösen; dieser Weg heißt nicht Verschiebung, sondern Aufhebung der Grenzen.“

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