Gesundheit & Leben

Arbeiten nach der Stoppuhr, wenig Zeit für Klienten: Pflegekräfte sind am Limit

Pflegerinnen und Pflegern macht ihr Beruf zu schaffen. Ihre Arbeitstage sind zerstückelt und lang, das Gehalt zu niedrig. Oft können sie ihren Klienten nicht genügend Aufmerksamkeit und Nähe geben, obwohl sie gerne würden. Die Arbeitsbedingungen belasten alle: Pflegekräfte, Klienten und Angehörige.

Sie klingelt und ist abgehetzt. Ein kurzes Hallo, schnell Hände waschen und Handschuhe anziehen. Sie checkt die Medikamentenbox, desinfiziert den Oberschenkel der Klientin und setzt die Insulin-Spritze. Zehn Minuten nach der Ankunft piepst die Stoppuhr am Handy. Fünf Minuten noch. Die diplomierte Krankenpflegerin trägt ihre Arbeitszeit und die Tätigkeit penibel im Schnellhefter auf dem Küchentisch ein. Dann muss sie weiter. Gerne hätte sie geplaudert. Sie weiß, die Dame bekommt nicht so oft Besuch. Doch dafür bleibt keine Zeit. Der nächste Klient wartet ein paar Wohnhäuser weiter. Vielleicht hat die Heimhilfe, die in ein paar Stunden kommt, ein wenig mehr Zeit. Vielleicht auch nicht.

So sieht die Arbeitsroutine in der mobilen Pflege aus. Alles ist streng getaktet. Zeit für Nähe, Zuhören, Lachen bleibt oft keine. Das wäre zu teuer. Und selbst, wenn alle Pflegebedürftigen sich eine 1:1-Betreuung leisten könnten, gäbe es viel zu wenige Pflegekräfte, um die Nachfrage zu decken. Die Belastung der Pflegekräfte ist entsprechend hoch, die Gehälter aber niedrig. Im vergangenen Frühjahr streikten in 300 Betrieben die Beschäftigten im Pflege- und Sozialbereich gegen diese Arbeitsbedingungen. Ein Jahr später, hat die Taskforce Pflege, die im Auftrag des Gesundheitsministers gearbeitet hat, ihren Bericht veröffentlicht. Die enthaltenen Empfehlungen und Maßnahmen sind vage. 17 Ziele, über 60 „Maßnahmenpakete“.

Doch die Fragen „Wer zahlt?“ und „Wann wird umgesetzt?“ bleiben unbeantwortet. Damit bleiben die Probleme, mit denen Pflegerinnen und Pfleger täglich kämpfen, bestehen.

Arbeitsbedingungen: Zu lange Arbeitstage, zu wenig Personal

Egal, ob in Pflegeheimen, auf Krankenstationen oder in den mobilen Diensten: Pflegerinnen und Pfleger leiden unter zu langen Arbeitstagen. In Heimen und Krankenhäusern ist das Personal knapp, während der Corona-Pandemie kommt es erst recht zu Ausfällen. Irgendwer muss immer in Quarantäne – und eine Kollegin einspringen.

pflege arbeitsbedingungen

Im Frühjahr 2020 streikten die Beschäftigten der Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe für die 35-Stunden-Woche. Foto: Daniel Novotny/Flickr/CC BY-NC-SA 2.0.

In der mobilen Pflege sind die Brach-Stunden zwischen hektischen Stoßzeiten das Problem. Klienten wollen Verbandswechsel, Medikamente oder Essen zu bestimmten Zeiten. An Nachmittagen gibt es dann ein oder zwei Stunden ohne Termin, an denen man aber nicht nach Hause fahren kann. Kurz vor dem Abend muss man dann nochmal zu Klienten. Wer Kinder hat, entscheidet sich deshalb oft für einen Teilzeit-Vertrag.

Die Mehrstunden und fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Gründe, warum in der Pflege viele unzufrieden und überarbeitet sind. Fast jede dritte Befragte einer Gewerkschafts-Studie gibt an, stark belastet zu sein.

Seit langem fordern die Pflege-Beschäftigten daher eine 35-Stunden-Woche. Das würde die Arbeitsbelastung besser verteilen und auch den Teilzeit-Kräften ein höheres Einkommen verschaffen. Eva Scherz war Chefverhandlerin für den Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft und hat sich für Arbeitsverkürzung eingesetzt:

„Unsere Branche ist anders als andere Branchen in Österreich. 70 Prozent unserer Beschäftigten arbeiten Teilzeit. Außerdem sind über 70 Prozent Frauen. Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche kommt von den Beschäftigten in den Betrieben und von den Betriebsrätinnen und Betriebsräten. Wir glauben, dass es dringend notwendig ist, die KollegInnen zu entlasten, die Vollzeit arbeiten. Sie leisten emotionale Schwerstarbeit. Andererseits würde eine Arbeitszeitverkürzung für Teilzeitbeschäftigte eine kräftige Lohn- und Gehaltserhöhung von 8,6 Prozent bedeuten.“

Öffentliche Hand hält Gehälter niedrig

Der Pflegeberuf – ob diplomiert oder als Assistenz – ist ein krisensicherer Beruf, der mit viel Verantwortung verbunden ist. Immerhin hängt davon das Wohlergehen von fast 250.000 Menschen (Stand 2019) in mobiler und stationärer Pflege ab. Die Gehälter sind im Verhältnis dazu niedrig angesetzt.

Zwischen 27.000 und 29.000 Euro brutto verdient eine diplomierte Pflegekraft bei Berufseinstieg, nach zehn Jahren sind es im Schnitt 30.000 Euro. Im Assistenzbereich startet man mit 25.000 Euro brutto, nach zehn Jahren sind es etwa 27.000 Euro im Jahr. Ökonomin Katharina Mader ist überzeugt, dass sich die Leistung in diesem Beruf nicht am Gehaltszettel widerspiegelt, weil Pflege eine Frauenbranche ist:

„Die Pflege- und Sozialarbeit ist schlechter bewertet, wie fast alle Arbeiten, die aus der Haus- und Familienarbeit abgeleitet sind – und in der viele Frauen arbeiten. Aber eine Pflegerin, die mehrmals am Tag einen 80 Kilo schweren Mann hebt, hat eine ähnlich schwere Arbeit wie Männer in der Schwerindustrie. Frauen müssen sich nicht an den Hochofen stellen, um besser zu verdienen. Man muss einfach Frauenarbeit besser bewerten.“

Das Dilemma: Viele Träger-Organisationen, die Pflegekräfte anstellen, würden beispielsweise ihren mobilen Pflegerinnen und Pflegern gerne mehr bezahlen. Doch sie haben selbst nur das Budget zur Verfügung, das sie von den Bundesländern erhalten, um den Pflegebedarf zu decken. Die öffentliche Hand müsste also mehr Geld für die Pflege bereitstellen, damit die Gehälter steigen.

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Zerstückelte, protokollierte Arbeitsschritte

Pflege ist nicht nur eine schwere körperlich Arbeit. Es geht nicht nur darum, dass Klienten satt, gewaschen und mit Medikamenten versorgt sind. Zum Wohlfühlen braucht es auch Zwischenmenschliches: Plaudern, Zuhören, auch mal die Hand halten. Doch genau dafür bleibt vor allem bei den diplomierten KrankenpflegerInnen selten Zeit.

Die Klienten beziehen verschiedene Kombinationen aus Pflegeleistungen. Ein Beispiel aus der mobilen Pflege: Eine Klientin braucht Hilfe bei Körperpflege, Essen wärmen, Hausarbeit, Verbandswechsel, Spritzen, Medikamente vorbereiten. Die letzten drei Tätigkeiten darf nur eine diplomierte Pflegerin verrichten. Den Rest können Heimhilfen erledigen, die weniger verdienen.

Für verschiedene Leistungen kommt verschiedenes Personal, das nur für konkret bestellte Handgriffe bezahlt wird. Jeder Arbeitsschritt wird penibel in eine Pflegemappe eingetragen, dazu Blutwerte und Auffälligkeiten.

Die Pflegearbeit ist zerstückelt. Sie orientiert sich nicht an Kosten und nicht an den Bedürfnissen der Klienten. Den PflegerInnen nimmt das Handlungsspielraum.

Dass es auch anders ginge, zeigt der Pflegedienst Buurtzorg (dt. Nachbarschaftshilfe) aus den Niederlanden: Seit 2007 organisieren sich Pflegekräfte in autonomen Pflegeteams, erstellen gemeinsam Dienstpläne und binden Nachbarn in ihre Arbeit ein. Pflege wurde ganzheitlicher. Die Zufriedenheit von Klienten und Pflegekräften ist gestiegen.

Dankbarkeit zahlt keine Mieten

Pflegerinnen und Pfleger halten – ob Krise oder nicht – unsere Gesellschaft am Laufen. Sie geben Sicherheit, wo durch Krankheiten und Gebrechen Ängste und Beschwerden entstehen. Öffentliche Wertschätzung ist schön, besser wären jedoch höhere Gehälter und kürzere Arbeitstage. Während im ersten Corona-Jahr Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen völlig intransparent vergeben werden, blieb die Pflege unbeachtet. Man sieht weiter zu, wie die Beschäftigten ausbrennen. Irgendwann wird sich das rächen.

Pflege in Österreich

2019 gab es in Österreich fast 470.000 PflegegeldbezieherInnen.

Laut Schätzungen werden vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause betreut, mehrheitlich von Angehörigen. Nur bei 25 Prozent dieser Gepflegten unterstützen mobile Dienste zusätzlich.

92 Prozent der Pflegekräfte in mobilen Diensten sind Frauen. Im stationären Dienst sind es 84 Prozent.

Für den Bereich Pflege werden in Österreich 5,7 Milliarden ausgegeben. Fünf Milliarden davon bezahlt der Staat, der Rest muss privat getragen werden.

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