Teuerung

Demokratie der Reichen: 9 von 10 Geringverdiener finden, die Politik lässt sie im Stich

Das Vertrauen in die Politik schwindet enorm. 9 von 10 Menschen, die wenig verdienen, glauben nicht, dass die Politik sich für ihre Anliegen interessiert. Und tatsächlich setzt die Regierungen Maßnahmen um, die auf breite Ablehnung in der Bevölkerung stoßen – etwa die Senkung der Gewinnsteuer für Konzerne. Populäre Forderungen werden hingegen ignoriert.

Sechs von zehn Menschen in Österreich sind davon überzeugt, dass das politische System in Österreich nicht gut funktioniert. Gesunken ist das Vertrauen in den letzten beiden Jahren in allen Bevölkerungsgruppen, aber am niedrigsten ist es im ärmsten Drittel der Bevölkerung, wie der aktuelle Demokratie-Monitor von Sora zeigt. Wer in Österreich wenig verdient, prekär arbeitet oder längere Zeit arbeitslos ist, hat schon 2018 – also vor der Corona-Krise und den Korruptionsskandalen in der Regierung – wenig Vertrauen in die Politik gehabt.

Das Gefühl, dass die eigenen Interessen in der Politik keine Rolle spielen, ist hier “kaum von aktuellen Ereignissen abhängig”. Aktuelle politische Ereignisse beeinflussen eher die Sichtweisen der Mittel- und Oberschicht, wie in der Sora-Umfrage zu lesen ist. Das ärmere Drittel hat schon länger das Vertrauen in die Politik verloren:

  • 84 Prozent von ihnen fühlen sich von der Politik als Menschen zweiter Klasse behandelt.
  • 79 Prozent sehen sich im Parlament nicht vertreten.
  • Nur 18 Prozent haben zumindest hin und wieder das Gefühl, dass ihre Lebensumstände bei politischen Entscheidungen berücksichtig werden – zum Vergleich: Im reichsten Drittel sind es 70 Prozent.

 

Zusammenhang zwischen Einkommen und Erfahrung politischer Ohnmacht - "Politik hat bei ihren Entscheidungen auch die Lebensumstände von Menschen wie mir berücksichtigt."

Zusammenhang zwischen Einkommen und Erfahrung politischer Ohnmacht – “Politik hat bei ihren Entscheidungen auch die Lebensumstände von Menschen wie mir berücksichtigt.”

Zusammenhang zwischen Einkommen und Erfahrung politischer Ohnmacht - "Politik hat bei Bekämpfung der Pandemie auch die Lebensumstände von Menschen wie mir berücksichtigt."

Zusammenhang zwischen Einkommen und Erfahrung politischer Ohnmacht - "Politik behandelt Menschen wie mich oft als Menschen zweiter Klasse."

Zusammenhang zwischen Einkommen und Erfahrung politischer Ohnmacht – “Politik behandelt Menschen wie mich oft als Menschen zweiter Klasse.”

Die Politik setzt Forderungen von Geringverdienern kaum um

Die Tendenz, dass Menschen mit niedrigem Einkommen von der Demokratie vernachlässigt werden, gibt es schon seit einiger Zeit: Eine groß angelegte Studie der Universität Osnabrück hat bereits 2016 festgestellt:

“Je höher das Einkommen, desto stärker stimmen politische Entscheidungen mit der Meinung der Befragten überein.”

Und umgekehrt: Was Bürger mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hat “eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.”

Das sieht man etwa an einer Studie des IHS zum Thema Gewinnsteuern, Erbschaftssteuern und Vermögenssteuern:

  • Mehr als 8 von 10 Befragten wollen, dass große Konzerne höhere Gewinnsteuern bezahlen.
  • Mehr als 6 von 10 Befragten wünschen sich die Einführung einer Erbschaftssteuer für die Reichsten in der Bevölkerung.
  • 3 von 4 Befragten wünschen sich die Einführung einer Vermögenssteuer für die Reichsten in der Bevölkerung.

Die Regierung tut nichts, um diesen Wünschen einer breiten Mehrheit nachzukommen. Im Gegenteil: Die Gewinnsteuern für Unternehmen wurden sogar von 25 auf 23 Prozent gesenkt. Obwohl also ein großer Teil der Bevölkerung sich eine stärkere Besteuerung von großen Vermögen, Gewinnen und Erbschaften wünscht, weigert sich die Regierung, diese umzusetzen – weil Reiche dagegen sind. Auf der anderen Seite sind es Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigung, eine bessere Unterstützung für Arbeitssuchende oder günstigere Wohnungen, die eine große Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt und die dennoch abgelehnt werden – weil Arme dafür und Reiche dagegen sind.

83 Prozent der Österreicher wollen eine Erhöhung der Gewinnsteuer für Konzerne und 65 Prozent fordern ein höheres Arbeitslosengeld. Umgesetzt wird von der Regierung aber das Gegenteil: Die Gewinnsteuern werden gesenkt, über Kürzungen beim Arbeitslosengeld wird diskutiert.

In einer repräsentativen Umfrage der Volkshilfe sprachen sich insgesamt 63 Prozent aller Befragten dafür aus, dass das Arbeitslosengeld dauerhaft existenzsichernd von derzeit 55 auf 70 Prozent des Nettoeinkommens erhöht wird. 9 von 10 der betroffenen Arbeitslosen sind dafür, bei den Menschen mit Job sind es immerhin noch 73 Prozent.

 

 

Und eine überwältigende Mehrheit von 94 Prozent fordert dringend eine bessere Entlohnung für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen.

 

Immer engere Verbindungen zwischen der Politik- und Wirtschaftselite

Ein Grund für die übermäßige Umsetzung der Interessen Wohlhabender ist die Besetzung des politischen Personals:

“Zwei Drittel der politischen Elite kommen aus dem Großbürgertum. Die Verbindungen zwischen der Polit- und Wirtschaftselite sind viel enger geworden. Ob sie es wollen oder nicht, aber es wird für die Elite dadurch zunehmend schwerer zu begreifen, wie normale Menschen leben, und welche Probleme für sie relevant sind”, sagt Elitenforscher Michael Hartmann dazu.

In besonderem Maße gilt das für konservative Parteien. Sozialdemokratische Parteien sind noch offener für Menschen aus der Arbeiterklasse, doch auch hier gibt es einen Trend in Richtung obere Mittelschicht, sagt der Elitenforscher. Die ÖVP ist dabei prototypisch: Eine Mehrheit ihrer Abgeordneten besitzt selbst Unternehmen oder ist Interessensvertreter der Wirtschaft. Besonders viele Abgeordnete arbeiten in der Immobilienbranche oder im Raiffeisen-Umfeld. In seiner ersten Regierung machte Sebastian Kurz Hartwig Löger zum Finanzminister – einen ehemaligen Versicherungsmanager, der dann prompt die Bedingungen für sein Unternehmen verbesserte.

Dazu kommt ein neuer Trend in Österreich: Großspender, die der ÖVP viel Geld in Wahlkämpfen geben und dadurch politische Entscheidungen noch weiter verzerren: Sie drängen in Richtung Niedriglohnsektor und Steuerentlastungen für Reiche und die Regierung handelt dementsprechend.

Pandemie: Die Mittelschicht macht Erfahrungen, die für arme Menschen alltäglich sind

Durch die Corona-Maßnahmen hat sich die Unzufriedenheit mit dem politischen System “nach oben” ausgeweitet, auch weil eine alltägliche Erfahrung von ärmeren Menschen die mittleren und oberen Einkommensgruppen erreicht hat, schreiben die Studienautoren:

“Staatliche Eingriffe in die individuelle Lebensführung und der Ausschluss von politischen Entscheidungsprozessen sind für die Menschen im unteren Drittel nichts Neues. Anders in der Mitte und im oberen Drittel der Gesellschaft: In diesen beiden Gruppen haben zahlreiche Menschen nun im Zuge der Pandemie die Erfahrung gemacht, dass ihre Lebensumstände in der Politik weniger Beachtung finden”, schreiben die Studienautoren.

Arme Menschen kennen disziplinierende Behörden, wenn sie Sozialhilfe beantragen. Sie kennen staatliche Kontrollen, wenn ihre Sparbücher überprüft werden, bevor die Mindestsicherung ausgezahlt wird. Sie dürfen nicht ins Ausland auf Urlaub fahren, wenn sie Arbeitslosengeld beziehen. Sie kennen die Erfahrung, dass ihnen das Leben schwer gemacht wird und das in politischen Debatten selten als Problem thematisiert wird.

In der Pandemie sind es auch Angehörige der Mittel- und Oberschicht, die sich mit ihren Problemen nicht gesehen fühlen, wie Studienautorin Martina Zandonella erklärt: Eltern von Kindergarten und Schulkindern etwa oder Angehörige von Risikogruppen. “Diese Erfahrung steht in engem Zusammenhang mit dem Vertrauensverlust in der Mitte und im oberen Drittel der Gesellschaft.”

9 von 10 Menschen sind weiter von der Demokratie überzeugt

Stabil ist dagegen der Glaube an die Demokratie: Trotz Vertrauensverlust nach Korruptionsskandalen und schlechtem Pandemie-Management sind 9 von 10 Menschen in Österreich von der Demokratie überzeugt und fordern ihre Stärkung. “Eine generelle Zunahme an autoritären Einstellungen beobachtet der Demokratie Monitor im Jahresvergleich nicht”, der Anteil bleibt bei 10 Prozent – nur jene mit anti-demokratische Einstellungen verfestigen sich in ihrer Meinung.

Wenn 9 von 10 Menschen im ärmeren Drittel der Bevölkerung der Meinung sind, dass die Politik sich nicht für ihre Probleme interessiert, ist es nicht nur eine soziale, sondern auch eine demokratische Notwendigkeit, ihre Interessen stärker in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Über Kürzungen des Arbeitslosengeldes und weitere Steuergeschenke an Unternehmen, wie sie die Regierung derzeit plant, wird sie das Vertrauen der Menschen nicht zurückgewinnen.

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Artaud
Artaud
16. Dezember 2021 01:17

Ihr habt mit vielen recht, d‘ accord. Aber was die SPÖ in puncto Lobautunnel und Autobahn aufführt ( inkl Klagsdrohungen gegen Minderjährige, schämt euch!), das ist entsetzlich! Die Fratze der ‚roten Betonierer‘ wird wieder einmal sichtbar. Es tut mir von Herzen weh!

gänseblümchen
gänseblümchen
15. Dezember 2021 22:47

aus den ersten zwei graphiken lese ich eigentlich heraus : dass nur im unteren drittel mehr der behauptung zustimmen , heißt eigenlich die regierung hat(habe) sich um sie mehr gekümmert als um die beiden anderen drittel, die sich eher benachteiligt sehen

saloo
saloo
15. Dezember 2021 20:42

Die Reichen werden immer Reicher und die Dummen immer dümmer

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