Wohnen & Miete

Wohnexperte Ritt: 2 Prozent Mietpreisdeckel kann sich die Immo-Branche locker leisten

Foto: Unsplash/ZIB2, eigene Montage

Eine Mieterhöhung jagt die nächste, was für viele Menschen eine enorme finanzielle Belastung darstellt. Bereits fast jeder Dritte befürchtet Zahlungsschwierigkeiten bei den Wohnkosten. Arbeiterkammer und Mieter:innenvereinigung fordern deshalb, dass Mieten nur noch um maximal 2 Prozent jährlich erhöht werden dürfen. Warum das für Vermieter sehr wohl leistbar ist, was Österreich von Schweden lernen kann und wie eine sinnvolle Leerstandsabgabe umgesetzt werden könnte, erklärt Wohnexperte der AK Wien, Thomas Ritt im Interview.

Kontrast.at: Die Arbeiterkammer und die Mieter:innenvereinigung fordern einen Mietpreisdeckel von 2 Prozent. Also: Die Mieten sollen im Jahr um maximal zwei Prozent angehoben werden dürfen. Warum genau 2 Prozent?

Thomas Ritt: Zum einen gibt es Vorbilder in Europa, die einen Deckel in dieser Höhe umgesetzt haben, wo das ganz gut funktioniert. Zum anderen sind zwei Prozent Steigerung genug, um die Kosten, die die Inflation für die Vermieter:innen mit sich bringt, auszugleichen. Im gemeinnützigen Wohnbau sind die Mieterhöhungen auch nicht höher und Investitionen zum Erhalt oder auch Sanierungen gehen sich trotzdem aus. Zudem gibt es ja auch noch die Betriebskosten, die sind von diesem Deckel nicht umfasst.

Gegner:innen argumentieren, dass ein Mietendeckel den Gewinn schmälert und deshalb genau solche Investitionen – Sanierung bis Neubau – unattraktiv macht.

Ritt: Ein Mietpreisdeckel schmälert Profite, ja. Aber sehen wir uns an, was in den letzten Jahren passiert ist. Da haben wir massive Mietsteigerungen gesehen.

In privaten Mietverträgen sind die Mieten in den letzten zehn Jahren doppelt so stark gestiegen wie die Inflation. In der Branche wurden massive Übergewinne gemacht. Diese Steigerungen jetzt zu deckeln, wäre verkraftbar.

Sogar Gabriel Felbermayr vom Wifo hat unlängst in der „Presse“ erklärt: Wenn man möchte, dass die Inflation sinkt – und zwar in Richtung zwei Prozent, wie man es gewohnt war –, dann dürfen auch Preise nicht um ein vielfaches dieses Wertes steigern. Felbermayr sagt, das gilt auch für Mieten und würde für die Immobilienbesitzer wohl keine soziale Schieflage nach sich ziehen.

Aber würde dann weniger neu gebaut werden? Da kommt ja auch das Argument, weniger Angebot bedeutet steigende Preise.

Thomas Ritt ist Ökonom und Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen der AK Wien.

Ritt: Es ist eine Fehlannahme, dass zu wenig gebaut wird. Die Realität ist vielmehr, dass zu viel gebaut wird. Mehr als wir brauchen. Wir haben das beispielsweise für Wien die letzten vier Jahre untersucht. Angesichts des Wachstums der Bevölkerung gab es in den Jahren 2018 bis 2021 einen Wohnbedarf von 28.800 Wohnungen. Die Neubauleistung betrug aber 57.600 Wohnungen.

Es wurde also doppelt so viel gebaut, wie man brauchte. Und trotzdem steigen die Preise. Im privaten Bereich waren es 12 Prozent, bei den Kaufpreisen waren es sogar 31 Prozent. Es liegt also ein völliges Marktversagen vor.

Es nützt nichts, bloß mehr zu bauen, wenn falsch gebaut wird: nämlich fürs Spekulieren, fürs Anlegen. Es wird zu viel gebaut und als Betongold verwendet. Die hohe Bauleistung bringt privaten Akteuren viel Geld. Es bringt viel Leerstand. Und diese rasche Verbauung im privaten, teuren Segment bedeutet auch, dass man verhindert, dass günstiger Wohnraum gebaut wird. Denn der Boden fehlt dann eben für den gemeinnützigen Bereich.
Gemeinnützige Bauträger dürfen nur 300 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzungsfläche bezahlen. Private Bauträger zahlen mitunter aber viel mehr als das. In Favoriten zum Beispiel bis zu 2.700 Euro pro Quadratmeter.

Wie löst man sowas auf?

Ritt: Nun ja, in Wien gibt es ja eine aktive Bodenpolitik und eine Bauordnung, mit der man zwei Drittel des Baulandes für geförderten Wohnbau reserviert hat. Doch das muss erst greifen.

Man könnte auch sagen: Alle Grundstücke, die sozusagen der öffentlichen Hand gehören, dürfen nur zum Teil frei verkauft werden. Damit könnte man zum Beispiel sicherstellen, dass Fläche, die den ÖBB, dem Bundesheer oder den Bundesforsten gehören, nicht zu extremen Preisen verkauft werden, damit dort nur teure Wohnungen entstehen – die dann im schlimmsten Fall sogar leer stehen. Das ist ja auch ein ökologischer Irrsinn, das muss man auch sagen.

Zurück zum Mietpreisdeckel. Würde dieser alle Mietverträge betreffen?

Ritt: Im Prinzip ja. Es ist einfach eine Frage der Ausgestaltung. Man könnte die privaten Mietverträge nach 1945 genauso mitnehmen wie auch Genossenschaften. Bei letzteren ist es etwas komplizierter, weil man sich in die Untiefen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, kurz WGG, begeben müsste. Bei den Gemeinnützigen hat man ja Kostenmieten, also die geben die real gestiegenen Kosten weiter. Da ist man ohnehin in der Regel unter den zwei Prozent, die der Mietendeckel bedeuten würde. In Niederösterreich gibt es ein paar Fälle, wo Genossenschaften sich flexible Kredite zur Baufinanzierung genommen haben – dort gibt es jetzt größere Mieterhöhungen. Das könnte man zum Beispiel auch deckeln, aber das müsste man über die Wohnbauförderung regeln.

Angenommen, das würde umgesetzt und die Erhöhung der Miete wäre begrenzt – könnten Mieter:innen über andere Wege Nachteile erleiden?

Ritt: Man argumentiert, dass ein Mietendeckel mehr Befristungen bei den Verträgen zur Folge hätte. Weil man dann Mietverträge auslaufen lässt und neue Vermietungen höher ansetzt. Tatsache ist aber, dass im privaten Bereich schon jetzt drei von vier Verträgen befristet sind. Das wird auch weiter passieren. Deshalb fordern wir auch eine Abschaffung der Befristungen.

Mehrere Länder in Europa begrenzen die Mietpreise schon. Von welchem Land könnte man sich am ehesten das Modell abschauen – und warum?

Ritt: Es gibt verschiedene Modelle. Den 2-Prozent-Deckel gibt es beispielsweise in Portugal und Spanien. Was mir ansonsten gut gefällt, ist das schwedische Modell: Dort gibt es vor anstehenden Mieterhöhungen Verhandlungen zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen, bei denen die Kosten auf den Tisch gelegt werden müssen. Es wird also nicht einseitig eine Erhöhung festgesetzt, sondern man versucht sich auf einen vertretbaren Wert zu einigen. Das würde mir auf lange Sicht auch für Österreich gut gefallen.

Wifo-Ökonom Stephan Schulmeister schlägt vor, dass es einen gesetzlichen Richtwertzins für alle Mietkategorien geben soll. Können Sie dieser Idee etwas abgewinnen?

Ritt: Wir haben ja die Richtwertmieten, die gelten allerdings nur für Wohnungen, die vor 1945 gebaut worden sind. Für private Verträge danach gibt es keine Mietzinsbegrenzung. Die Regelung mit den Richtwertmieten stammt aus den 1990er Jahren. Seither sind viele Jahre vergangen und man könnte zum Beispiel sagen: In den ersten 30 Jahren nach Bau eines Wohngebäudes fällt die Miete nicht unter eine Richtwert-Regelung. Man sieht zu, dass man über die Mieteinnahmen Investitionen hereinbekommt – und nach dreißig Jahren fällt das Ganze unter ein Richtwertregime oder eine andere Regelung, die begrenzenden Charakter hat.

Eine weitere Forderung der AK ist eine Leerstandsabgabe. In Wien wurde sie eingestampft, in der Steiermark, in Salzburg und Tirol gibt es sie, aber Gemeinden sind zögerlich in der Umsetzung. Warum passiert da so wenig?

Ritt: Einfach gesagt, das Problem ist der Bund. Denn laut Verfassung ist Wohnpolitik, mit Ausnahme der Wohnbauförderung, Bundessache. Das heißt wiederum, dass die Bundesländer zwar eine Leerstandsabgabe einheben dürfen, diese aber keine wohnpolitischen Folgen haben darf. Soll heißen: Sie darf keinen Lenkungseffekt haben, also keinen Wohnraum mobilisieren.

Die Bundesländer dürfen also von Gesetzeswegen her nur eine wirkungslose Leerstandsabgabe einfordern. Also eine, die schlicht zu niedrig angesetzt ist, als dass sie Immobilienbesitzer dazu animiert, ihre leerstehenden Wohnungen zu vermieten.

Es ist absurd. Im Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und den Grünen steht, dass der Bund sich bemühen soll, mit den Bundesländern gemeinsam Leerstand zu mobilisieren. Bisher hat der Bund aber nichts in diese Richtung getan. Es gibt in Wahrheit nur zwei Optionen: Entweder der Bund hebt selbst eine Leerstandsabgabe ein oder man ändert die Verfassungsbestimmung und erlaubt den Bundesländern, Leerstand zu mobilisieren, zum Beispiel mit einer Leerstandsabgabe, die den Immobilienbesitzern nicht mehr wurscht ist.

@kontrast.at Die Mieten steigen – puh, was könnte man da machen? #oesterreich #mieten #fyp #inflation #ländervergleich ♬ Funny Song – Cavendish Music

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