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Lobbying und Profitgier verhindern notwendige Klimapolitik

Der Klimawandel ist zur existenziellen Bedrohung geworden. Trotzdem setzen viele Regierungen keine wirkungsvollen Maßnahmen – stattdessen belassen sie es bei Versprechungen und Scheinpolitik. Dass die Klimakrise nicht bekämpft wird, hat mit den Profitinteressen der größten Firmen zu tun – ginge es nach der Bevölkerung, würden bereits viel weitreichendere Schritte gesetzt. Das zeigt sich auch an den mageren Ergebnissen beim UNO-Klimagipfel in Glasgow.

Die Waldbrände, Wellen extremer Hitze und Überschwemmungen haben uns in diesem Sommer bereits ahnen lassen, dass wir auch in Europa die Folgen des Klimawandels nicht erst in der fernen Zukunft spüren werden. Der Weltklimarat (IPCC) hat im August einen Bericht vorgelegt, der kaum deutlicher sein kann: Nach den fünf wärmsten Jahren der jüngeren Geschichte, könnte der Meeresspiegel viel höher steigen als bisher angenommen. Gletscher und Meereis werden weiter schrumpfen, der Golfstrom könnte versiegen, der Mittelmeerraum schon bald zur Krisenregion werden. Der UN-Generalsekretär spricht von einer „Alarmstufe Rot für die Menschheit“. Das stabile Klima, das wir kennen, könnte bald ein Ende haben.

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Seit über 20 Jahren warnt die Wissenschaft vor dem Klimawandel, doch der Ausstoß von Treibhausgasen stieg weiter. Während wir hitzig über die Folgen von Autofahren diskutieren, steigt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre jedes Jahr. 1995 fand die erste UN-Klimakonferenz statt – seither sind die jährlichen CO2-Emissionen um 60 Prozent gestiegen. Damals wurden mehr als sechs Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre gepumpt, 2018 waren es 10 Gigatonnen. Damals lag die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei 363 ppm, 2018 waren es 407 ppm.

Magere Ergebnisse beim UNO-Klimagipfel in Glasgow

Im November 2021 traf sich die UNO zum Klimagipfel im schottischen Glasgow. Dabei wurde das Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel beibehalten, die nationalen Regierungen wurden aufgefordert ihre Klimaschutzpläne rascher umzusetzen – freiwillig, nicht verpflichtend. Immerhin einigten sich die 200 Teilnehmerstaaten darauf, in der Abschlusserklärung den globalen Kohleausstieg zu fordern, wenn auch in abgeschwächter Form als geplant. Die Umweltorganisation Global 2000 spricht von „zahnlosen Beschlüssen“ und glaubt nicht, dass damit das 1,5 Grad Ziel erreicht werden könnte. Für Greenpeace ist das Ergebnis nicht viel mehr als ein „fauler Kompromiss“ und kritisiert die Regelung des sogenannten Emissionshandels. SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr wiederum ärgert sich, dass es in Österreich seit fast einem Jahr keine gesetzlichen Klimaziele gibt. „Auch für 2022 sind noch keine bekannt. Während die Zeit bis zur Klimaneutralität 2040 immer knapper wird, schafft es die Regierung nicht einmal einen Pfad zur Emissionsreduktion vorzulegen.“

EU-Kommission will Atomenergie und Erdgas als „grüne Energie“ einstufen

Am Neujahrstag 2022 verschickt die EU-Kommission in Brüssel einen juristischen Entwurf, der vorsieht Atomstrom und Erdgas unter gewissen Bedingungen als „grüne Energie“ einzustufen. So sollen Frankreichs Investitionen in neue AKW als „grün“ durchgehen, wenn ein konkreter Plan für die Entsorgung des radioaktiven Abfalls vorgelegt wird. Und auf Initiative Deutschlands sollen Gaskraftwerke als „grün“ gelten, wenn sie weniger Treibhausgase ausstoßen.

„Nur wenige Wochen nach der Klimakonferenz COP26 opfert die EU-Kommission ihre Führungsrolle in der Klimapolitik für die Interessen der Atom- und Gas-Lobby. Damit könnten Milliarden Euro in schädliche Industrien fließen und einen fatalen Lock-in-Effekt produzieren, der Europa noch weiter vom 1,5 Grad Ziel entfernt“, kritisierst der WWF-Experte Jakob Mayr den Versuch des Greenwashings.

In die gleiche Kerbe schlägt Patricia Lorenz, Atom-Sprecherin von GLOBAL 2000: „Dieses atomare Neujahrsbaby war zu befürchten – in der Hoffnung, dass der Entwurf in den Feiern zum Neuen Jahr untergehen möge, veröffentlichte die EU-Kommission gestern kurz vor Mitternacht den Entwurf zur Nachhaltigkeits-Taxonomie.“

Die österreichischen Umweltministerin Leonore Gewessler nannte die Idde eine „Nacht- und Nebelaktion“. Der Entwurf sei „nicht akzeptabel“, Gewessler drohte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit rechtlichen Schritten gegen  Brüssel.

Profit-Interessen: Investoren bevorzugen weiterhin fossile Industrie

Klimathemen dominieren seit einigen Jahren angeblich die Wahlen, die Jugendlichen von Fridays For Future werden gefeiert oder verteufelt, auf der ganzen Welt behaupten Regierungen, Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. 69 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher halten den Klimawandel laut Eurostat für ein „sehr ernstes“ Problem, doch abseits der Worte handeln die Regierungen weiterhin im Interesse der fossilen Industrie. Mit Erdöl und Erdgas lässt sich – trotz ausgerufener Energiewende – nach wie vor unendlich viel Geld verdienen. Das Wirtschaftssystem belohnt Umweltverschmutzung und Ressourcenraubbau noch immer mit hohen Profiten. Laut dem Jahresbericht der Energieagentur (IEA) über die Investitionstrends in der Energiewirtschaft, flossen 2020 726 Mrd. US-Dollar in Projekte mit Öl, Gas und Kohle. Das heißt: In neue fossile Anlagen, die zu den bereits bestehenden dazu kommen. Dabei stoßen die bestehenden Kraftwerke schon so viele Treibhausgase aus, um uns weit über das 1,5 Grad Ziel hinauszuschießen. Die neu gebauten Kohlekraftwerke und Bohrinseln wieder zu schließen, ist mit einem enormen Vermögensverlust für die Investoren verbunden – die Einhaltung der notwendigen Klimaziele widerspricht daher dem Profit-Interesse der einflussreichsten und mächtigsten der Welt. Weniger als die Hälfte des Geldes, nämlich nur 359 Mrd. Euro, haben Investoren dagegen in erneuerbare Energie investiert. Auch für das Jahr 2021 bleibt das Geld für die Öl- und Gasgewinnung weit höher als das für Wind- oder Solarenergie. Investoren wissen, wo die größten Profite liegen – und das sind nach wie vor CO2-Schleudern. Die größten Vermögensverwalter der Welt – BlackRock, State Street and Vanguard – haben alleine 300 Milliarden Euro in Öl, Gas und die Kohleförderung investiert. Weil sie auch das Geld von Pensionsfonds und Versicherungen verwalten, hat etwa Blackrock versprochen, nicht mehr in Kohle zu investieren – doch über Schlupflöcher stecken auch 2021 85 Mrd. Euro des Mega-Investors in der Kohleindustrie. Die Investitionen in saubere Energie liegen “weit unter dem, was es in Klima-Szenarien braucht”, sagt die IEA in dem Bericht. Die Investitionen müssten sich verdreifachen, wenn man das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad einhalten will. Doch es ist profitabler, in klimaschädliche Infrastruktur zu investieren. Shell, ExxonMobil und BP wollen ihre Produktion bis 2030 zwischen 12 und 38 Prozent steigern. Die österreichische OMV will bis 2025 genauso viel Öl fördern wie heute und die Gasförderung sogar steigern.

Österreich: Wirtschaftskammer und ÖVP gegen verzögern Klimamaßnahmen

2019 hat der österreichische Nationalrat den Klimanotstand ausgerufen, die Eindämmung der Klima- und Umweltkrise soll seither höchste Priorität haben. Auch die ÖVP hat zugestimmt. Im April 2021 hat der österreichische Rechnungshof bescheinigt: Behält die Regierung ihren Kurs bei, wird Österreich die EU-Klimaziele nicht einhalten. Österreich ist erschreckend schlecht beim Treibhausgasausstoß: Sind die Emissionen in der gesamten EU von 1990 bis 2017 immerhin um ein Viertel gesunken, sind sie in Österreich um fünf Prozent gestiegen. Seit 1990 hat Österreich jedes einzelne Klimaziel verfehlt. Weil wir die Kyoto-Ziele (Reduktion der Emissionen um 13 Prozent bis 2012) nicht einhielten, mussten bereits 400 Millionen Euro Strafe gezahlt werden. Weitere neun Milliarden Euro drohen. Geld, das in Klimaschutz-Projekte besser angelegt gewesen wäre. Österreich hat seit 1.1.2021 keine gesetzlichen Klimaschutzziele mehr. Das Klimaschutzgesetz hätte längst fertig sein sollen, der Entwurf der Grünen liegt seit Monaten auf dem Tisch und wird von der Wirtschaftskammer bekämpft. In Österreich ist es vor allem die Wirtschaftskammer im Bündnis mit der ÖVP, die sich seit Jahren gegen Klimamaßnahmen stemmt. Umweltministerin Gewessler hat bis heute keine Studie zu klimaschädlichen Subventionen vorgelegt, keinen Klimarat der Bürger und Bürgerinnen und keinen wissenschaftlichen Klimabeirat einberufen – zu sehr hat die ÖVP auf die Bremse gedrückt.

OMV macht Rekordgewinne und erhält Steuergeschenke

Denn auch in Österreich ist die fossile Energie mit sagenhaften Profiten verbunden. Der Mineralölkonzern OMV ist für 118 Millionen Tonnen Treibhausgas in Österreich verantwortlich und gehört zu den 100 klimaschädlichsten Konzernen der Welt. Ihre Emissionen übersteigen die von ganz Österreich, die bei rund 80 Millionen liegen. Trotz Klimakrise und angekündigter Energiewende war die OMV 2021 Dividendenkaiser, mit 605 Millionen Euro hat sie die höchste Dividende seit zehn Jahren ausgeschüttet. Der Ex-OMV-Manager Seele verdiente 2020 7,2 Mio. Euro im Jahr, das ist in drei Tagen mehr als eine Pflegerin oder ein Lok-Führer im ganzen Jahr verdienen. Würde sich die fossile Energiewirtschaft um ihre Zukunft fürchten, würden die Zahlen anders aussehen. Um bis 2040 klimaneutral zu werden, bräuchte es in Österreich 4 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr, sagen die Forscher:innen des Wegener Centers in Graz. Die schwarz-grüne Regierung hat zwar eine Klimaschutz-Milliarde geplant, gibt aber nach wie vor über vier Milliarden für Förderungen aus, die laut Wifo im Widerspruch zum Klimaschutz stehen.

Aufrüstung statt grüne Investitionen

Wenn es so weitergeht, müssen wir mit immer mehr Überschwemmungen, Dürren und Waldbränden rechnen. Neben den Folgen für die Umwelt und Landwirtschaft sind auch politische Auswirkungen zu erwarten. Regierungen von den USA bis zur Europäischen Union investieren in Überwachungstechnologie und militärische Ausrüstung, um gegen die Menschen vorzugehen, die unter anderem aufgrund von Umweltkatastrophen aus ihren Heimatländern fliehen müssen. Die globalen Militärausgaben sind so hoch wie seit 1988 nicht – das war die Zeit des Kalten Kriegs. Dan Smith, der Direktor des Friedensforschungsinstituts Sipri, spricht von einem „ziemlich brutalen Gesamtbild“. Schon jetzt verursacht das US-Militär alleine mehr Emissionen als Länder wie Portugal, Schweden oder Dänemark. Die Milliarden, die in den Grenzschutz und Drohnen im Mittelmeer fließen, erhöhen wiederum die Gewinne der Grenz-, Überwachungs- und Militärindustrie – sie fehlen aber für den grünen Wandel. Die EU-Verteidigungs- und Außenminister verhandeln gerade über den Aufbau einer schnellen EU-Eingreiftruppe mit 20.000 Soldaten. Sollten die Länder in Zeiten der Klimakrise lieber auf militärische Konflikte als auf Zusammenarbeit setzen, wird sich das Leid durch die Naturzerstörung nur weiter verschlimmern.

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Der Klimawandel wird von den Regierenden weiterhin nicht ernst genommen.

Frankreich: Bevölkerung will Maßnahmen, die Politik zieht nicht mit

Wie hoch der Temperaturanstieg ausfallen wird, hängt davon ab, welche Entscheidungen wir jetzt treffen. Ein Kurswechsel ist möglich, vor allem, wenn nicht fossile Konzerne politische Entscheidungen dominieren. Bürgerräte zum Klima in Europa zeigen, dass die Mehrheit der Bürger:innen zu großen Veränderungen bereit ist, wenn sie fair ablaufen. In Frankreich haben sich in Folge der Gelbwesten-Proteste 150 ausgeloste Personen aus allen Landesteilen und Gesellschaftsschichten im „Bürgerkonvent für das Klima“ auf Maßnahmen geeinigt, die den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent reduzieren können. Das Ergebnis: Inlandsflüge sollen verboten, Umweltverbrechen bestraft und Werbung für klimaschädliche Produkte wie Autos verboten werden. Doch den Beteiligten ist schnell klar geworden, dass ein Teil ihrer Empfehlungen der Staatsführung viel zu weit geht. Der französische Präsident Macron hat einige der Forderungen sofort abgelehnt: die Verminderung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 110 Stundenkilometer, eine 4-prozentige Abgabe auf Dividenden zur Finanzierung der Energiewende und die Verankerung einer Pflicht zur Erhaltung der Umwelt in der Verfassung. Der durchschnittliche französische Bürger unterstützt also eine fortschrittlichere Klimapolitik als die französische Regierung bereit ist umzusetzen. Auch der deutsche Klimarat aus 160 zufällig ausgewählten Menschen hat sich dieses Jahr auf Klimaforderungen geeinigt, die weiter gehen als die aller Parteien. Das Problem ist nicht, dass die Bürger und Bürgerinnen nicht für die Klimapolitik bereit sind – sondern dass es viele Mächtige nicht sind, weil die Interessen von Milliardären an erster Stelle stehen. Ob wir den Klimawandel bewältigen oder nicht, darf nicht von der Fähigkeit der Manager abhängen, Profit zu machen. Viel wird über die Verantwortung von Konsument:innen diskutiert, aber die haben keinen Einfluss auf die Lieferketten von Unternehmen oder darauf, wie viel Öl die OMV fördert oder welcher Superreiche mit dem Privatjet wo hinfliegt, schreibt die „Fridays For Future“-Aktivistin und Initiatorin des Klimavolksbegehrens Katharina Rogenhofer in ihrem aktuellen Buch. All diese Diskussion verschleiern nämlich, „wer systematisch etwas ändern könnte” schreibt Rogenhofer. Viele Menschen wären zu Veränderungen bereit – aber nicht solange andere weiter Milliarden damit verdienen, den Planeten zu zerstören. Die Reichsten der Welt sorgen für die stärkste Schadstoffemission. Viele von ihnen profitieren nebenbei von umweltschädlichen Industrieproduktionen.

 

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rudolf
rudolf
23. Januar 2022 13:39

Diese teure Parkpickerlausweitung in Wien, wird den Klimawandel nicht aufhalten können!Es trifft nur die KLEINEN! beim Geld.Die „Großen“ müßen zur KASSA gebeten werden, per Gesetz. Nur so wird es gelingen die Klimakrise zu bewältigen.GAS, mit dem wird am meisten geheizt. Wer zahlt die Umstellung

Hansl
Hansl
8. September 2021 10:47

Sog i jo immer, diese Konzerne und Geldsäcke halten sich höchstrangige Politiker wie Schoßhunde und wir Teppen wählen sie noch!

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