Noch immer dürfen schwule und bisexuelle Männer in Österreich nicht Blut spenden. Eine 12-monatige Sperrfrist schließt sie de facto von den potenziellen Spenderinnen und Spendern aus. Höchste Zeit, dass sich das ändert, finden SPÖ und auch Neos.
„Wir brauchen alle Blutgruppen, man soll unbedingt spenden kommen“, hieß es noch im März vom Roten Kreuz. Die Corona-Krise führte zwar zu keinem Engpass, aber man rief vorsichtshalber zum Blutspenden auf. Das Rote Kreuz, der Samariterbund und andere Gesundheitsorganisationen sind verantwortlich, die österreichischen Spitäler mit Blutkonserven zu versorgen. Doch bei dieser wichtigen Aufgabe müssen sie auf eine Spendergruppe verzichten – denn schwule und bisexuelle Männer dürfen kein Blut spenden.
Die Soho fordert die Umstellung der Regeln: Nicht das Geschlecht der Sexualpartner, sondern das Risikoverhalten soll darüber entscheiden, wer Blut spenden darf.
Rund eine halbe Million Blutspenden müssen laut Angaben des Roten Kreuzes jährlich aufgebracht werden. “Gerade in Zeiten von COVID-19 sind freiwillige Spenderinnen und Spender dringend gesucht. Das Plasma von wieder geheilten Corona-Patienten wird erfolgreich zur Therapie eingesetzt”, weiß auch Mario Lindner, langjähriger Sanitäter beim Roten Kreuz und Vorsitzender der roten LGBTIQ-Gruppierung Soho. Doch auch in dieser Ausnahmesituation darf er selbst nicht spenden.
“Es werden händeringend Spender_innen gesucht, aber ich darf nicht.”
Mario Lindner ist seit 20 Jahren ehrenamtlicher Sanitäter. In dieser Zeit hat er einiges gesehen und vielen Menschen geholfen.
“Ich bin seit 20 Jahren Rettungssanitäter und verbringe meine Freizeit gern ehrenamtlich im Einsatz für die Menschen in unserer Region. Natürlich ist es herausfordernd, aber gerade als Sanis leisten wir einen unglaublich wichtigen Beitrag für unsere Mitmenschen.”
Als Sanitäter weiß Lindner, der 2017-2019 auch als Nationalratsabgeordneter tätig war, wie wichtig Blutspenden für das Gesundheitswesen sind. Umso schlimmer ist es für ihn, dass er wegen eines Generalverdachts von der Spende ausgenommen ist.
Denn Männer, die Sex mit Männern haben (MSM – so wird es auf den Anamnesebögen des Roten Kreuzes abgefragt), durften in Österreich jahrzehntelang kein Blut oder Plasma spenden. Die Begründung: Bei schwulen und bisexuellen Männern bestehe ein erhöhtes HIV-Risiko. Allerdings berücksichtigt das nicht das individuelle Risikoverhalten der Betroffenen.
Europa hinkt hinterher
In Bulgarien, Italien, Lettland, Polen, Portugal und Spanien bestimmt bereits das individuelle Verhalten der Spender deren Eignung und nicht deren sexuelle Orientierung. Auch Frankreich ist von der 12-Monats-Regel abgekommen, es sind dort nur mehr vier Monate Wartezeit, ab 2022 könnten hetero- und homosexuelle Blutspender vollkommen gleich behandelt werden.
In Großbritannien gilt seit Juni 2020 eine 3-Monats-Frist. Stevie Maginn, der erste schwule Blutspender Nordirlands, ist damit aber nicht völlig zufrieden: “Ich will nicht jedes Mal eine Pandemie durchleben müssen, nur um zur Blutspende gehen zu können.” Er konnte seinen Partner wegen der Corona-Krise seit März nicht sehen, hatte also keinen Sex und konnte deswegen nun spenden.
12-Monats-Frist als De-Facto-Verbot
Bis Dezember 2019 galt auch in Österreich ein totales Blutspendeverbot für Männer, die jemals Sex mit einem Man hatten. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof bereits 2015 entschied, dass ein Ausschluss von bi- und homosexuellen Männern nur sehr eingeschränkt passieren darf.
Die Sozialministerin der Übergangsregierung im jahr 2019 hat die Blutspendeverordnung verändert und richtete einen standardisierten Anamnese-Bogen für Arztbesuche und Blutspenden ein. Seither gibt es eine zeitliche Eingrenzung zum Ausschluss: Wenn ein Mann in den letzten 12 Monaten Sex mit einem Mann hatte, darf er nicht spenden. Für Frauen, die Sex mit einem “MSM” hatten, gelten vier Monate Wartefirst. Österreich übernahm damit die Regelung aus Deutschland und der Schweiz.
Das kommt für die Soho einem De-Facto-Blutspendeverbot für Schwule und bisexuelle Männer gleich. Sie verlangt stattdessen ein Abfragen des Risikoverhaltens.
Denn obwohl alle Blutspenden auf mögliche Krankheiten getestet werden, bleibt eine Sicherheitslücke. Laut dem deutschen Robert-Koch-Institut sind die Tests nicht sicher genug: Grundsätzlich wird jede Blutspende auf Infektionsmarker für HIV, Hepatitis-B, Hepatitis-C und Syphilis getestet. Das sogenannte diagnostische Fenster ist aber eine Unsicherheit, die sich nie aus der Welt schaffen lässt: Jeder Körper braucht nach einer Ansteckung Zeit, um Antikörper zu produzieren. Sind sie noch nicht im Blut, findet der Test keine Infektion. Dieses diagnostische Fenster ist allerdings nur bis zu acht Wochen lang.
Das Rote Kreuz hat den neuen Bogen nach über sechs Monaten noch nicht zur Anwendung gebracht. Auch laut Homepage gilt immer noch ein generelles Verbot für “MSM”. Auf Nachfrage bestätigte eine Sprecherin, dass die Corona-Krise die Umstellung verzögerte, diese aber im Herbst kommen soll. Andere Spende-Einrichtungen wie der Arbeiter-Samariter-Bund oder Plasmaspende-Zentren haben laut Homepage-Information kein solches Verbot.
“Beleidigung für alle Schwulen und Bisexuellen, die Beitrag leisten wollen”
Doch das Blutspendeverbot bedeutet nicht nur für das Gesundheitssystem einen Nachteil. Für Schwule und bisexuelle Männer bzw. deren Partnerinnen kann die Regel zu unangenehmen Situationen bis Zwangsoutings führen. In vielen Betrieben ist das Blutspenden eine beliebte Tradition. Spenderinnen und Spender erhalten oft einen Nachmittag frei – MSM sind unverschuldet davon ausgeschlossen. Ist man im Betrieb oder auch als Grundwehrdiener nicht geoutet, kann das kollektive Spenden, an dem man nicht teilnehmen darf, ein Zwangsouting bedeuten.
“Und trotz all meines Einsatzes als Sanitäter dürfen ich und andere schwule oder bisexuelle Menschen nicht einmal unser Blut spenden”, kritisiert Lindner. “Wir fahren Einsätze, helfen bei Notfällen, bilden uns fort und lernen gemeinsam mit unsere Kolleginnen und Kollegen. Aber sobald es zur Blutspende geht, ist unser Beitrag auf einmal weniger wert. Dann zählt nicht das persönliche Verhalten, sondern die sexuelle Orientierung. Und das ist einfach unfair – diese Diskriminierung ist nicht nur völlig überholt und veraltet, sie ist auch eine Beleidigung für alle Schwulen und Bisexuellen, die einfach ihren Beitrag leisten wollen!”
Risikoverhalten statt sexueller Orientierung
Neben der SPÖ und den Neos fordern viele andere Gruppen eine Umstellung der Regelung. Die Grünen forderten das viele Jahre. Ihr zuständiger Gesundheitsminister sieht offenbar keinen Handlungsbedarf.
Die parteiunabhängige Gruppe “Austrian Medical Student’s Association”, Österreichs zukünftige Ärztinnen und Ärzte, präzisieren die Forderung nach dem Entscheid nach Risikoverhalten. Neben bestehenden sexuell übertragbaren Krankheiten, dem Teilen von Nadeln und Spritzen, aber auch unabsichtliche Nadelstichverletzungen, auch unter Fachkräften im Gesundheitswesen nennen sie ungeschützten analen oder vaginalen Geschlechtsverkehr als Hauptrisikoverhalten.
Ob man geschützt oder ungeschützt penetrativen Verkehr hat, ist aber eben unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung.
Petition “Blutgruppe bunt”
Deswegen hat die Soho eine Petition gestartet. Sie verlangt eine Verbot von “diskriminierenden Formulierungen” im Anamnese-Bögen. Statt dem Geschlecht des Sexualpartners soll noch dem Risikoverhalten des Testers bzw. der Testerin gefragt werden.
“Unzählige Menschen leisten in Österreich mit ihrer Blutspende Jahr für Jahr einen Beitrag zum Gesundheitssystem und helfen mit, Leben zu retten! (…) Trotzdem werden aber homo- und bisexuelle Männer noch immer bewusst von der Möglichkeit zu spenden ausgeschlossen!”, heißt es in der Petition
Auch die Neos wehren sich gegen die 12-monatige Sperrfrist: “Das kommt faktisch einem völligen Ausschluss gleich”, sagt Yannick Shetty, LGBTIQ-Sprecher. “Eine zwölfmonatige Enthaltsamkeit für eine einzige Blutspende entspricht nicht der Lebensrealität.”
Die Soho wird die Petition am Mittwoch in den parlamentarischen Ausschuss einbringen.