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In dieser kleinen belgischen Stadt können Bürger direkt Politik machen

In Belgien – genauer gesagt in Eupen machen nicht nur Politiker Gesetze, sondern auch die Bürger. Sie werden ausgelost und arbeiten im Bürgerrat an Lösungen für Probleme, die sie in der Stadt sehen. Die Bürger bekommen ein Gespür für Politik, entschleunigen sie. Das „Eupen-Modell“ wurde binnen kurzer Zeit zum Vorbild für andere Länder.

Im Osten von Belgien liegt Eupen. Die Stadt in Wallonien hat 19.700 Einwohner. Es ist eine deutschsprachige Stadt, die viel Autonomie genießt. Eupen hat ein eigenes Parlament und kann über Bildungsfragen, Kultur, Energie und Sozialpolitik selbst entscheiden. Seit September 2019 gibt es aber mehr als nur das Parlament (den „Stadtrat“), das Politik für Eupen macht: Denn seit einigen Monaten arbeiten auch engagierte Bürgerinnen und Bürger an Gesetzesvorschlägen, mit denen sich das Parlament befassen muss – ohne an Parteien gebunden zu sein.

Die Idee: Politik entschleunigen – mehr über Lösungen diskutieren

Alle paar Jahre zur Wahl gehen, das ist den Menschen in Eupen zu wenig. Sie wollen sich beteiligen, wollen Ideen einbringen, sich zu Problemen Gedanken machen, die sie betreffen. Und das ohne Stress und gemeinsam mit Expertinnen und Experten. Politik soll mehr sein als „Ja/Nein“-Entscheidungen unter Zeitdruck.

Alexander Miesen, ehemaliger Parlamentspräsident von Eupen, wusste, das es viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gab. Immerhin gab es schon in den Jahren zuvor viele „Dialogveranstaltungen“ und Foren, in denen sich Menschen eingebracht haben. Der Unterschied: Die waren themengebunden und hatten kein Gewicht. Außerdem kamen immer dieselben Interessierten – bzw. jene, die Zeit haten. Miesen wollte das ändern.

Im Februar 2019 hat das Eupener Parlament beschlossen, einen „Bürgerrat“ einzuführen. Der soll ständig arbeiten können und dem Parlament Vorschläge unterbreiten, über die es dann beraten muss.

Der „Bürgerrat“ von Eupen gibt Themen vor

Dazu hat die Stadt 1.000 Menschen angeschrieben. Davon sagten über 100 zu, sich im Bürgerrat engagieren zu wollen. Davon wiederum wurden 12 Personen ausgelost, die einen Querschnitt der Bevölkerung widerspiegeln: Männer und Frauen, ältere und jüngere Menschen, verschiedene Berufsgruppen und dergleichen.

Zusätzlich stammen 12 Mitglieder aus den politischen Parteien im Stadtrat und aus Personen, die schon früher an Bürgerdialogen teilgenommen haben.

Diese 24 Mitglieder des Bürgerrats arbeiten nun jeweils für die Dauer von 18 Monaten und geben sowohl die Themen selbst vor, über die sie beraten als auch die Lösungen, die sie dem Parlament unterbreiten. Eine Moderation gibt es auch, damit nicht eine Handvoll dominanter TeilnehmerInnen die Debatte beherrschen – und: alle sechs Monate wird ein Drittel des Bürgerrats ausgetauscht.

Um sich zu einem Thema mehr Input zu holen, kann der Bürgerrat auch Bürgerversammlungen einberufen. Daran können dann bis zu 50 Personen für 3 Monate teilnehmen – darunter auch geladene Expertinnen und Experten.

Politik wird differenzierter und offener

In Eupen in Belgien können Bürger durch einen Bürgerrat direkt mitbestimmen. Das Foto zeigt den Regierungssitz der deutschsprachigenn Gemeinschaft in Eupen.

Haus Grand Ry, Regierungssitz der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen (Foto: Johan Bakker/Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Hans Lietzmann leitet das Institut für Demokratieforschung an der Universität Wuppertal. Er kann dem Bürgerrat – und Dialogen – viel abgewinnen. Weil es nicht ums Gewinnen, Schlagzeilen oder dergleichen geht, können sich die Teilnehmenden auf das Problem und seine Lösung konzentrieren.

Außerdem fördern solche Gremien die Bürger-Teilhabe im Allgemeinen. Das wirkt „Politik-Skepsis“ entgegen und stärkt das Demokratie-Gefühl der ganzen Gemeinschaft. Denn man weiß: An einem Gesetz haben viele Ebenen mitgewirkt.

Außerdem kommen sich BewohnerInnen und PolitikerInnen insgesamt näher:

Für Abgeordnete sind Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bloß „Wähler“ und „die Menschen da draußen“, sondern jene, die ihnen Vorschläge unterbreiten, hinter denen viel Arbeit steckt. Umgekehrt verstehen Bürgerinnen und Bürger besser, wie komplex politische Entscheidungen sind. Für beide Seiten eine win-win-Situation.

Parlament muss nicht umsetzen – das aber gut begründen

Bekommt das Parlament künftig Vorschläge vom Bürgerrat, muss es sich 12 Monate mit dem Thema beschäftigen. Die Abgeordneten sind nicht verpflichtet, die Vorschläge anzunehmen. Aber wenn sie diese ablehnen, müssen sie das dem Bürgerrat gut begründen.

Das „Eupen-Modell“ ist binnen kurzer Zeit in ganz Belgien und auch  international bekannt geworden. Noch im Herbst 2019 haben PolitikerInnen und Verfassungs-ExpertInnen aus Australien, Brasilien, Bosnien und Peru die Stadt besucht und sich über das Modell „Bürgerrat“ informiert.

Erstes Thema des Bürgerrat: Pflege

Im November 2019 hat der Bürgerrat entschieden, sich der Pflege in Eupen zu widmen. Sie wollen die Situation für die Pflegebedürftigen, aber auch für das Pflegepersonal verbessern. Anfang 2020 starten die Diskussionen – und zusätzlich eine Bürgerversammlung zum Thema.

Eupen ist nicht das erste Experiment für mehr Bürgerbeteiligung

Über die Frage, wie eine Stadt oder ein ganzes Land Bürgerinnen und Bürger mehr einbeziehen kann, haben schon viele diskutiert. In den 1990ern haben ReformerInnen in Großbritannien vorgeschlagen, das „House of Lords“ statt mit Adeligen und Geistlichen mit normalen BürgerInnen zu besetzen.

In Irland haben Bürgerversammlungen den Weg geebnet, um Schwangerschaftsabbrüche und die Ehe für alle zu legalisieren. Auf dem „herkömmlichen“ politischen Weg war beides Jahrzehnte lang nicht machbar.

Die „würfelnde Demokratie“, in der Bürger ausgelost und miteinbezogen werden, hat eine lange Tradition, erklärt der belgische Historiker David Van Reybrouck. Das „Eupen-Modell“ hat Vorbilder, die lange zurückreichen: Schon in Athen wurden (männliche) Bürger ausgelost, um mitzubestimmen. Ab dem 13. Jahrhundert findet man ähnliche Modelle in italienischen Stadtstaaten oder auch in deutschen Städten wie Münster und Frankfurt.

„Wenn einfache Bürger die Befugnis, Zeit und Information bekommen, schwierige Fragen anzugehen, wachsen sie über Gegensätzlichkeiten hinaus und liefern sinnvolle Antworten.“ (David Van Reybrouck)

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Ich fordere seit
Ich fordere seit
16. Dezember 2019 04:10

über 10 Jahren, dass gewählte Parteimitglieder strafbar zu sein haben für ihre Untaten, dass sie per zufällig gewähltem Volkstribunal, das jährlich neu zusammengesetzt wird und prozentual die verschiedenen Interessensgruppen beinhaltet (Unternehmer, Wissenschaftler, Beamte, Angestellte, Arbeiter, Kranke, Arbeitslose, Katholiken, Evangelisten …) auch täglich abgewählt werden können, wenn sie ihre Arbeit gegen das Volk machen, dass es keine diplomatisch Geschützten mehr zu geben habe, dass Reiche ab der 100sten Million über 80 % besteuert werden, dass die Verfassung nur menschliche, aber keine wirtschaftlichen Inhalte zu beinhalten habe, dass verbrecherische Banken, Versicherungen etc. nicht mehr weiter zu arbeiten und gerettet zu werden haben und so weiter und so fort.

Aber all das hat Sie niemals interessiert. Deshalb tragen Sie auch massiv Mitverantwortung für den Niedergang der Normalbürger wie Ihrer eigenen Partei.

Freundlich
Ich

Ich fordere auch
Ich fordere auch
Reply to  Ich fordere seit
17. Dezember 2019 09:47

seit über 10 Jahren, dass man aufzuforsten habe, stattdessen hat man einen Vertrag unterschrieben, der weltweit bis 2050 eine Abholzung von 50% zulässt; ganz so, als ob das nichts sei, schließlich nimmt man nur das wahr, was man selbst sieht.

Und das ist für Österreicher, dass der Wald mehr und mehr wird. Dass das Land diesbezüglich aber mit seinen 83.000 qkm+ völlig unbedeutend ist, fällt wohl keinem auf. Und weil die Luft so gut ist, sind 50% eh nix [sic!]. Wichtig dabei, dass sich einige Unternehmer noch schnell massiv auf Kosten der gesamten Erdlebewesen bereichern dürfen, was sie in den Wirtschaftsgremien auch selbst beschlossen haben.

Und außerdem wird nicht gesehen, dass das Säugetier Mensch seit den 1850er-Jahren die Weltwälder bereits um 90% dezimiert hat.

Fazit: Diese gedachten, lächerlichen 50% bis 2050 bedeuten also, dass man bis dahin nur noch 5% des Waldes von 1850 sehen können wird.

Mit der Sichtweise derzeitig Wahnsinniger dürfte man dann ja bis 2100 nochmals 50% der Bauwut verschiedener Unternehmer zustimmen, die das Nachforsten nur dort machen, wo Unternehmen auch dem ZWANG unterliegen. Und das ist genau einmal in Österreich, der Schweiz und ein bisschen in Deutschland.

Deshalb wird auch in Russland, Polen, Tschechoslowakei, Rumänien und Co. gekauft. Ein sich rühmendes Kärntner Unternehmen ist dort voll dabei. Aber bei 8000 Stämmen und bis zu 300 qm täglich ist das Aufforsten ja kein Problem?

Bin mir sicher, dass weltweit keine 8000 Bäume täglich gepflanzt werden. Macht nix: Bäume wachsen ja ganz besonders schnell: vor allem in kalten Regionen wie Russland und Co.

Freundlich
Ich

PS: Mit dem Wald von damals würden alle Abgase ein lächerlich Ausstößchen sein!

Korr.:
Korr.:
Reply to  Ich fordere auch
17. Dezember 2019 09:54

… Aber bei 8000 Stämmen und bis zu 3000 qm täglich, die zu Brettern verarbeitet werden, ist das Aufforsten ja kein Problem …

Dafür hat der LH das Unternehmen ja auch noch als bester Arbeitgeber gelobt. Mal schauen, was die Zwangsarbeit ohne Luft zum Atmen bringt!

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