Es war ein Überraschungssieg und ein Schlag ins Gesicht von Victor Orbán: Als die Opposition im Oktober die ungarische Hauptstadt Budapest mit großer Mehrheit eroberte – trotz Orbáns Übermacht und seine Kontrolle der Medien. Jetzt haben Budapest, Warschau, Bratislava und Prag einen Pakt der Freien Städte gegründet. Im Gegensatz zu den autoritären Regierungen ihrer Staaten bekennen sie sich zu Klimaschutz, Demokratie und Gerechtigkeit. Dieser Pakt soll der Ausgangspunkt für eine politische Wende in den östlichen EU-Staaten sein, hofft Kata Tüttő, die neue Vizebürgermeisterin von Budapest, im Interview mit Kontrast.
Noch vor kurzem wurde Budapest von einem Fidesz-Bürgermeister regiert, der war vor allem dem Ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán verpflichtet. Gutes Regieren oder der ökologische Aufbruch waren kein Thema. Doch zwei Monate nach der schwersten Niederlage Orbáns haben vier Bürgermeister in Budapest den „Pakt der freien Städte“ unterzeichnet: Gastgeber Gergely Karácsony (Budapest), Rafał Trzaskowski (Warschau), Zdeněk Hřib (Prag) und Matúš Vallo (Pressburg/Bratislava). Es soll ein positives Bündnis sein, aber auch ein Abwehrbündnis gegen die populistischen Regierungen ihrer Länder.
Kontrast: Wie entstand der Plan eines Paktes progressiver Städte?
Tüttő: Es war eine natürliche Sache. Schon vor den Wahlen im Oktober haben wir viel über die Rolle der Städte in Europa in den kommenden Jahrzehnten gesprochen. Ich bin selbst Mitglied des Europäischen Ausschusses der Regionen und jetzt auch stellvertretender Bürgermeister von Budapest. Ich habe in den letzten Jahren für die Idee geworben, die Städte in der Europäischen Union stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Innerhalb der EU sollten wir Allianzen von Städten bilden. Ja, natürlich sind wir an die Zusammenarbeit zwischen den mitteleuropäischen Ländern gewöhnt, aber ich habe mich immer auch auf Städte konzentriert. Dass großen Städte mit ähnlichen Problemen ein Bündnis bilden, schien mir eine natürliche Sache zu sein. Wir haben bereits länger daran gearbeitet, und nach den Wahlen im Oktober wurde es mit dem neuen progressiven Bügermeister in Budapest auch möglich.
Kontrast: Wie unterscheiden sich diese Städte und insbesondere Budapest vom Rest des Landes?
Tüttő: In Ungarn haben wir eine verhältnismäßig große Hauptstadt. Budapest hat etwa 2 Millionen Einwohner, wenn man die Vororten mitberechnet, die zweitgrößte Stadt Ungarns hat etwa 200.000 Einwohner. Das ist ein großer Unterschied. Budapest ist also nicht nur die Hauptstadt, sondern auch die bei weitem größte Stadt. Die Stadt hat spezifische Hauptstadt-Probleme, die auch Städte wie Bratislava, Warschau, Wien und Ljubljana kennen. Wenn wir nach Lösungen für Herausforderungen wie die Klimakrise, den öffentlichen Verkehr, den Wohnungsbau oder grüne Energie suchen, ist die Kooperation der Städte eine ganz natürliche Allianz. Dieses Bündnis funktioniert sowohl auf lokaler Ebene, wo wir uns gegenseitig helfen, als auch auf europäischer Ebene, wo wir nach einer stärkeren Direkt-Finanzierung für Städte in der nächsten Finanzierungsperiode der Europäischen Union streben.
Kontrast: Beunruhigt Sie die große politische Kluft zwischen Stadt und Land?
Tüttő: Es ist eine große Sorge, und wir suchen nach Lösungen, weil wir in vielen verschiedenen europäischen Ländern das gleiche Phänomen haben. Bei den letzten Wahlen haben zehn große ungarische Städte einen progressiven Bürgermeister gewählt, darunter Budapest. Aber am Land wählen die Menschen immer noch überwiegend die Partei von Viktor Orbán. Obwohl wir das Problem auch an anderen Orten sehen, ist in Ungarn auch die Fragen der Pressefreiheit damit verflochten.
Freunde von Familienmitgliedern des Ministerpräsidenten besitzen fast die Hälfte aller Medien in Ungarn. Die fortschrittlichen Städte können als Gegengewicht zu den von Orbán kontrollierten Medien fungieren und eine andere Perspektive bieten – zumindest lokal.
Kontrast: Orbán versucht aktiv, die Redefreiheit einzuschränken. Können Sie erkennen, wie der Plan zur Kontrolle des Theaters Teil dieses Unterfangens ist?
Tüttő: Seit zehn Jahren ist die Autonomie der Städte und der lokalen Ebene in Ungarn am Verschwinden. Es gab eine starke Zentralisierung der Steuereinnahmen. Damit einher ging die Zentralisierung des Bildungswesens, des Gesundheitswesens und der Kultur-Politik In Budapest haben wir viele öffentliche Theater, und sie werden vom Staat finanziell unterstützt. Die Regierung Orbán versucht, die Zentralisierung der Finanzierung zu nutzen, um die Kontrolle über die Theater zu erlangen.
Früher haben wir die Direktoren der Theater unabhängig von der Zentralregierung gewählt. Das wurde von Orbán und seiner Regierung heftig kritisiert, weil sie selbst die Ernennung der Regisseure kontrollieren wollen. Sie beschweren sich über die unabhängig gewählten Regisseure, weil sie für ihren Geschmack zu progressiv sind.
Generell missfällt der Orban-Regierung die progressive Kultur Budapests und Orban ist unzufrieden damit, dass die Stadt nicht die konservative Weltsicht des Ministerpräsidenten teilt.
Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das Theatergesetz nicht umgesetzt wird, da es auf starken Widerstand stößt.
Kontrast: Was waren die Hauptgründe, die die Opposition in Budapest zum Sieg bei den letzten Wahlen geführt haben?
Tüttő: Es war die Koalition aller Oppositionsparteien. Das war der Hauptunterschied zu den nationalen Wahlen von 2018. Wir konnten der Orbán Partei einen gemeinsam Kandidaten entgegenstellen. Um zu diesen gemeinsamen Kandidaten zu kommen, haben wir Vorwahlen innerhalb der Koalition der Oppositionsparteien durchgeführt. Das war etwas völlig Neues in Ungarn. Budapest war die erste Stadt, in der eine Vorwahl stattfand. Durch diesen Prozess konnten wir einen gemeinsamen Kandidaten wählen, Gergely Karácsony aus dem sozialistisch-sozialdemokratischen Bündnis. Ich bin sehr glücklich, dass Budapest ihn zum Bürgermeister gewählt hat.
Kontrast: Glauben Sie, dass dieses Modell der Oppositions-Koalition auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird?
Tüttő: Das hoffe ich wirklich sehr. Die Vorwahlen dienen nämlich auch dazu, die Bürger in den politischen Prozess einzubinden. Das ist ein sehr wichtiges Element der Zusammenarbeit der Oppositionsparteien, nicht den Kandidaten hinter geschlossenen Türen zu wählen, sondern einen offenen Prozess zu haben. Diese Koalition muss bei der Aufstellung des Programms und der Auswahl der Kandidaten sehr offen sein und die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess einbinden. Aber das ist nur die erste Stufe. Im Jahr 2020 werden wir diesen Prozess auf nationaler Ebene beginnen, um uns auf die nächste nationalen Wahlen vorzubereiten.
Kontrast: Was erhoffen Sie sich für die politische Zukunft Ungarns?
Tüttő: Wir haben nicht nur ein, sondern zwei Bündnisse gebildet: Das Bündnis der vier Hauptstädte und ein freies Bündnis der Städte innerhalb Ungarns. Meine Hoffnung ist, dass diese freien Städte eine Basis für den Wiederaufbau der Demokratie in Ungarn sein werden. Diese Städte bieten gute Lösungen im Wohnungsbau, bei der Bewältigung der Klimakrise und bei der demokratischen Beteiligung. Die gute Regierungsführung und der Wiederaufbau der Demokratie basierend auf den Pakt der freien Städte wird hoffentlich in naher Zukunft einen Wandel in Ungarn auslösen.
Die gebürtige Budapesterin, Kata Tüttő ist Mitglied der MSZP, der Ungarische Sozialistische Partei, und seit Oktober Vize-Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt. Neben ihrer Tätigkeit in Ungarn ist sie auch im Europäischen Ausschuss der Regionen aktiv, wo sie die Zusammenarbeit zwischen progressiven Städten fördert.