Sebastian Kurz hat der ÖVP sieben Bedingungen gestellt. Und die ÖVP hat sie ihrem Obmann am Parteitag erfüllt. Warum sich die ÖVP nicht wirklich verändern wird, sondern das Ganze ein großer PR-Trick ist, erklären wir hier.
Die ÖVP ist keine einheitliche Partei: Neben den neun Landesparteien dominieren vor allem die Bünde. Der neue ÖVP-Chef Kurz wollte das ändern: Deswegen forderte er weitgehende Gestaltungsfreiheit – personell und inhaltlich. Er soll Inhalte selbständig setzen, Kandidaten-Listen verändern und freie Hand bei der Regierungsbildung haben.
Auffallend ist, dass diese angeblich enorme Entmachtung von Ländern und Bünden am Parteitag ganz ohne Debatte verlief: Niemand der 467 Delegierten widersprach, ÖVP-Länder und die Bünde nickten ihren Machtverlust scheinbar bereitwillig ab.
Die alte ÖVP in neuer Farbe
Bald nachdem Kurz seine Forderung das erste Mal erhob, stellte sich heraus: Fast alles davon wurde bereits von seinen Vorgängern Spindelegger und Mitterlehner in der ÖVP angestoßen und auch umgesetzt – die große Revolution ist also reine Inszenierung. Kurz betonte stets: Er wolle die ÖVP erneuern und daher nur zu seinen Bedingungen antreten – bloß waren seine Bedingungen deckungsgleich mit denen der alten ÖVP.
Die Macht der Bünde wird dabei natürlich nur auf dem Papier eingeschränkt. So betonte der ehemalige ÖVP-Wien-Obmann Bernhard Görg:
„Tatsächlich wird es so kommen, dass jetzt alle Vertreter der Bünde und Länder Sebastian Kurz alle Vollmachten, die er haben will, versprechen werden. Und ausnahmslos alle werden von ihm erwarten, dass er diese Vollmachten niemals einlösen wird.“
Auch Niederösterreichs ÖVP-Landesobfrau Mikl-Leitner erklärte, dass Kurz den alten ÖVP-Stil fortsetzen werde – die einzige Änderung bestehe darin, dass der Bundesobmann nun endlich wie die Landeschefs agieren könne: „Es ist vernünftig, dass der Bundesparteiobmann endlich ähnliche Möglichkeiten in die Hand bekommt, wie wir sie in den Ländern seit jeher gewohnt sind.“
Der ehemalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol betonte auf dem Parteitag: „Schauen Sie, das sind Pickerln. Ich kann eine Marmelade Marmelade oder Konfitüre oder Jam oder Fruchtmark nennen – es bleibt immer Marmelade.“
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So sieht es im Übrigen auch Reinhold Lopatka, ÖVP-Klubobmann. Sein Resümee: Nix Neues an der ÖVP.
Laut Lopatka gibt es inhaltlich nichts Neues bei der “Neuen” ÖVP pic.twitter.com/a2AcafHsKN
— ÖVP Watch (@oevpticker) 19. September 2017
Wenig Inhalte, viel ÖVP
Über die politischen Ziele von Sebastian Kurz weiß man wenig – und das obwohl er das längst dienende Regierungsmitglied und jetzt auch der Spitzenkandidat seiner Partei ist. Will man wissen, wo er in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Bildung oder Umwelt steht, muss man tief graben. Und selbst dann findet man nicht mehr als Schlagworte.
Das ist kein Zufall. Kurz weiß: Solange er keine konkreten Positionen bezieht, kann jeder auf ihn projizieren, was er will. Deswegen wollte er auch nicht Vizekanzler werden – dann hätte er in den innenpolitischen Debatten seine Ansichten vertreten müssen. Deswegen will er auch sein Wahlprogramm erst im September veröffentlichen – obwohl es Insidern zufolge schon seit Monaten fertig ist.
Kurz weiß, dass er seine politischen Positionen vage halten muss. Andernfalls würde schnell sichtbar werden: Er steht für das alte ÖVP-Programm. Kurz sitzt seit 7 Jahren im ÖVP-Regierungsteam und hat an den Standpunkten der ÖVP nie etwas kritisiert. Wieso sollte sein Programm jetzt anders aussehen?
Die Rückkehr der alten Garde
Kurz‘ engste Verbündete kommen – neben seinen Jugendfreunden aus der Jungen ÖVP – vor allem aus der alten ÖVP-Garde rund um den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel: der ehemalige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, der ehemalige IV-Chef Veit Sorger, der Investor René Benko, der Präsident der IV Georg Kapsch, etc.
Einer von Kurz‘ engsten Beratern scheint Wolfgang Mazal zu sein, jener Arbeits- und Sozialrechtler der die wesentlichen Gesetze der Schwarz-Blauen-Orangen Regierung von 2000-2006 formulierte – und nun die Einführung von 1-Euro-Jobs in Österreich fordert.
Eine Frauenquote, die den Namen nicht verdient
Eine von Kurz’ Forderungen war die Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen bei den Kandidatinnen. Doch bereits 2015 hat sich die ÖVP zu einem Reißverschlussprinzip auf ihren Listen verpflichtet – Männer und Frauen wechseln sich auf den Listen damit ab.
In der Praxis des österreichischen Wahlsystems bedeutet es dennoch nicht, dass in Zukunft mehr Frauen für die ÖVP im Nationalrat sitzen. Denn auf Grund des österreichischen Wahlsystems erhält nur der erste Platz der Liste ein Mandat. Und das sind in der Regel Männer. Denn eine Quotenregelung für Abgeordnete (zB. 45% der MandatarInnen müssen Frauen sein) kennt das ÖVP-Statut nicht.
Hätte die ÖVP das Reißverschlussprinzip schon bei der letzten Wahl angewendet, wäre genau nichts passiert: Weder über die Bundes- noch die Landesliste wäre eine einzige Frau mehr in den Nationalrat eingezogen. Von den 25 Regionalwahlkreisen, aus denen die ÖVP derzeit Mandate erhält, wären lediglich in zwei Umreihungen aufgetreten.
Ein Vetorecht, das nichts wert ist
Seine Durchsetzungsstärke gegenüber Ländern und Bünden will Kurz mit dem „Vetorecht“ des Obmanns bei Landeslisten erhalten. Bisher durfte der ÖVP-Bundesvorstand ein Veto gegen unliebsame Kandidatinnen aussprechen – dieses Recht wandert jetzt zum ÖVP-Obmann.
Dies verschiebt die Zuständigkeit also vom Vorstand zum Obmann und stärkt ihn damit zweifellos. Doch am Ende sitzen die Landesparteien dann doch wieder am längeren Ast. Denn sie allein sind es, die am Ende des Tages die Wahlvorschläge bei ihren Landeswahlbehörden einbringen. Eine Liste ist auch dann gültig, wenn sie ohne Einvernehmen mit dem Obmann eingebrachte wird.