Rechtsextremismus

Wie ÖVP-Politiker den Austrofaschisten Dollfuß würdigen – statt sich abzuwenden

Karl Nehammer, ÖVP-Chef und aktueller Bundeskanzler, nennt das Dollfuß-Regime eine „Kanzlerdiktatur“. Mit solchen Bezeichnungen blendet man den faschistischen Inhalt seiner Herrschaft aus, kritisiert Politikwissenschaftler Emmerich Tálos. Die Frage „Wie hält es die ÖVP mit Dollfuß?“ wurde lange nicht mehr gestellt. Doch mit der Angelobung von Gerhard Karner – in seiner Gemeinde steht das umstrittene Dollfuß-Museum – ist das Thema neu aufgeflammt. Wir haben zusammengetragen, wie viel – oder wenig – Berührungsängste ÖVP-Politiker mit dem Gedenken an den Austrofaschisten Dollfuß haben.

Engelbert Dollfuß wurde 1932 Bundeskanzler der noch demokratischen Republik Österreich und regierte zunächst mit dem Landbund und dem Heimatblock. Später machte er den Führer der paramilitärischen Heimwehr Wien, Erich Fey, zum Staatssekretär – der in dieser Funktion nicht nur Versammlungen und Demonstrationen von Nationalsozialisten verbot, sondern auch jene von SozialdemokratInnen und KommunistInnen. Das Ziel von Dollfuß war eine Diktatur unter seiner Führung.

Am 1. März 1933 führte dann eine Geschäftsordnungsdebatte im Parlament zum Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten. Das nutzte Dollfuß aus: Als zwei Wochen später das Parlament erneut tagen wollte, setzte die Dollfuß-Regierung die Polizei samt Waffengewalt ein, damit die Abgeordneten nicht zusammentreten konnten. Im Mai 1933 schaltete er den Verfassungsgerichtshof aus – womit er die unabhängige Rechtssprechung einstampfte – und erklärte Österreich zum „Ständestaat“. Also einem Staat, der über Berufsstände organisiert sein soll, weshalb es auch keine anderen Parteien als die von Dollfuß gegründete „Vaterländische Front“ bräuchte. Umgesetzt wurde diese „Stände“-Ordnung jedoch nie. Die diktatorische Politik breitete sich jedoch aus.

Quelle: ÖNB, Signatur: Pf 5465:C (27) POR MAG

GegnerInnen der Diktatur ließ Dollfuß verfolgen und in Anhalte-Lager – wie in das ab Oktober 1933 bestehende Lager Wöllersdorf – einsperren. Im November 1933 führte Dollfuß das „Standrecht“ – also Verurteilungen ohne Verfahren – samt Todesstrafe ein. Per Notverordnung weitete er die Todesstrafe am 12. Februar 1934 auf den Tatbestand des „Aufruhrs“ aus – und ließ nach den Februarkämpfen 1934 auf dieser Basis sozialdemokratische Überlebende hinrichten. 21 Arbeiter-KämpferInnen wurden zum Tod verurteilt. Neun von ihnen, darunter Anton Bulgari, Karl Münichreiter, Georg Weissel und der steirische Schutzbundführer Koloman Wallisch, hab man standrechtlich gehenkt.

Das „Standrecht“ wird verhängt. (Foto: Gesellschaft für Kulturpolitik
Oberösterreich)

Die Zerstörung der Republik und die Verfolgung von Oppositionellen nutzte später den NationalsozialistInnen: Der Widerstand gegen das faschistische Lager war bereits gewaltsam eingeschränkt.

Was war Engelbert Dollfuß also? Der Schriftsteller Robert Menasse hat 2004 darauf eine kurze und klare Antwort gefunden:

„Faktum ist: Engelbert Dollfuß war ein Faschist. Man kann das mit zwei Argumenten,die historisch völlig außer Streit stehen, unwiderlegbar begründen. Erstens: Er hat es selbst gesagt. Zweitens: Dollfuß hat es in seiner politischen Praxis, solange er Zeit dazu hatte, bestätigt. Faschismus ist autoritäre Gewaltherrschaft, die (…) das Parlament außer Kraft setzt, demokratische Strukturen zerstört, jegliche Opposition verfolgt und vor allem die Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung verbietet (…).“ Robert Menasse 2004

Dollfuß politisch einzuordnen, ist also eine relativ klare Sache. Doch noch immer wird der Diktator in konservativen Kreisen gewürdigt – vor allem innerhalb der ÖVP.

1996 „Die ÖVP hält Dollfuß in höchstem Ansehen“ – Andreas Khol hält noch 2016 daran fest

2016 trat Andreas Khol für die ÖVP zu den Bundespräsidenten-Wahlen an. 20 Jahre zuvor zeigte er in einem „profil“-Interview, welche Ansichten der langjährige ÖVP-Klubobmann zu Figur Engelbert Dollfuß vertritt. Khol:

Er war ein österreichischer Patriot, ein großer Bauernführer und Begründer der bäuerlichen Sozialpolitik, lange bevor er den Ständestaat eingerichtet hat. Er ist im Kampf gegen den Nationalsozialismus als erster Blutzeuge ermordet worden. Die ÖVP hält ihn in höchstem Ansehen.“ (Andreas Khol, ehem. ÖVP-Bundespräsidentschaftskandidat)

2016 auf diese Aussage angesprochen, bekräftigte Khol sie nochmal – und verwehrte sich, wie schon früher, gegen den Begriff „Austrofaschismus“. Denn dieser wäre „von Vorurteilen geprägt„, bloß „ideologisch“ und würde dazu führen, eine Ära nur „einseitig“ zu betrachten – und verweist Historiker, die meinen, Dollfuß habe „aus Notwehr“ die Demokratie abgeschafft. Als Khol das Amt des Nationalratspräsidenten innehatte, wertete er ein Buch, das Dollfuß als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten darstellte, als „wichtigen Diskussionsbeitrag„.

Dabei war Dollfuß selbst überzeugter Antisemit. Er schlug bereits 1920 einen „Arierparagraphen“ für den Cartellverband vor. Juden sollten aus dem Verband gedrängt werden. Als Kanzler erließ er zwar keine antijüdischen Gesetze, unternahm aber auch nichts gegen antisemitische Übergriffe und Boykott-Aufrufe gegen jüdische Geschäfte. Ab 1933 wurden viele jüdische Beamte aus dem Dienst entlassen und per Erlass eigene Schulklassen für jüdische Kinder errichtet.

Das Grab von Engelbert Dollfuß am Hietzinger Friedhof in Wien – Pilgerstätte für jene, die den einstigen Diktator bewundern. (Foto: Wikipedia/ D-Kuru, CC BY-SA 4.0)

1998 würdigt Erwin Pröll Dollfuß als „mutigen Patrioten“

In Texing in Niederösterreich steht Österreichs einziges Dollfuß-Museum. Es ist allerdings kein allgemeines oder gar kritisches Museum über den Austrofaschismus, sondern widmet sich vielmehr dem „Erneuerer Österreichs“, wie es auf einer Marmortafel vor dem Haus heißt.

Die Zeithistorikerin Lucile Dreidemy beschrieb in der “Zeit”, welcher Geist im Inneren des Museums vorherrscht:

“Die drei niederen Räume sind gefüllt mit einem kunterbunten Sammelsurium an Devotionalien, Erinnerungsplakaten, Dollfuß-Straßenschildern, Gedenkbüchern und Fotodokumenten, auf denen neben der ärmlichen Herkunft des „Heldenkanzlers“ vor allem das teils operettenhafte Pathos seines Regimes verewigt ist. Das Faksimile eines Zeitungsberichts aus dem Jahr 1933 lobt die „Erfolge der einjährigen Kanzlerschaft“: „Konzentrationslager für alle Vaterlandsverräter“.

Dreidemy kritisiert den regelrechten Kult, der dort um den Austrofaschisten betrieben wird – sogar Erde aus dem Dollfuß-Grab in Wien wird dort ausgestellt. Im Gästebuch verewigen sich Dollfuß-Fans, die dem „großen Märtyrer“ für dessen Werk danken und sich wieder einen „starken Führer“ wünschen, um gegen MigrantInnen vorzugehen.

Der ehemalige NÖ-Landeshauptmann Erwin Pröll bezeichnete Dollfuß als „großen und mutigen Patrioten“. (ÖVP) (Foto: Wikipedia/Pavol Frešo/CC BY 2.0)

Eröffnet hat das Museum 1998 der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll. Der bedankte sich in seiner Eröffnungsrede für das angeblich „objektive Bild auf wissenschaftlicher Basis“, das das Museum vermittle. Und lobte das Museum als „Stätte der Begegnung, des Dialoges und des ‚Aus-der-Geschichte-Lernens’“.

Und Dollfuß? Der war laut Pröll zwar kein Demokrat, „aber sicher kein faschistischer Diktator, sondern unbestritten ein großer und mutiger Patriot im verzweifelten Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus.“

Auch der heutige Innenminister Gerhard Karner zeigte sich noch 2018 als Fan des Museums, der – anlässlich des 20-jährigen Bestehens, dessen Standing lobte. „Dort wird das Historische gut erarbeitet und kritisch behandelt„, befand Karner.

Ganz anders sieht das Siegfried Nasko. Er ist Niederösterreicher, Autor und ehemaliger SPÖ-Abgeordneter im NÖ-Landtag. Er hat selbst eine Reihe von Museen und Ausstellungen mitgestaltet hat, die die Zeit der Ersten Republik und des Austrofaschismus zum Inhalt hatten. Er ist entsetzt über die Gestaltung des Museums. „Wenn ich dieses Museum betrete und Dollfuß lobende Zeitungsartikel vorfinde, in denen begrüßt wird, dass ein Anhaltelager eröffnet wird, dann muss man sich schon fragen, welche Funktion dieser Ort erfüllt.“

Bis 2014: Dollfuß-Gedenken in Bundeskanzler-Kapelle

Es ist fast in Vergessenheit geraten, aber: Seit 1934 fand (mit Ausnahme der Zeit der NS-Herrschaft) in der Kapelle des Bundeskanzleramts jedes Jahr im Juli eine Gedenkfeier statt. Immer um den 25. Juli herum. Denn an diesem Datum im Jahr 1934 wurde Dollfuß von nationalsozialistischen Putschisten ermordet. Was als reines Dollfuß-Gedenken begann, wurde nach 1945 als allgemeines Kanzler-Gedenken fortgeführt. Jedoch immer mit fahlem Beigeschmack.

Unter der Kanzlerschaft von Werner Faymann wurden diese verklärenden Feierlichkeiten abgeschafft: Seit 2014 nutzt man den Allerseelentag, um – ganz allgemein – aller ehemaligen Kanzler, MinisterInnen und Ballhausplatzes-MitarbeiterInnen zu gedenken.

Bis 2017: Dollfuß als Wandschmuck im ÖVP-Parlamentsklub

Bis 2017 hing im Klubsitzungssaal der ÖVP ein großes Porträt von Engelbert Dollfuß – in einer Reihe mit anderen Christlich-Sozialen und späteren ÖVP-Politikern. Die Beschriftung des Bildes auf der Messing-Tafel:

Dr. Engelbert Dollfuß
geb. 4.10.1892 Texing (NÖ),
gest. 25.7.1934 Wien
(ermordet im Verlauf des
nationalsozialistischen Putschversuchs),
Kammeramtsdirektor,
Landwirtschaftsminister 1931–34,
Bundeskanzler 1932–1934.

Kein Wort über Dollfuß als Diktator. Kein Wort über die Abschaffung der Demokratie, über Austrofaschismus, Bürgerkrieg, Arbeitermord.

engelbert dollfuss övp

Engelbert Dollfuß-Porträt nach dem Original von Tom von Dreger. (Foto: Wikipedia)

Gegen Kritik am Dollfuß-Porträt rückten ÖVP-Klubobmänner wiederholt aus – und relativierten in der Geschichtsdebatte die Rolle der Person Dollfuß. Reinhold Lopatka beschwichtigte 2014, dass das Porträt ja nicht öffentlich zugänglich sei, sondern in einem ÖVP-Arbeitsraum aufgehängt war. Überhaupt sei Dollfuß ein Mann gewesen, der „an dieses Österreich“ geglaubt und „gegen Hitler gekämpft“ hätte. Ein Abhängen des Bildes kam ihm nicht in den Sinn.

Für Reinhold Lopatka war Dollfuß ein Mann, der „an dieses Österreich geglaubt“ und „gegen Hitler gekämpft“ hat. (Foto: Parlamentsdirektion/Mike Ranz)

Erst 2017 übergab der Parlamentsklub das Porträt dem „Haus der Geschichte“ in Niederösterreich. Dort war es bis 2019 Teil einer Sonderausstellung, bevor es dem Depot der Landessammlungen Niederösterreich übergeben wurde.

2018 und 2021: Noch immer Kranzniederlegungen am Dollfuß-Grab durch ÖVP

Dollfuß war zu Lebzeiten Mitglied der katholischen Studenten-Verbindung Franco-Bavaria in Wien. Noch heute trauern deren Mitglieder um ihren „Bundesbruder“ Dollfuß. Und sind damit nicht allein. Über Jahre hinweg legte die ÖVP – in Form des Rathaus-Klubs in Wien oder auch der Bundespartei – am 25. Juli, dem Todestag von Dollfuß, Blumen auf dessen Grab am Hietzinger Friedhof. Ein Twitter-User hat laut eigenen Angaben noch 2018 um Allerheiligen herum einen Gedenk-Kranz am Dollfuß-Grab entdeckt und fotografiert. Gewidmet wurde der Kranz vom ÖVP-Parlamentsklub, 2018 wie jetzt auch unter der Obmannschaft von August Wöginger. Kanzler war Sebastian Kurz.

Der ÖVP-Kameradschaftsverband jedenfalls macht aus dem jährlichen Besuch des Dollfuß-Grabes keinen Hehl. In ihrer Zeitung  „Der Freiheitskämpfer“ kündigten sie – wie hier 2019 – das Zusammenkommen am Hietzinger Friedhof an. Inklusive Rede-Beitrag der Enkeltocher von Dollfuß. Zwei Jahre später, 2021, berichtet die Zeitschrift abermals von einer Kranzniederlegung: Es heißt, man habe einen Kranz „unserer Vereinigung niedergelegt“ (also des Kameradschaftsverbands) und „die ÖVP hatte dies bereits zuvor getan„.Von Distanz also keine Spur.

Politikwissenschaftler Tálos: ÖVP betreibt „Verdrängungsprozess ganz ungeheuerlicher Art“

Ankündigung des Grab-Besuchs 2019. (Quelle. Vereinszeitschrift der ÖVP-Kameradschaft)

Ein Wissenschaftler, der die Relativierungen durch die Regierungspartei immer wieder kritisiert, ist Emmerich Tálos. Der Politikwissenschaftler zählt zu den führenden Experten in Österreich, wenn es um Analysen des Austrofaschismus geht. Er sieht in den Erzählungen rund um die Person Dollfuß einen „Verdrängungsprozess ganz ungeheuerlicher Art„. Tálos hat in seinen Untersuchungen der politischen Geschehnisse der frühen 30er Jahre nachgezeichnet, dass die Zerstörung von Parlament und Demokratie kein Zufall oder gar Notwehr war, sondern ein ganz zentrales Ziel von Dollfuß.  „Material dazu gibt es genug“, sagt Talos, „die Damen und Herren von der ÖVP wollen es aber nicht wahrhaben.

Tálos ist auch mit der Verwendung von Bezeichnungen wie „Dollfuß-Schuschnigg-Regime“ oder  „Kanzlerdiktatur“, wie von Nehammer oder Khol ins Spiel gebracht, nicht zufrieden. Denn auch diese verschweigen den faschistischen Kern der Dollfuß-Herrschaft. „Diese Begriffe sagen über den Inhalt des Herrschaftssystems nichts aus. Der Begriff „Kanzlerdiktatur“ zielt nur auf Stil und Struktur der Herrschaft ab, sagt aber nichts über Inhalt und Interessen“, erklärt der Politikwissenschaftler gegenüber dem „Standard„.

Emmerich Tálos und sein Standardwerk zum Thema Austrofaschismus

Der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos hat gemeinsam mit Wolfgang Neugebauer die „bisher umfassendste Analyse“ zum Thema Austrofaschismus durchgeführt. Die Beiträge im Buch untersuchen auf die zentralen Aspekte der Dollfuß-Herrschaft, die bis 1938 Bestand hatten: von der Machtergreifung, den bestimmenden Ideologien, politischen Strukturen und Akteuren bis hin zu Politikfeldern wie Sozial-,Frauen-,Wirtschafts-, Repressions-, Schul-,Kultur- und Außenpolitik. 

Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer: Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933-1938. LIT Verlag, 2014.

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saloo
saloo
15. Dezember 2021 20:46

na bitte, jetzt nach 80 Jahren es währe besser wir würden und gegen die neue Anitdemokratie stemmen ohne zwang aber was machen wir genau wir rennen genau so hinterher wie alle vor über 80 Jahren . Wir dürfen einen Undemokratischen Zwang nicht zulassen sonst machen wir uns Mitschuldig

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