Mit dem Gewaltschutzpaket knapp vor der Wahl wollen ÖVP und FPÖ politisches Kleingeld machen. Um den echten Schutz von Opfern geht es ihnen bestimmt nicht, findet die Psychotherapheutin Elisabeth Müllner. Im Gegenteil: Die Situation für die Opfer würde sogar verschlechtert werden. So sollen etwa Psychotherapeuten verpflichtet werden, Anzeige zu erstatten – auch ohne die Zustimmung der Opfer. Doch damit werden sie ein weiteres Mal zum Opfer gemacht.
Unter dem Titel Gewaltschutzpaket wird im Nationalrat ein breites Bündel von Maßnahmen gegen Gewalt und zum Schutz speziell für Kinder und Frauen zur Abstimmung vorgelegt werden. Insgesamt sind bei 25 Gesetzen Änderungen vorgesehen. Viele der vorgeschlagenen Änderungen betreffen Gesetze von Gesundheitsberufen, darunter auch jenes, welches die Psychotherapie in Österreich regelt. Die vorgeschlagene Änderung betrifft die sogenannte Verschwiegenheitsregelung. Vorgesehen ist künftig, dass ein Psychotherapeut verpflichtet ist, Anzeige zu erstatten, wenn sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit der begründeten Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde. Sind oder waren Kinder und Jugendlichen sowie handlungs- und entscheidungsunfähige Erwachsene Misshandlungen, Vernachlässigungen, Quälen, Vergewaltigung oder Missbrauch ausgesetzt, so besteht ebenfalls Anzeigepflicht.
Gewaltschutzpaket bedeutet Opfer nicht zu bevormunden
Die Arbeit an seelischem Leid bedarf einem besonderen Verhältnis zwischen Hilfesuchenden und Psychotherapeut. Für viele, die den Weg in eine Psychotherapie wählen, stellt das freie Reden über das, was sie belastet, aus eigenem Scham- oder Schuldgefühl ein Hindernis dar. Wer mit Menschen arbeitet, die Gewalt ausgesetzt waren oder auch sind, weiß, dass diese Menschen oft unter starken Schuldgefühlen leiden. Das gilt speziell für sexuelle Gewalt. Dies mag Außenstehende irritieren. Aber im Psychischen verbindet sich äußeres Geschehen mit inneren Fantasien und das Erlebte wird sehr subjektiv interpretiert. Schließlich ist Sich-selbst-Schuld-Zuschreiben auch ein Versuch, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein zu leugnen: wenn ich selbst schuld bin, hätte ich auch die Möglichkeit gehabt, ein schlimmes Ereignis abzuwenden. Ein sehr hoher Preis wird dafür gezahlt, sich die Illusion der eigenen Souveränität aufrechtzuerhalten. Um sich schrittweise dem zu nähern, wie sich Erfahrungen von Gewalt, Hilflosigkeit, Ausgeliefert-Sein im eigenen seelischen Leben niederschlagen, bedarf es spezieller „Redebedingungen“.
Das Gegenüber darf dabei nur der Sprechenden verpflichtet sein. Ein Gegenüber, das ohne „Nebenaufträge“ zuhört. Ein Gegenüber, das ohne zu kategorisieren und urteilen bereit ist, zu hören. Dies meint auch oder gerade, den anderen nicht von vornherein in der Position des Opfers zu sehen. Jemand, der die Erfahrung des Ausgeliefert-Seins erlitten hat, ringt zumeist darum, sich seine Würde zu erhalten oder wiederzuerlangen. Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess besteht darin, sich für sein eigenes Leben wieder zuständig zu erachten, sich selbst dafür verantwortlich zu machen.
Psychotherapeuten sind in erster Linie Unterstüzung für die Opfer, nicht die Polizei
Wenn in einem derartigen diffizilen psychischen Prozess die Psychotherapeutin zwangsweise zur Hilfskraft einer Strafverfolgungsbehörde mutiert, so ist dies nie im Interesse der Hilfesuchenden. Das Gegenteil ist der Fall. Diese wird wieder zum Spielball fremder Interessen. Sie wird wieder benützt, damit andere ihr Ziel verfolgen können. Sie wird wieder einem Vorgang und einem Verfahren ausgesetzt, auf welche sie wenig bis keinen Einfluss hat. Es wird wieder eine Entscheidung über ihren Kopf hinweg getroffen, mit deren Auswirkungen sie zurechtkommen muss. Und was besonders perfid ist, dies alles angeblich, um sie – zumindest in Hinkunft – besser zu schützen.
Für manche Menschen, die eine schwere Verletzung am Körper oder ihrer sexuellen Integrität erlitten haben, ist völlig klar, dass sie dies bei der Polizei zur Anzeige bringen. Andere suchen den Weg in die Psychotherapie. Sie haben ihre guten Gründe, wenn sie dies tun. Niemand sollte sich erlauben, dies besser zu wissen.
Nun wird in der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zur Verschwiegenheit bei Psychotherapeuten versucht, dem speziellen Vertrauensverhältnis, welches für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit notwendig ist, Rechnung zu tragen. Durch eine Ausnahmeregelung erhält die Psychotherapeutin die Möglichkeit, von einer Anzeige abzusehen, wenn die berufliche Tätigkeit dadurch gefährdet ist. Dieses Vertrauensverhältnis ist aber nicht die Ausnahme, sondern die Grundbedingung für jede psychische Behandlung. Die Wirkungen einer derartigen Ausnahmeregelung sind allerdings fatal. Zum einen sagt schon das Sprichwort die Ausnahme bestimmt die Regel, was das Prinzip ist. Zum anderen liegt diese Ausnahmemöglichkeit einseitig bei der Psychotherapeutin, die Patientin ist dieser Willkür ohne Einspruchsmöglichkeit ausgesetzt.
Wenn mit Opferschutz nicht gemeint ist, jemanden in der Position des Opfers festzuhalten, dann sind die geplanten Änderungen der Melde- und Anzeigepflicht im Psychotherapiegesetz ersatzlos zu streichen.
Elisabeth Müllner, Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin in Linz und Wien. Mitglied im Neuen Lacan’schen Feld Österreich – Initiative Wien. Eine Gruppierung von Psychoanalytikern/Psychoanalytikerinnen in Österreich