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Gewerblicher Betrug, Lohnbetrug und nun auch Steuerbetrug – das wird dem ÖVP-Vorzeigebetrieb „Hygiene Austria“ vorgeworfen

(c) Hygiene Austria

„Hygiene Austria“ – der niederösterreichische Maskenfabrikant mit Verbindungen zur ÖVP-Elite hält die Ermittler auf Trab. Denn der Masken-Skandal ist um eine weitere Facette reicher. Laut „Standard“ wird Palmers „fortgesetzte Steuerhinterziehung in großem Ausmaß unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege“ vorgeworfen. Zuvor war die Firma wegen der Umetikettierung chinesischer Masken zu österreichischen ins Visier der Ermittler geraten – es kam zu Hausdurchsuchungen. Und: sie hatten Probleme mit der Qualität und der Zertifizierung. Doch die Firma wurde bis zuletzt politisch protegiert. Profitiert haben ausgerechnet Ehemann und Schwager der damaligen Büroleiterin von Sebastian Kurz, Lisa Wieser. Diese hat just an dem Tag, an dem neue Anschuldigungen bekannt wurden, angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen.

(Dieser Artikel wurde am 18. August 2022 aktualisiert.)

Bestens mit der ÖVP vernetzt

Medienwirksam hielten der damalige Bundeskanzler Kurz und die damailge Wirtschaftsministerin Schramböck fest, als sie im Mai 2020 die neue Produktionshalle von Tino Wieser besichtigten. Fotos, die sie im Nachhinein bereuen. Damals hat der Palmers-Vorstand Tino Wieser mit seinem Bruder Luca und dem Faserkonzern Lenzing die Hygiene Austria zur Versorgung der Republik mit Schutzmasken gegründet. Just einen Tag vor der Verkündung des ersten Lockdowns durch die Regierung wurde das Unternehmen zur Produktion von Masken im Firmenbuch eingetragen.

Heute bereut man diesen Pressetermin wohl.

Luca Wieser ist Ehemann von Lisa Wieser, damals Büroleiterin von Sebastian Kurz. Die Firma ist also politisch gut vernetzt. Wohl auch deswegen besuchte von Kanzler abwärts die Eliten der ÖVP die Fabrik in Wiener Neudorf, auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner schaute vorbei. Der Ex-Kanzler bedankte sich „im Namen der Republik“ bei Palmers und Lenzing auf Instagram. Die Öffentlichkeitsarbeit für den frisch gegründeten Maskenhersteller übernahm Gregor Schütze, der wiederum für die ÖVP im ORF-Stiftungsrat sitzt. Zuvor war er Kabinettschef von ÖVP-Ministerin Maria Fekter. In dieser PR-Firma arbeitet zudem Katharina Nehammer, die Ehefrau des damaligen ÖVP-Innenministers Karl Nehammer, der seither zum Kanzler aufgestiegen ist. (Sie habe allerdings laut Unternehmen nichts mit dem Kunden Hygiene Austria zu tun.) Bei der Werksgründung soll Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner geholfen haben.

Chinesische Masken als österreichische verkauft

Hinter der prominenten und politisch-potenten Unterstützung verbergen sich aber grauenhafte Zustände: Es stellte sich heraus, dass chinesische Masken in Wiener Neudorf neu verpackt und als österreichische Ware teurer weiterverkauft wurden. Deswegen kommt es am 2. März 2021 zur Hausdurchsuchung bei der Firma. Laut Ermittlern kamen in den verkauften 20er-Kartons auf 17 chinesische Masken drei aus Österreich. Die Arbeit wurde von schlecht bezahlten und zum Teil schwarz beschäftigten Leiharbeitern erledigt – siehe dazu weiter unten. Auch die Qualität ist fraglich: Mehrere Prüfungen ergaben Zweifel an der Schutzleistung.

Laut Ermittlern sind mehr als drei von vier Masken aus chinesischer Produktion.

Wenige Tage später kommt es abermals zu einer Hausdurchsuchung. Denn der Verdacht ist bei den Ermittlern entstanden, dass nicht nur nur chinesische Ware als österreichische verkauft wurde, sondern auch beim deutschen Zoll unterdeklariert wurde, also als zu billig angegeben wurde. Der entstandene Schaden der Republik liege bei 700.000 Euro – so der Tatverdacht. Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe. Über Deutschland wurde die Lieferung übrigens abgewickelt, um die Umetikettierung zu kaschieren, vermuteten die Ermittler. Das Unternehmen beruft sich auf teurere Speditionskosten. Aber auch die Rechnungslegung ist auffällig: 20 Millionen chinesische Masken soll Hygiene Austria über Liechtenstein abgerechnet haben. Dort hat der Palmerseigentümer und Investor Matvei Hutman, ein gebürtiger Russe, und dessen Familie eine Stiftung. Diese Stiftung hält die Hälfte des Unternehmens Palmers. Auch hier liegt einen Verschleierungsversuch nahe.

Mangelnde Qualitätskontrolle – Budapest zertifiziert

Die FFP2-Masken von Hygiene Austria wurden nicht in Österreich zertifiziert. Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen sagt: „Die Masken sind nicht von uns zertifiziert worden“. Hygiene Austria nutzte die gesetzliche Möglichkeit, die Masken in einem anderen EU-Land prüfen zu lassen. Die CE-Kennzeichnung der Hygiene Austria Masken (“CE 2233”) führt nach Ungarn. Bei der österreichischen Vorprüfung durch das Eichamt im Sommer ist Hygiene Austria durchgefallen. Man hat festgestellt, „dass sie nicht den EU-Reglementierungen entsprechen“, wie mehrere Medien berichten.

Die FFP2-Masken werden dennoch mit dem ungarischen Zertifikat in die öffentlichen Beschaffungen durch die Bundesbeschaffungsbehörde aufgenommen. ÖBB, das Land Niederösterreich und das österreichische Parlament sind nur einige der Abnehmer der Hygiene Austria-Masken. Im November überlegt auch das Verteidigungsministerium, Masken von Hygiene Austria zu kaufen.

Das Amt für Rüstung und Wehrtechnik prüft, ob die Masken den Anforderungen für die Soldaten entsprechen und kommt zu dem Ergebnis: Die Qualität ist problematisch. Im Verteidigungsministerium beschließt man, keine Masken der Hygiene Austria zukaufen.

Der Rahmenvertrag zwischen Hygiene Austria und Bundesbeschaffungsbehörde bleibt trotz negativem Test des Amts bestehen. Als die Regierung Ende November beschließt, jedem über 65-Jährigen zehn FFP2-Masken zuzuschicken, sind die Masken der Hygiene Austria die Wunschmasken der Regierung. Trotz negativer Vorprüfung durch das Eichamt und einer negativen Prüfung des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik, wird keine weitere Prüfung der Qualität veranlasst. Stattdessen wiegelt ihr Ministerium die Bedenken des Gesundheitsministeriums ab.

Die damalige Wirtschaftsministerin Schramböck war bereits bei dem Maskenfiasko rund um einen Südtiroler Importeur verantwortlich. Trotz fraglicher Zertifizierung machte sie bei der Hygiene Austria Druck.

Beschaffungsvorgang – Exklusivgespräche mit Hygiene Austria

Im Herbst 2020 beschließt die Regierung, zehn FFP2-Masken gratis an 1,7 Millionen Menschen über 65 Jahre zu schicken. Während der entsprechende Beschluss im Ministerrat am 25. November 2020 im Geheimen gefasst wurde, liefen im Hintergrund bereits Gespräche. Einziger Anbieter: die Hygiene Austria. Es kam zu mehreren Videokonferenzen und einem Treffen von Hygiene Austria-Chef Tino Wieser (wir erinnern uns: der Schwager von Sebastian Kurz‘ Büroleiterin) mit hohen Vertretern des Gesundheitsministeriums und der Bundesbeschaffungsgesellschaft. Anbieter gab es sonst keine – wie auch: Sie hatten keine Ahnung von dieser Geschäftschance.

Verhandelt wird über ein Auftragsvolumen von 15 bis 20 Millionen Euro. Das Gesundheitsministerium (damals unter dem grünen Minister Rudolf Anschober) entwickelt im Zuge der Verhandlungen Zweifel an der Qualität der Masken, auch aufgrund der schlechten Bewertung durch das Verteidigungsministerium. Das Wirtschaftsministerium will die Zweifel abwiegeln: Das Amt für Rüstung und Wehrtechnik habe „keine Kompetenz bei der Beurteilung von FFP2-Masken“, heißt es aus dem Ministerium. Die von Hygiene Austria in Ungarn für die Schutzausrüstung eingeholte CE-Kennzeichnung sei ausreichend, soll das von Margarete Schramböck (ÖVP) geführte Ressort betont haben.

Das Gesundheitsministerium war ein gebranntes Kind und erinnerte sich noch gut an das Fiasko beim Kauf von Millionen schadhafter Schutzmasken über einen Südtiroler Importeur –besser als das letztverantwortliche Wirtschaftsministerium. Nicht noch einmal soll so ein Fehler passieren, das Gesundheitsministerium lehnt den Auftrag an die Hygiene Austria Anfang Dezember ab. Der Preis sei zu hoch (79 Cent gegenüber 30 Cent eines anderen Anbieters – es handelt sich um einen österreichischen Händler, der offiziell Masken aus China CE-zertifizieren ließ) und man sei sich auch bei der Qualität nicht sicher.

Es bleibt der Eindruck, dass eine Bevorzugung der Hygiene Austria zumindest aus dem Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt forciert wurde. Dort wird so eine Bevorzugung bestritten.

Bundeskanzler Kurz und Wirtschaftsministerin Schramböck bei ihrem PR-Besuch bei Hygiene Austria.

500.000 moderne Lohnsklaven über Leiharbeit

Von 200 Beschäftigten bei Hygiene Austria sollen nur elf fix angestellt gewesen sein. „Das bedeutet, dass hier von Anfang an nur kurzfristige Gewinne im Mittelpunkt standen und kein langfristiger Betrieb geplant war“, sagte Markus Wieser, Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich. Vier Personaldienstleister sollen für das Gemeinschaftsunternehmen von Lenzing und Palmers moderne Lohnsklaven organisiert haben, teilweise mit schlechter Bonität und ohne Gewerbeberechtigung für die Arbeitskräfteüberlassung. Zwei davon sind bereits als Scheinfirma gemäß Paragraph 8 des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes identifiziert: Steady Global Partners GmbH und AD Job Assist GmbH. Ein weiterer Personal-Anbieter, Ante Portas, hat eine Gewerbeberechtigung allein als Security-Dienst – mit entsprechend niedrigeren Kollektivverträgen. Als Arbeitskräfteüberlasser darf die Firma nicht tätig sein. Einen Betriebsrat gab es in Wiener Neudorf trotz der Betriebsgröße nicht. Die Leute waren zum Teil nicht oder falsch bei der Sozialversicherung angemeldet oder bekamen zu wenig bezahlt. Es soll mindestens einen schweren Arbeitsunfall gegeben haben. Viele Arbeiter sollen immer noch auf ihr Gehalt warten. Ehemalige Leiharbeiter fühlen sich um den Lohn geprellt und haben sich an die Arbeiterkammer in Wien und Niederösterreich gewandt. Insgesamt stehen Zahlungen in Höhe einer halben Million aus. Die Hygiene Austria fühlt sich nicht verantwortlich, sondern sieht sich selbst als Betrogene. Das kann die Arbeiterkammer nicht ganz stehen lassen. Der AK-Rechtsschutz-Chef Ludwig Dvorak dazu:

„Wir haben eine Strafanzeige eingebracht, weil wenn man sich ansieht, was die Hygiene Austria öffentlich gesagt hat, was sie gezahlt hat, und wenn man sich durchrechnet, was ein Arbeitnehmer tatsächlich kostet, hat sich die Frage gestellt, ob nicht für die Hygiene Austria von Anfang an klar gewesen sein muss, dass irgendwer sein Geld nicht kriegt.“

Chronologie des Skandals

Am 12. März 2020 wird die Firma „Hygiene Austria LP GmbH“ gegründet. Sie gehört zur Hälfte der Lenzing AG und zur anderen Hälfte der Palmers AG. Die Palmers-Vorstände sind die Brüder Tino und Luca Wieser, Luca ist der Ehemann der Büroleiterin von Sebastian Kurz.

Am 13. März 2020 wird der erste Lockdown in Österreich verkündet.

Am 8. April heißt es in einem Protokoll des Corona-Krisenstabs im Innenministerium: „Beispiel für Unterstützung der Wirtschaft: 4 Maskenproduktionsmaschinen für Palmers“. Zuständig sollen Wirtschafts- und Außenministerium sein. Bei der „Unterstützung“ habe es sich um diplomatische und behördliche Hilfe gehandelt. Die Maschinen kamen an.

Mai 2020: Bundeskanzler Sebastian Kurz besucht die Produktionshalle der Hygiene Austria in Wiener Neudorf. Tino Wieser berichtet später, dass ihm Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner am meisten geholfen habe. Eine Betriebsstättengenehmigung dauert in Österreich normal drei Monate. Mikl-Leitner regelte das und sagte: „Wir haben Krise, ich rufe wen an, der kommt morgen vorbei, wir regeln das. Macht mir halt keine Schande.“

1. Juli 2020: Die Regierung verkündet die Masken-Pflicht im Supermarkt und in Bank- und Postfilialen.

Sommer 2020: Die Hygiene Austria sucht um eine Zertifizierung von FFP2-Masken in Österreich an. Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen konnte damals noch kein CE-Zertifikat ausstellen. Aber es gibt eine “Vorprüfung”, bei der festgestellt wird, dass die Hygiene Austria-Masken „nicht den EU-Reglementierungen entsprechen“.

14. Juli 2020: Die österreichische Bundesbeschaffungsbehörde (BBG) schließt eine Rahmenvereinbarung mit Anbietern von 47 FFP2-Masken ab, darunter auch die Hygiene Austria. Die Laufzeit beträgt vier Jahre. Das heißt: Sollte die öffentliche Hand – also etwa Ministerien, aber auch Gemeinden – FFP2 Masken bestellen, kann sie auf einen Vertrag mit der Hygiene Austria zurückgreifen. Sie sollte sich auch darauf verlassen können, dass die Qualität geprüft ist. Die BBG versichert, dass bei der Rahmenvereinbarung „ein besonderes Augenmerk auf die exakte technische Prüfung der Angebote gelegt worden ist, um eine notwendige und ausreichende Qualität der angebotenen Produkte zu gewährleisten.“ In den nächsten Monaten bekam die Firma einige Großaufträge: Das ÖVP-geführte Niederösterreich bestellte im Herbst 100.000 Masken. Weitere Abnehmer waren das österreichische Parlament, die ÖBB und die Österreichische Gesundheitskasse.

November 2020: Das Verteidigungsministerium prüft ein Angebot der Hygiene Austria für 0,55 Euro pro FFP2-Maske. Das Amt für Rüstung und Wehrtechnik kommt zu dem Ergebnis, die Qualität der Hygiene Austria-Masken sei problematisch. Das Verteidigungsministerium kauft keine Masken von Hygiene Austria. Der Rahmenvertrag zwischen Hygiene Austria und Bundebeschaffungsbehörde bleibt aber bestehen.

25. November 2020: Der Ministerrat beschließt (im Geheimen), dass es gratis FFP2-Masken für über 65-Jährige geben soll. Mit Hygiene Austria werden als einzigem Anbieter Exklusiv-Gespräche über diesen Auftrag geführt.

Dezember 2020: Das Gesundheitsministerium gibt seinen Zuschlag für die FFP2-Masken einem anderen Anbieter. Laut einem Ministeriums-Mail sparte sich der Staat dadurch rund neun Millionen Euro. Die Gesamtkosten für Kauf und Auslieferung der rund 18 Millionen Masken machten gemäß einem internen Papier übrigens knapp 14 Millionen Euro aus.

Seit 25. Jänner 2021 gilt in Österreich die FFP2-Maskenpflicht. Hygiene Austria ist der größte österreichische Anbieter mit den großen Supermarktketten und Apotheken als Vertragspartner.

2. März 2021: Razzia bei Hygiene Austria in Wiener Neudorf und bei Palmers in Wien. Der Verdacht lautet, dass FFP2-Masken aus China importiert und in Wiener Neudorf umgepackt worden sein sollen. Die sollen dann als „Made in Austria“ teurer verkauft worden sein. Dazu kommen Schwarzarbeits-Vorwürfe.

17. August 2022: Es wird medienöffentlich, dass es nicht nur wegen der Umetikettierung und den sich daraus ergebenden Betrugsverdachts ermittelt wurden, sondern auch wegen massiver Steuerhinterziehung beim Import der Masken.

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Ein Leser
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12. März 2021 11:06

ad Bildunterschrift: Das Bild zeigt Aschbacher…

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