Gastbeiträge

Wie die Petition „fairändern“ behinderte Menschen gegen Frauen ausspielt

Foto: Unsplash/ Brooke Cagle

Marlies Hübner ist Autorin und Bloggerin. Sie hat eine Behinderung und ist Feministin. Sie kritisiert die Petition „fairändern“, die Spätabbrüche verbieten will. Unter dem Deckmantel von Behinderten-Rechten wollen die Initiatoren die Selbstbestimmungsrechte von Frauen beschneiden. All das während sich die reale Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Österreich verschlechtert.

Als Mensch mit einer Schwerbehinderung verstehe ich nicht, warum man Frauen die Entscheidungsfreiheit nehmen will, ein behindertes Kind zu bekommen oder nicht. Frauen müssen ausnahmslos immer selbst bestimmen, ob sie ein Kind bekommen möchten – unabhängig von einer (vermuteten) Behinderung. Doch genau das will eine Gruppe jetzt ändern – im Verborgenen.

Unterschriften gegen Entscheidungsfreiheit von Schwangeren

Die Petition „fairändern“ wird derzeit im Parlament in Ausschüssen verhandelt – ohne Öffentlichkeit. Sie will die Entscheidungsfreiheit von Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen einschränken. Konkret will man die Möglichkeit eines Abbruchs bei „embryopathischer Indikation“ nehmen. Die Petition fordert, die  “Diskriminierung von behinderten Kindern vor der Geburt” zu beenden.

Gegenwärtig dürfen Schwangere, „wenn […] eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde […]“ auch nach der 12. Schwangerschaftswoche einen Abbruch durchführen. (§ 97 StGB) Dass wollen UnterzeichnerInnen jetzt ändern. Darunter auch PolitikerInnen wie Erwin Pröll (Ex-ÖVP-Landeshauptmann), Norbert Hofer (amtierender Verkehrsminister der FPÖ), Gudrun Kugler und Kira Grünberg (beide ÖVP-Abgeordnete) – letztere wird selbst von Behinderten-Organisationen kritisiert.

Erstunterzeichnerin Petra Plonner verdreht Positionen. Sie behauptet, sie will, „dass sich in einem fortschrittlichen und fürsorglichen Land wie Österreich keine Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch gedrängt fühlt.”

Zu einem Schwangerschaftsabbruch soll niemand gedrängt werden, stimmt – aber auch nicht zum Gebären und Elternsein.

Frauen sollen nie zu etwas gedrängt oder gezwungen werden

Ja, es ist skandalös, Eltern unter Druck zu setzen, möglichst perfekte Kinder zu bekommen. Es ist eine Katastrophe, dass sie das Gefühl bekommen, sie hätten versagt, wenn sie ein behindertes Kind bekommen. Behinderungen werden als Makel, als Fehler betrachtet und Eltern behinderter Kinder müssen sich nicht selten die Frage gefallen lassen, ob man „das” nicht hätte verhindern können. Nicht selten hatten nicht-behinderte Erwachsene noch nie Kontakt mit behinderten Personen.

Die Antwort auf all das ist aber nicht, Frauen zu zwingen, zu gebären.

Ein Kind mit Behinderung groß zu ziehen ist eine Aufgabe, die Eltern viel Kraft abverlangt. Sie erwarten viele Kämpfe und sozialer Ausschluss. Sie werden viel Geld für Pflege und Betreuung ausgeben müssen, das sie unter Umständen nicht haben.

Es sind gesellschaftliche und politische Probleme – die konkreten Menschen ganz persönlich aufgebürdet werden. Diese lassen sich mit einem Verbot des Spätabbruchs nicht lösen.

Österreich ist kein behinderten-freundliches Land

Die Petition will Spätabtreibungen verbieten, gleichzeitig werden aber keine Strukturen geschaffen, die Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigtes Leben in der Mitte der Gesellschaft ermöglichen. Plonners Statement ist zynisch, wenn wir uns ansehen, wie Österreich mit Behinderten umgeht.

Österreich ist kein behinderten-freundliches Land. Als Frau mit einer Schwerbehinderung erlebe ich beinahe täglich Ausschluss und Benachteiligung, und das oft schon auf Gesetzes-Ebene. Die Regelung der „begünstigten Schwerbehinderung” führt oft sogar dazu, dass behinderte Job-BewerberInnen Stellen erst gar nicht bekommen.

Barrierefreiheit und Inklusion sind trotz Unterzeichnung der UN-Behindertenrechts-Konvention 2008 keine Realität. Die Politik setzt auf „Förderschulen“ und Behindertenwerkstätten, die Menschen mit Behinderung aus der Mitte der Gesellschaft ausschließen. Im August 2018 wurde Menschen mit Behinderung die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen. Das bedeutet 380 Euro weniger im Monat zum Leben. Das Finanzieren eines selbstbestimmten Lebens ist schwieriger geworden.

Förderschule, Heim und Taschengeld statt Gehalt: Der Weg ist vorgezeichnet

Die Inklusion behinderter Kinder wird gern als “zu teuer” oder zu aufwändig abgetan. Das beginnt bei Betreuungsplätzen und endet bei der Schulbildung. Häufig ist der Weg von Förderschulen bis zum Leben in Heimen und zum Taschengeld-Erwerb in Werkstätten vorgezeichnet. All das findet am Rande der Gesellschaft in einer abgeschlossenen Parallelgesellschaft statt, aus der sie selbst keinen Ausweg finden.

Ein behindertes Kind zu bekommen bedeutet häufig auch für Eltern den Ausschluss aus der Gesellschaft und eine finanzielle Mehrbelastung. Denn weder Pflege noch Betreuung sind gesichert. Ist das alles nicht leistbar, drohen Armut und Verschuldung.

Keine Frau beendet eine Schwangerschaft gern oder leichtsinnig

Unfreiwillig ein behindertes Kind zu bekommen, setzt Menschen einer großen Belastung aus – auch psychisch. Denn sie konnten sich nicht bewusst für diese Situation und die lebensverändernden Folgen für die kommenden Jahrzehnte entscheiden.

Auch die Möglichkeit einer Adoption ist unter diesen Gesichtspunkten kein Argument, das betreffende Frauen wirklich entlastet. Denn genau darum geht es: Freiwilligkeit. Entscheidungsfreiheit. Selbstbestimmung.

Eine Behinderung zu haben und ein lebenswertes Leben zu führen, schließt sich entgegen der landläufigen Meinung absolut nicht aus. Ebenso wie das Leben zu achten und sich gegen ein Kind zu entscheiden.

Keine Frau beendet eine Schwangerschaft gern oder leichtsinnig. Auch den Wert eines Lebens mit Behinderung wird der Großteil von ihnen nicht in Frage stellen. Die Anerkennung des Werts behinderten Lebens ändert aber nichts daran, dass Frauen ausnahmslos selbst bestimmen sollen, ob sie ein Kind bekommen möchten oder nicht – unabhängig von einer (vermuteten) Behinderung.

Gleichzeitig muss das Leben von Menschen mit Behinderung zwingend in die Mitte der Gesellschaft verlegt werden. Das heißt auch, die UN-Behindertenrechts-Konvention umzusetzen und ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen. Dann ist die Aussicht auf ein Leben mit einem behinderten Kind für Frauen auch mit weniger Angst verbunden.

Marlies Hübner bloggt auf robotinabox.de und ist Autorin des Buches Verstörungstheorien: Die Memoiren einer Autistin, gefunden in der Badewanne.

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ilse
ilse
30. April 2019 08:45

danke für diesen guten Artikel

Martha
Martha
21. März 2019 07:09

Danke für die ehrlichen Worte!!
Für die Möglichkeit des Spätabbruchs bei medizinischer Indikation! Gegen Einmischung von Sekten in die Belange der betroffenen Frauen und Familien!!!!

Alexandra Dorner
Alexandra Dorner
8. März 2019 20:46

DANKE Marlies für diesen tollen Artikel! Mit jedem Wort sprichst du mir aus der Seele! Ich musste mich leider im Dezember genau dieser schweren Entscheidung stellen – nach der Diagnose eines schlimmen Gendefektes bei meinem Baby im 6. Monat. Wir haben uns aufgrund der schweren Diagnose entschieden, unseren Sohn gehen zu lassen – es war die schlimmste Zeit unseres Lebens und es werden für immer Wunden bleiben. Aber wir wissen, dass wir für uns, und vor allem für unser Kind die richtige Entscheidung getroffen haben – dort wo er jetzt ist, geht es ihm bestimmt besser, als wenn er auf die Welt kommen hätte müssen, um sein Leben mit viel Schmerz und Fremdbestimmtheit (wegen schwerer geistiger Behinderungen) führen hätte müssen!

Wir müssen gegen fairändern aufstehen und lauter sein als sie – diese Forderungen dürfen von der Regierung auf keinen Fall umgesetzt werden!

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