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Gerichtsurteil: SJ darf Attersee-Grund behalten – Wille von Holocaustüberlebenden muss akzeptiert werden

Foto: Fiona Herzog

Seit den 1960er Jahren betreibt die Sozialistische Jugend (SJ) in Weissenbach am Attersee das „Europacamp“. So wünschte es sich das jüdische Geschwisterpaar Pollak. Sie haben den Holocaust überlebt – und wollten, dass die SJ ihr einst enteignetes Grundstück in Oberösterreich günstig pachten kann. Der Vertrag sollte für 99 Jahre gelten, doch nach 70 Jahren forderte ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer plötzlich die 60.000-fache Pacht von der Sozialistischen Jugend. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte vergangenes Jahr eine Strafzahlung von 45.000 Euro. Die Sozialdemokrat:innen brachten daraufhin eine Revision beim Verwaltungsgericht als auch eine Beschwerde beim Verfassungsgericht ein. Jetzt hat der Verwaltungsgerichtshof der SPÖ recht gegeben: Die Grundstücke, die von Holocaust-Überlebenden unter der Auflage der Verpachtung an die SJ zur Errichtung eines Jugendcamps an das Land OÖ verkauft wurden, können keine illegale Parteispende sein.

Ein Grundstück in Weißenbach am Attersee (OÖ) mit freiem Seezugang – eine Seltenheit. Das „Europabad“ und das dazugehörige „Europacamp“ der Sozialistischen Jugend (SJ) sind ein Stück Erholungsgebiet, das vor allem Jugendlichen und Familien ohne viel Budget offensteht. Seit 1962 kann man dort kostenlos baden, parken und Sportplätze nutzen. Grund dafür ist der günstige Pachtvertrag, den die SJ mit dem Land Oberösterreich einst abgeschlossen hat.

Doch genau diese Abmachung wollte die ÖVP brechen. Die rote Jugend-Organisation sollte – so wollte es Thomas Stelzer – 180.000 Euro im Jahr an das Land abliefern. Geld, das die SJ nicht aufbringen kann. Sie müsste das Bad zusperren. Wie Stelzer auf diese Summe kam, ist unklar.

Jetzt hat der Verwaltungsgerichtshof sein Urteil in dieser Causa veröffentlicht, welches vorwiegend gute Nachrichten enthält: Erstmals stellt ein Österreichisches Gericht eindrücklich fest, dass die Grundstücke, die von Holocaust-Überlebenden unter der Auflage der Verpachtung an die SJ zur Errichtung eines Jugendcamps an das Land OÖ verkauft wurden, keine illegale Parteispende sein können. Das stellt ein wichtiges Zeichen dar, dass der Willen von Holocaust-Überlebenden respektiert und freier Seezugang gesichert wird. Aktuell werden das Urteil und seine weiteren Auswirkungen auf das Europacamp geprüft.

Dass die SJ Grundstück am Attersee bekommt, war Wunsch der Geschwister Pollak – zwei Holocaust-Überlebenden

Die jährliche Pacht für die SJ beträgt rund 3 Euro im Jahr.

1963 eröffnet die SJ das „Europacamp“.

Das ist ungewöhnlich, geht aber auf den Kauf des Grundstücks und die damit verknüpften Bedingungen zurück. Auch das Land Oberösterreich hat sich zu diesen Bedingungen bekannt.

Das Grundstück gehörte einst der Familie Pollak. Es war eine jüdische Familie, Ludwig Pollak war außerdem Sozialdemokrat. Er wurde sowohl von den Austrofaschisten als auch den Nationalsozialisten verfolgt. Die Nazis stahlen der Familie das Grundstück in Weißenbach samt Hotel, „arisierten“ diese – und verkauften es 1939 um 150.000 Reichsmark an eine Versicherungsgesellschaft.

Nach der Kapitulation der Nazis 1945 bekamen Juden und Jüdinnen – teilweise – ihre Wohnungen, Häuser oder Grundstücke zurück. Allerdings nicht bedingungslos: Ludwig und seine Schwester Gerta (in anderen Quellen Gertrude) mussten 90.000 Schilling Ablöse bezahlen, um ihr einstiges Eigentum zurückzubekommen – und das, obwohl das Hotel mittlerweile in einem desolaten Zustand war.

„Ein kurzer Besuch in Weissenbach genügt nicht, um sich über alle Verheerungen und Verunstaltungen klar zu werden. […] Ich war auf einiges gefasst, aber doch nicht auf den Anblick, der sich mir bot“, schrieb Gerta Pollak im Mai 1949 an ihren Bruder Ludwig.

1951 verkaufte das Geschwisterpaar das Grundstück an das Land Oberösterreich – allerdings an eine Bedingung geknüpft: Die Sozialistische Jugend – ebenfalls unter den Austrofaschisten und Nazis verfolgt – sollte die Wiese pachten dürfen. Und zwar um 25 Schilling pro Jahr.

Der Vertrag zwischen der SJ und dem Land Oberösterreich

1951 kaufte Oberösterreich von den Pollak-Geschwistern eine große Wiese am Attersee. Doch die Geschwister knüpften den Verkauf an eine Auflage: Die Sozialistische Jugend sollte ein Bestandsrecht bekommen, „unkündbar auf die Dauer von 99 Jahren gegen einen jährlichen Anerkennungszins von 25 Schilling“. Heute liegt die Jahrespacht bei rund 3 Euro.

Land Oberösterreich ging Vertrag ein, den es beanstandet – ÖVP ignoriert Wunsch der Geschwister Pollak

Sowohl die Nutzung als auch die Höhe der Pacht sind seither für 99 Jahre lang vertraglich geregelt. Der Vertrag selbst hat sich nicht verändert. Dennoch forderte ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer fast das 60.000-fache an Pacht von der SJ.

Der Anlass für das Vorgehen Oberösterreichs war eine Kritik des Landes-Rechnungshofes aus 2018. Dieser sieht die Pachthöhe als zu niedrig an.

Der Unabhängige Parteientransparenzsenat urteilte im Sommer 2019 zwar, dass die 180.000 von Stelzer zu hoch angesetzt sind, wertet die Pacht aber selbst als „illegale Parteienfinanzierung“ und schrieb der SJ 45.000 Euro Pacht pro Jahr vor. Das Bundesverwaltungsgericht entschied vergangenes Jahr, dass die Sozialdemokraten eine Strafzahlung in dieser Höhe zu zahlen haben.

Für Paul Stich, den Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wie man auf die Idee der Parteienfinanzierung kommt:

„Es ist noch nie ein Cent aus dem Europacamp in die SJ geflossen. Ganz im Gegenteil, es ist eher so, dass personelle Ressourcen aus der SJ in das Camp fließen“. Auch um dem Willen der NS-Überlebenden zu entsprechen, Arbeiterkindern einen Sommerurlaub am Attersee zu ermöglichen.

In den Jahren, in denen es einen Gewinn gab, wurde der in die Instandhaltung investiert, versichert der Vorsitzende Paul Stich. „Wir sehen nicht ein, wie ein gemeinnütziges Camp, das nicht der Profitlogik unterliegt und mit dem wir als SJ keinen Profit machen und keinen Profit machen wollen, eine angeblich illegale Spende sein soll. Wir verwehren uns dagegen, dass einer der letzten freien, komplett kostenlosen Seezugänge am Attersee weggenommen werden soll. Und wir finden es schwer bedenklich, dass der sogar vertraglich festgeschriebene Wunsch von Holocaust-Überlebenden missachtet und mit Füßen getreten wird.“

Die Sozialdemokrat:innen brachten deshalb eine Revision beim Verwaltungsgericht als auch eine Beschwerde beim Verfassungsgericht ein. Der Verwaltungsgerichtshof gab ihnen jetzt recht.

Attersee-Verträge sind einzuhalten, forderten die Sozialdemokrat:innen

Auch die Restitionsforscherin und Grüne-Abgeordnete Eva Blimlinger sah hier den Begriff der illegalen Parteienfinanzierung falsch angewendet: „Historisch geht es da nicht um eine Parteienfinanzierung, sondern um den Willen der NS-Vertriebenen und Enteigneten. Spricht man von Parteienfinanzierung vergisst man den historischen Kontext“, erklärte Blimlinger 2019 in der ORF-Sendung Hohes Haus.

Die Geschichte der Geschwister Pollak

Dr. Ludwig Schrenzel wurde als Ludwig Pollak 1890 in Wien geboren und hatte sich nach 1934 umbenannt. Der gesamte Besitz der Familie wurde 1938 zugunsten des „Landes Oberdonau“ beschlagnahmt und ohne Entschädigung eingezogen und die Immobilien in weiterer Folge an Private weiterverkauft. Begründet wurde das von der Gestapo Linz mit der „kommunistischen Einstellung der Familie Pollak“ und der Beteiligung Ludwig Pollaks an den Februarkämpfen 1934. Ludwig Schrenzels Schwester Gerta floh nach der Enteignung nach Großbritannien. Vater Josef Pollak verstarb 1941.

Ludwig Pollak trat bereits 1923 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAP) und 1924 dem Republikanischen Schutzbund bei, war Gemeinderat, Ortsparteivorsitzender und Fraktionsführer in Wieselburg und engagierte sich unter anderem bei den Kinderfreunden, den Roten Falken und der Sozialistischen Arbeiterjugend.

Das Geschwisterpaar überlebte und forderte die enteigneten Liegenschaften zurück. 1951 verkauften sie es an das Land Oberösterreich, um es im Interesse der Jugend an die Sozialistische Jugend Österreich zu verpachten und dort ein Jugenderholungs-Camp zu errichten.

Im September 2021 melden sich die Nachkommen der Familie Pollak im Zuge der Sommercamp-Causa zu Wort. Sie sind „zutiefst enttäuscht“, wie in Österreich mit dem „ausdrücklichen Wunsch“ ihrer Großeltern umgegangen wird.

Günstiges Camp, gratis Bad – und alles barrierefrei

Das „Europacamp“ besteht sowohl aus einer Jugendherberge, Bungalows und Plätzen zum Zelten. „Dauercamper“ – wie sie im JVP-Camp am Mondsee üblich sind – sieht man hier selten. Es sind vor allem Jugendgruppen, junge Familien ohne viel Urlaubs-Budget und Vereine, die das Camp nutzen – heißt es von der Sozialistischen Jugend Oberösterreich. Seit einigen Jahren sind sowohl das „Europabad“ als auch das „Europacamp“ mitsamt aller Einrichtungen gänzlich barrierefrei. Das war wichtig, damit auch soziale Vereine hier Ferien machen können.

„All diese Gruppen können das Camp nicht mehr nutzen, wenn wir Hunderttausend Euro Pacht zahlen sollen. Das müssten wir alles auf die Camping-Preise draufschlagen und dann können sich weder Jugendliche, Familien oder Sozialvereine mit knappen Budgets einen Aufenthalt leisten. Der ganze Sinn des Camps würde verloren gehen. Und selbst dann wäre eine Finanzierung noch immer nicht garantiert. Auch der freie Seezugang wäre dann Geschichte. “ (So die damalige SJ-Oberösterreich Vorsitzende Nina Andree)

2015 hat die SJ auch Flüchtlinge im Camp untergebracht.

Aus für „Europabad“ hieße noch weniger öffentlicher Seezugang

Drei Viertel der Grundstücke rund um den Attersee sind in privater Hand – ein Zugang zum See also nicht einfach so möglich. Nur 13% des Ufers sind öffentlich zugänglich. Unter anderem über das „Europabad“ der Sozialistischen Jugend. Hätte Oberösterreich den Vertrag mit den NS-Überlebenden gebrochen und sein Interesse nach einer überhöhten Pacht durchgesetzt, wäre auch dieser Seezugang Geschichte gewesen.

Das Attersee-Camp der SJ

Das Grundstück am Attersee, bestehend aus „Europabad“ und „Europacamp“, umfasst etwa 0,04 Quadratkilometer. Zur Infrastruktur gehören eine Jugendherberge, Bungalows, Zeltlager, Sanitäranlagen sowie ein kostenloser Parkplatz, ein Volleyballplatz und eine Tischtennis-Anlage. Die Nutzung des „Bads“ ist ebenfalls kostenlos.

Quellen:

Marie-Theres Arnbom (2018): Die Villen vom Attersee. Wenn Häuser Geschichten erzählen. Kapital 27: Von Chicago nach Weißenbach: Das Hotel Post. S. 199-207.

 

Der Artikel wurde erstmals am 10. August 2021 veröffentlicht und am 15. Juli 2022 im Zuge des VwGH-Urteils aktualisiert.

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accurate_pineapple
accurate_pineapple
16. Juli 2022 15:58

Bestimmt hat ein Investor und Grosspender der schwarzen Brut ein Auge auf dieses Grundstück geworfen.
Dubioser Grundstücksverkauf an Investor B. im BL Sbg. sind „normal“. Zell am See winkt alles durch……

Monikaluise
Monikaluise
8. September 2021 19:22

So ist die schwarze/ türkische, christliche, korrupte Partei. Wahrscheinlich haben dieses Ges…wieder einen reichen Gönner, der großes Interesse an dem Grundstück hat. Es gehört der Jugend, egal welcher Partei sie angehört. Es ist der Wille des jüdischen Eigentümer. Das Gericht muß parteilos sein

Hans
Hans
13. August 2021 17:04

Es wurde eh schon das richtige gesagt. Diese dunkle Einstellung gegenüber unserer Jugend und aufrechten Verträgen verbittert mich enorm!
Aber so sind sie halt, wählt sie nur , wir kommen dieser dunklen Zeit immer näher!

Josef Sebastian Köni
Josef Sebastian Köni
12. August 2021 05:31

Die Enkel der Austrofaschisten, der „Hahnenschwanzler“, haben sich und werden sich nie ändern!!!
Heimtückisch, hinterlistig waren sie damals und sind es bis heute geblieben! –
Da können sie ihre „Parteifarbe“ wechseln so oft sie wollen – die Leute dahinter, ihre Ideologie, bleibt die gleiche.

accurate_pineapple
accurate_pineapple
11. August 2021 17:38

Da schielt die ÖVP auf eines der letzten freien Seezugänge für die Öffentlichkeit. Ist ja nichts neues, dass Privatisierungsinteresse bei den profitorientierten ÖVP lern ganz oben auf der Agenda steht. Widerlich.

Reinhard Bineder
Reinhard Bineder
5. Oktober 2020 17:18

Denke daran hat jemand im Hintergrund großes Interesse, Verträge sind einzuhalten.
Noch dazu bei einer Landesregierung, wo bekannterweise Juristen sitzen bzw saßen. Diese sehr wohl dem Lesen und Verstehen mächtig waren, sind

Ernst Ranftl
Ernst Ranftl
16. Mai 2020 22:50

Veröffentlicht im Dezember 2019.
Jetzt bleibt die Frage, was ist weiter geschehen?

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