Politik

SPD-Spitze im Interview: So tickt Norbert Walter-Borjans

Foto: S&D
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Kontrast: Wie viel hat es in Summe eingebracht?

Norbert Walter-Borjans: Von den Steuer-CDs haben ja alle profitiert. Auf der CD standen nicht nur Leute aus Nordrhein-Westfalen, sondern auch Österreicher und Leute aus anderen Ländern.

Wir haben 19 Millionen Euro bezahlt und die Rückzahlungs-Welle, die dadurch ausgelöst worden ist, hat am Ende 7,2 Milliarden Euro betragen.

Man kann das aufteilen in drei Blöcke: 10%, also 700 Millionen, waren diejenigen, gegen die tatsächlich durch den Datenträger ermittelt werden konnte. Die zweite Gruppe, das waren 80%, also über 5 Milliarden Euro an Rückzahlungen. Das waren Personen, die gar nicht da draufstanden, die aber in der Sorge, sie könnten draufstehen, sich selbst angezeigt haben. Der dritte Block war, dass auf diesen Datenträgern auch Infomaterial war und nicht nur Kundendaten. Es war Schulungsmaterial für Bankangestellte, wie man Kunden berät, um den Staat zu betrügen. Das heißt, man hatte Beweismaterial gegen Banken. So mussten auch Banken Bußgelder bezahlen. In der Höhe von 800 Millionen Euro. Im internationalen Vergleich war das ein eher kleiner Betrag, in anderen Ländern hätte das die Banken Milliarden gekostet.

Kontrast: Sie wurden dafür aber stark kritisiert – was haben Sie ihren Kritikern geantwortet?

Norbert Walter-Borjans:   Ein Ermittler, der ein Päckchen Kokain kauft, um einen Drogenring zu sprengen, würde nie als Krimineller verschrien werden. Man würde sagen: Klar, wenn du damit den Drogenring aufbrechen kannst, dann mach!

Bei Finanzprodukten haben wir es mit einer hermetisch abgeriegelten Szene zu tun, die kriminelle Finanzprodukte entwickeln konnte. Da konnte nie jemand darankommen.

Außer wenn man aus dem Inneren dieser Szene Menschen findet, die am Ende ihre Kumpanen verraten.

Kontrast:  Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn sich so viele Menschen mit Steuertricks aus der Verantwortung stehlen?

Norbert Walter-Borjans:  Der Spruch „Wenn jeder sich an denkt, ist an alle gedacht“, funktioniert nicht. In Wahrheit führt das nur dazu, dass es oben und unten immer weiter auseinander läuft. Das hat ja Folgen, die sich die wenigsten richtig vergegenwärtigen.

Kontrast: Trotzdem bleibt Steuerpolitik oft abstrakt. Richtig greifbar wird es selten. Wie schafft man es, dass mehr Menschen Steuerpolitik verstehen und eine andere Version davon einfordern?

Norbert Walter-Borjans:  Lobbies haben ein Interesse, der Mehrheit der Menschen zu erzählen, dass sie zu hohe Steuern zahlen. Sie geben ihnen mit ein paar Zahlen und Statistiken das Gefühl: „Ich muss ja mehr als die Hälfte all dessen, was ich verdiene, an diesen Staat abgeben“. Das ist auch eine Form der Propaganda. Also man muss glaubwürdig erstmal zeigen, wie hoch sind denn eigentlich die Abgaben?

Ich habe in meiner Zeit als Finanzminister dem Steuerbescheid einen Brief beigelegt. In dem haben wir beschrieben, was wir mit dem Betrag, den jemand an Steuern bezahlt hat, im Staat finanziert haben. So entwickle ich ein Gefühl dafür.

In Deutschland wird sonst eher das Gefühl erzeugt, dass die Steuern, die ich zahle, zufällig alle in den Berliner Flughafen gehen, der nie fertig wird. Und dann fühlt es sich plötzlich gerecht an, keine Steuern zu zahlen. Es geht also um Aufklärungsarbeit im verständlichen Sinne. Ganz konkret: Wie teuer ist ein Polizeiauto, wie viel kostet ein Kindergartenplatz? Dass man einfach mal sagt: Das, was du in deiner Umgebung nutzt, muss irgendwie alles bezahlt werden. Und zwar von uns allen zusammen.

Zur Person: Norbert Walter-Borjans

walter-borjans spd steuern

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Norbert Walter-Borjans (geboren 1952) ist Volkswirt und SPD-Politiker. Er war von 2010 bis 2017 Finanzminister von Nordhrein-Westfalen. Er gilt außerdem als Kritiker von Hartz IV. Gemeinsam mit Saskia Esken hat er sich im November 2019 um den Vorsitz der SPD beworben. Als Teil einer Regierung wollen Walter-Borjans und Esken Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Klimaschutz und einen Mindestlohn von 12 Euro umsetzen. Das Team bekam im ersten Wahldurchgang die zweitmeisten Stimmen und stellt sich daher der Stichwahl dem Team Olaf Scholz und Klara Geywitz.

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