Das Unternehmen Wien Energie versorgt etwa zwei Millionen Menschen in Wien und Umgebung mit Strom und Wärme – und muss an der europäischen Strombörse Strom zukaufen. Geschäfte müssen Monate, manchmal Jahre im Voraus geschlossen werden. Wenn dazwischen plötzlich der Strompreis explodiert, muss das Unternehmen beweisen, dass es im Falle des Falles liquide ist. Kurzzeitig suchte es um Hilfe an, auch beim Bund. Die gute Nachricht: Die Preise sind wieder gefallen und die Wien Energie hat kein Geld verloren. Die schlechte Nachricht: Ausreißer samt medialem Wirbel könnten sich häufen, wenn es nicht endlich europaweit Strompreisbremsen und Energie-Schutzschirme gibt.
Vergangen Freitag, 26. August, ging der Gaspreis durch die Decke: Von 500 Euro in der Vorwoche auf über 1.000 Euro pro Megawattstunde – mehr als das doppelte innerhalb weniger Tage. Das wurde der Wien Energie am Freitag zum Verhängnis. Denn Wien Energie ist als größter Energieversorger Österreichs mit zwei Millionen Kunden auch am großen Stromhandel beteiligt. Sie hatte – vorübergehend – Probleme mit der Liquidität, also den finanziellen Sicherheiten im Hintergrund, um solche Preise bezahlen zu können. Also wandte sich das Unternehmen an den Bund.
Über die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur – kurz OeBFA – suchte die Wien Energie um 2 Milliarden Euro Liquiditäts-Stütze an. Womit man nicht gerechnet hatte: Der Finanzminister kommunizierte das Ansuchen noch Sonntag Nacht als dramatisch und sprach von einer “Katastrophe in der Bundeshauptstadt”, sogar von angeblicher Pleite war die Rede. Jetzt, zwei Tage später, sieht die Lage schon wieder ganz anders aus. Denn: die Strompreise an der Leipziger Börse sind wieder auf 630 Euro pro MWh gefallen, das Problem der Wien Energie ist vorerst beendet. Die Wien Energie hat am Dienstag statt einer Kaution von 2 Milliarden leisten zu müssen, eine Gutschrift von 798 Mio. Euro erhalten. “Man sieht, welche unglaubliche Entwicklung dieser Strommarkt durchmacht”, sagt Stadtrat Hanke. “Man muss das System überdenken.”
Der europäische Strommarkt, die Strombörse, ist “verrückt”, wie es der Wiener Stadtrat beschreibt. Was ist da genau passiert in den letzten Tagen? Was hat die Stadt Wien unternommen? Was kommt noch?
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Vorgängen der letzten Tage:
Warum handelt die Wien Energie überhaupt an der Börse – und wie funktioniert die?
Die Wien Energie ist abhängiger von den Strombörsen als andere Energieanbieter wie der Verbund, der fast 35 Mio. Megawattstunden aus Wasserkraft produziert, aber nur 500.000 Kunden hat. In Wien lässt sich wenig Energie aus Wasserkraftwerken gewinnen – die Windräder auf der Donauinsel und die Photovoltaik-Anlagen von Wien Energie erzeugen insgesamt 6 Mio. Megawattstunden Strom, die Stadtwerke versorgen ihre Kunden aber mit 10,5 Mio. Megawattstunden Strom – und zwar auch bis nach Niederösterreich.
Das heißt: Wien Energie muss über 40 Prozent des Stroms, den sie ihren Kunden verkauft, am Markt besorgen. Aber Wien Energie hat auch den Strom aus der eigenen erwarteten Produktion verkauft – und daraus entstand der Margin Call. Am liberalisierten Energiemarkt ist es üblich, den Strom aus den eigenen Kraftwerken zu verkaufen und ein passendes Stromprofil für die Kunden einzukaufen. “Eine Kilowattstunde wird zwischen Erzeugung und Verbrauch sieben bis zehn Mal verkauft, das ist das Wesen liberalisierter Märkte”, erklärt der Aufsichtsrats-Chef der Wien Energie, Peter Weinelt, bei einer Pressekonferenz. Das sei der übliche Ablauf am Strommarkt, der sich nur durch politische Reformen ändern lässt.
Der Handel funktioniert auf den Strombörsen über sogenannte Strom-Futures. Das sind “Termingeschäfte”, bei denen ein Verkäufer – etwa die Wien Energie – und ein Käufer z.B. im Jänner 2022 vereinbaren, im Jänner 2023 eine bestimmte Menge Strom zu einem bestimmten Preis zu handeln. Steigt der Strompreis bis dahin über den vereinbarten Future-Preis, steigt der Käufer besser aus und der Verkäufer macht weniger Gewinn als er könnte. Sinkt der Preis, ist es umgekehrt.
Bei Vertragsabschluss hinterlegen beide Parteien kleine Beträge zur Absicherung des Geschäfts. Kommt es in der Folge zu Veränderungen des Preises, muss entweder Käufer oder Verkäufer bei der für die Abwicklung zuständigen Clearing-Stelle eine höhere Kaution (Margin-Zahlung) hinterlegen. Deswegen, erklärt Weinelt, würde auch keine Spekulation betrieben. Das Geschäft wird mit einer fixen Menge und einem fixen Preis abgeschlossen. Und beide Seiten versuchen sich abzusichern, in dem sie gegebenenfalls Kautionen hinterlegen. Man versucht also, das Risiko jedes Geschäfts zu minimieren.
Bei den aktuell steigenden Preisen ist es der Verkäufer, der nachschießen muss. Dann kann die Börse den Strom am Markt selbst kaufen und zum günstigeren Preis an den Käufer abgeben, wenn es der Verkäufer nicht mehr schafft. Wird das Termingeschäft wie geplant abgeschlossen, erhält Wien Energie das hinterlegte Geld zurück. Kann Wien Energie die Kaution nicht hinterlegen, wird sie vom Börsenhandel ausgeschlossen — das würde auch die Versorgung beeinträchtigen. Deshalb hat das Unternehmen die Stadt Wien und den Staat Österreich gebeten, ihnen mit Krediten auszuhelfen.
Wie viel Geld braucht(e) die Wien Energie – und wofür?
Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke hat am Montag, 29. August, einen Brief an das Finanzministerium geschickt, in dem er von zwei Milliarden Euro spricht, die Wien Energie bis Dienstag an Sicherheiten brauchte. Das Geld würde benötigt, um eben die Margin-Zahlungen (Sicherheitskautionen) für Energiehandelsgeschäfte zu leisten. Die Ursache waren die extremen Preiserhöhung an den Strombörsen, die zunächst eine Margin-Zahlung in Höhe von 1,75 Milliarden Euro notwendig gemacht haben.
Mittlerweile sind die Strompreise an der Leipziger Börse wieder auf 630 Euro pro MWh gefallen, das Problem der Wien Energie ist vorerst beendet. Der Grund für die aktuell wieder sinkenden Preise ist laut Branchenkenner Christian Kern die Vermutung der Händler, dass es Eingriffe in den Markt geben wird. So etwas hat die EU-Kommission gestern anklingen lassen.
Was ist der “Wiener Rettungsschirm”?
Es war nicht das erste Mal, das das Unternehmen um Hilfe angesucht hat. Sowohl Mitte Juli als auch Ende August 2022 unterzeichnete Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ein Darlehen, damit die Wien Energie an der Börse vorweisen konnte, gegebenenfalls hohe Strompreise begleichen zu können. Es war ein “Wiener Schutzschirm”, den man aufgespannt hatte, wie es Ludwig formuliert. “Dass es zu Liquiditätsengpässen bei Stromanbietern kommt, ist nicht unerwartet”, erklärt Energieexperte Walter Boltz gegenüber ORF III. “Das Problem haben viele Unternehmen in Europa im Moment, dadurch dass die Produkte, mit denen sie handeln, viel teurer geworden sind, werden auch mehr Sicherheitsleistungen verlangt.”
Hinterlegte Sicherheitsleistungen fließen übrigens spätestens nach der Strom-Lieferung wieder komplett zurück. Diese Mittel sind für die Unternehmen also nur vorübergehend nicht verfügbar.
Hat man bei der Wien Energie spekuliert?
Strommengen – basierend auf dem Bedarf der Wiener – ein bis zwei Jahre im Voraus zu kaufen, zu vereinbarten Preisen, ist normal. Die Wien Energie bestreitet, zu spekulieren. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat angekündigt, den Stadt-Rechnungshof mit einer Sonderprüfung der Wien Energie zu beauftragen, wobei auch externe Gutachter:innen eingesetzt werden. Man will sichergehen, dass die Kauf- und Verkaufsprozesse korrekt abgelaufen sind und nicht, wie manche vermutet haben, Spekulation betrieben wurde.
Was ist jetzt mit dem Geld passiert?
Die Wien Energie hat am Dienstag statt einer Kaution von 2 Milliarden leisten zu müssen, eine Gutschrift von 798 Mio. Euro erhalten. “So verrückt ist dieser Markt, dass an einem Tag eine Zahlung von rund 1,7 Milliarden notwendig geworden ist und morgen eine entsprechende Gutschrift gibt. Deshalb ist so wichtig, dass es einen Sicherheitsschirm über die gesamte Energiewirtschaft gibt”, sagte Stadtrat Hanke in der ZIB2. Denn erst wenn man in Europa wirklich preisbremsend agiert, kann man sicherstellen, dass Preisspitzen wie vergangenen Freitag, nicht mehr passieren. Das sichert Unternehmen wie auch die Endverbraucher:innen hab. Jetzt hat es kurzfristig die Wien Energie getroffen. Ohne dass es zu echten Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist. Doch ohne politische Maßnahmen könnten derlei Spitzen immer wieder geschehen.
Was hat es mit den medial verbreiteten Verkaufs-Strommenge auf sich?
In den letzten Tagen wurden Teile der Bilanz der Wien Energie aus 2021 zitiert. Darin wurden Käufe und Verkäufe als Teil der Termingeschäfte gegenübergestellt. Berichtet wurde, dass die Wien Energie mit Ende des Jahres Termingeschäfte zum Verkauf von Strom über mehr als 16,8 Terawattstunden offen hatte. Offene langfristige Stromeinkäufe machten laut Bilanz hingegen rund 7,7 Terawattstunden aus. Warum ist nun die angeführte Verkaufsmenge so viel größer als die Einkaufsmenge?
Das Unternehmen erklärt das wie folgt: “Wien Energie hat aktuell 4,48 Terawattstunden Strom bis Ende 2024 im Verkauf an der Börse – also getätigte, aber noch nicht abgewickelte Positionen offen. Das entspricht nicht einmal einer Jahresproduktion. 2021 hat Wien Energie 6,28 Terawattstunden Strom selbst produziert.” Die Daten aus den Medien (16,88 TWh) “sind auf Basis des Finanzberichtes der Wiener Stadtwerke aus 2021 zu finden. Die Höhe ist rein bilanziell und zeigt die Handelsbewegungen auch für die Jahre 2022/2023. Diese Zahl beinhaltet z.B. auch konzerninterne Lieferungen. Als Beispiel erwirbt die Wien Energie GmbH für ihre Vertriebsgesellschaft Wien Energie Vertrieb GmbH & Co KG an europäischen Strombörsen Strom, den sie dann an die Wien Energie Vertrieb GmbH & Co KG weiterleitet. Dadurch scheint diese Menge bilanziell doppelt auf, ohne dass dadurch ein Risiko entsteht.”
Sind auch andere heimische Energieversorger betroffen?
Laut “Presse” haben auch andere heimische Energieversorger in jüngerer Zeit immer wieder hohe Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe leisten müssen. Allerdings hat bisher noch kein anderer Versorger die Hilfe der öffentlichen Hand in Anspruch nehmen müssen. Im Finanzministerium hieß es dazu, dass in Österreich derzeit nur die Wien Energie konkreten Bedarf habe. Die österreichische Bundesregierung nutzt aktuell die Situation auch, um mit dem Finger auf das rote Wien zu zeigen statt vorausschauend einen Schutzschirm für alle Energieunternehmen aufzustellen – eine Regelung, die an die Garantien der Corona-Hilfen ähnelt.
Wie lösen andere Länder das? Mit Schutzschirmen und Staatsgarantien
In Deutschland gibt es seit Juni 2022 Staatsgarantien im Umfang von 100 Mrd. Euro für den Energiehandel. Dabei geht es – wie im Fall von Wien Energie – um die Finanzierung von Sicherheitsleistungen, die beim Handel mit Energie zu leisten sind. Auch die Schweiz hat eine ähnliche Lösung gewählt.
Der deutsche Margin-Rettungsschirm will die Liquidität von Energieunternehmen sichern, um in Zeiten enormer Preissprünge eine stabile Versorgung zu gewährleisten. Margins werden die Sicherheitsleistungen für Finanzgeschäfte genannt. Allerdings steigen diese Margins ebenfalls, je höher sich die Preise entwickeln. “Das kann für Unternehmen zu einem Liquiditätsproblem werden – sie haben im Zweifel auch bei insgesamt guter Aufstellung nicht die Mittel parat, um diese Marginings zu leisten”, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robet Habeck.
Ähnliche Probleme wie die Wien Energie hat offenbar der finnische Energiekonzern Fortum, der sich rund zur Hälfte im staatlichen Besitz befindet. Das Unternehmen führt Gespräche mit der finnischen Regierung in Helsinki – ebenfalls über die Besicherung des Marginings. Vergangene Woche hatten sich die notwendigen Sicherheiten von Fortum offenbar spontan um 1 Mrd Euro auf insgesamt 5 Mrd erhöht, was den Konzern dazu bewogen hatte, um staatliche Sicherheiten zu bitten.
Was passiert jetzt noch – in Österreich und auf EU-Ebene?
Wie die Verhandlungen zur Liquiditätshilfe von Seiten des Bundes ausgehen, ist noch offen. Stadt und Unternehmen hoffen auf ein positives Ergebnis, um, wie man erklärt, künftige Preisspitzen abfangen zu können ohne dass es zu Versorgungsengpässen oder eben noch stärkeren Preisansteigen für die Verbraucher:innen kommt.
Brisant dürfte der September werden und zwar für alle Stromkund:innen in Europa. Denn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat just gestern angekündigt, dass es wohl einen “Not-Eingriff” (“emergency intervention”) der EU in den Strommarkt geben wird, um die Strompreise zu dämpfen. Dass das “Merit-Order-System” wie bisher beibehalten wird, ist fraglich.
„Die in die Höhe schießenden Strompreise zeigen jetzt die Grenzen unseres derzeitigen Marktdesigns auf“, sagte von der Leyen auf einem Termin in Slowenien. „Es wurde für andere Umstände entwickelt. Deshalb arbeiten wir jetzt an einer Notintervention und einer Strukturreform des Strommarktes.“
Diese Äußerung wird so interpretiert, dass die Kommission mit ihrer früheren Verteidigung des EU-Strommarktdesigns endgültig gebrochen hat. Seit Monaten gibt es Forderungen, angesichts der Preisexplosionen in den Strommarkt einzugreifen – Länder wie Spanien und Portugal versuchten Diskussionen über eine Reform des Strommarktes zu diskutieren. Auch Österreich blockierte diese Initiativen.
„Wir müssen den Energiemarkt in Ordnung bringen. Eine Lösung auf EU-Ebene ist bei weitem die beste, die wir haben“, pflichtete auch der tschechische Industrieminister Jozef Síkela bei. Er wird für den 9. September eine Dringlichkeitssitzung der Energieminister der EU einberufen. Ein Sprecher der tschechischen Regierung, die derzeit den Vorsitz im Rat der EU innehat, sagte, eine europäische Preisobergrenze sei „definitiv auf dem Tisch“.
Die Blockade der korrupten Regierung auf EU Ebene wundert mich gar nicht. Alle Verbesserungen für AN, Tiere, Umwelt wird von der korrupten, nimmersatten Regierung blockiert.Ihr Einsatz gilt ausschließlich den obersten 10 %. Für die werden Gesetz gemacht. Kollateralschäden am Pöbel interessiert niem