Vorarlbergs schwarz-grüne Landesregierung will ausgerechnet in Zeiten von Corona im Gesundheits- und Sozialbereich sparen. In einem Brief an die Sozialfonds-Einrichtungen kündigen die zuständigen Landesrätinnen von Schwarz und Grün Einsparungen von fünf Prozent. Nur der vehemente Protest der Gewerkschaft konnte eine Nulllohnrunde verhindern.
Noch im Lockdown erreicht Vorarlbergs Sozial- und Gesundheitseinrichtungen ein Brief aus dem Landhaus. Sozial-Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) und Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (Gesundheit) kündigen an, den Sparstift anzusetzen, und bitten um Verständnis der Beteiligten. Die Einschnitte sollen fünf Prozent des Budgets ausmachen. Eine der Maßnahmen: eine Nullohn-Runde für 7.700 Beschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich. Bei den Spitälern sollten gleich zehn Prozent gekürzt werden. Während von der einen Seite Experten und Politiker vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems durch Corona warnen und durch die wirtschaftliche Rezension immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit und in die Armut gedrängt werden, plant die Landesregierung massive Einsparungen genau in diesen zwei Kerngebieten.
Dem Land Vorarlberg fehlen tatsächlich mit Jahreswechsel 150 Mio. Euro; ausgerechnet im Sozial- und Gesundheitswesen zu sparen ist allerdings angesichts der angespannten Lage Gift für die Gesellschaft. Die kolportierten fünf bzw. zehn Prozent Einsparungen konnten durch die massiven Proteste der Einrichtungen und der Arbeitnehmervertreter abgeschwächt werden. Doch mindestens 3,5 Prozent Kürzungen soll der Bereich trotzdem stemmen.
Einsparungen als “Solidarität” mit Arbeitslosen
In Vorarlberg sind der Großteil der Altersheime, Kindergärten, Pflegeheime und Krankenhäuser in der Hand privater Erhalter. Sie werden vom Land für ihre Dienste beauftragt. Sie sollten für die Budgetverhandlungen für das kommende Jahr Einsparmöglichkeiten finden und definieren. Die Zielvorgabe: Fünf Prozent für Sozial- und Pflegeeinrichtungen, zehn Prozent für Krankenhäuser. Dabei erwarteten die Landesrätinnen Wiesflecker und Rüscher nicht nur Verständnis für sich selbst und ihr Vorgehen. Sie bezeichneten die vorgesehene Nulllohn-Runde gar als “Solidarität des Sozialbereichs gegenüber Arbeitslosen”.
Die Zahl der Arbeitslosen in Vorarlberg ist im März gegenüber dem Vorjahr um 80 Prozent gestiegen. Das gilt auch für Langzeitarbeitslose: Knapp 2.700 Menschen suchen schon über ein Jahr nach Arbeit.
“Das hätte ich von der ÖVP erwartet, aber nicht von den Grünen”
Es folgte große Empörung im westlichsten Bundesland. “Von der ÖVP hätte ich nichts anderes erwarte, aber von Katharina Wiesflecker bin ich enttäuscht”, sagt Antonio Della Rossa. Er ist Geschäftsführer der Offenen Jugendarbeit JAM und war bei den Verhandlungen für den Arbeitgeberverein für private Sozial – und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg (AGV) dabei.
“Sie erklärt uns, dass wir solidarisch sein müssen – weil es Konjunkturpakete für den Tourismus geben muss? Das ist keine linke Politik, das ist Steigbügelhalterei für die ÖVP.”
„Wer jetzt an Einsparungen denkt, denkt falsch,“ kritisiert ÖGB-Landesvorsitzender Reinhard Stemmer die Sparpläne der Landesregierung. In Anbetracht der vielen Menschen in Kurzarbeit, die ihren Arbeitsplatz im Herbst verlieren könnten, muss man sich auf einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit vorbereiten. “Deswegen darf keinesfalls bei Beratungs- und Betreuungsangebot gespart werden. Sie geben den Menschen Unterstützung und Sicherheit. Hier braucht es mehr statt weniger Geld!“
„Die vom Land geplanten Kürzungen von fünf bis zehn Prozent gehen in die falsche Richtung. Genau das Gegenteil ist jetzt nötig: Wir brauchen Investitionen“, erklärt SPÖ-Sozialsprecher Michael Ritsch. Er hat bereits mehrere Anfragen an die Landesrätinnen gestellt. „Es ist fraglich, wie die geplanten Einsparungen erreicht werden sollen, ohne dass es zu Leistungskürzungen oder Personalabbau kommt“, kritisiert auch NEOS-Landtagsabgeordneter Johannes Gasser.
Nullohn-Runde abgewendet?
“Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in dieser Branche ist”, sagte Bernhard Heinzle, Geschäftsführer der GPA-dip Vorarlberg. Statt Sparmaßnahmen fordert er Investitionen im Bereich. Und damit ist er nicht allein.
Während der letzten Ausschuss-Sitzung vor der Sommerpause im Landtag versammelten sich Vorarlbergs Betriebsrätinnen und Betriebsräte vor dem Landtag, “um sich den Applaus abzuholen, der den Systemerhalterinnen, den Kolleginnen und Kollegen, die während der Krise top Arbeit geleistet haben, zusteht.”
Der Protest zeigte Wirkung: Noch während der Aktion traten Wiesflecker und Rüscher vor die versammelten Gewerkschafter und versicherten Gesprächsbereitschaft bei der angedrohten Nulllohn-Runde ab. Ob es zu den geforderten 1,5 Prozent Indexierung kommt, ist nicht sicher. Wiesflecker verweist auf Kontrast-Nachfrage auf Lohnverhandlungen im Herbst: “Dem Ergebnis dieser Verhandlungen kann und will ich nicht vorgreifen.” Die angekündigte Gefahrenzulage für SpitalsmitarbeiterInnen über 200 Euro werden auf 300 Euro erhöht und auf alle ausgeweitet, die körperlichen Kontakt mit PatientInnen hatten. Gewerkschaft und Landesrätin verweisen auf verbesserte Arbeitsbedingungen für die Pflege ab Herbst.
Solidarität untereinander
Die restlichen 3,5 Prozent müssen allerdings weiterhin eingespart werden. Diese wolle man durch “Strukturveränderungen, Einsparungen bei Overhead-Kosten und bei der Auflösung von Rücklagen” sparen. Laut Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) muss nicht nur die Gesundheits- und Sozialbranche sparen. Er habe den Auftrag an alle Ressorts des Landes gegangen, nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen. “Es ist mit Mehrausgaben im Sozialbereich v.a. bei der Existenzsicherung, aber auch bei Beratungsleistungen wie der Delogierungsprävention, der Suchtberatung usw. zu rechnen”, erklärt Wiesflecker gegenüber Kontrast.
Die verschiedenen Einrichtungen zeigen sich miteinander solidarisch. “Die Jugendarbeit ist nicht von Einsparungen getroffen, aber die Pflege trifft es mit voller Wucht”, erzählt Della Rossa von der Offenen Jugendarbeit. Die Einrichtungen wollen das Budget untereinander verschieben, einzelne Projekte werden sie dafür einsparen müssen, hört man aus Verhandlerkreisen.
Sozialbereich großer Wirtschaftsfaktor
In Vorarlberg sind in den letzten 20 Jahren im Bereich von Gesundheit, Pflege und Sozialem fast doppelt soviel Arbeitsplätze entstanden wie in der Industrie. Dass die Landesregierung genau hier den Sparstift ansetzen will, verwundert Experten und Betroffene.
Michael Diettrich, Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, kritisiert die geplanten Maßnahmen der Landesregierung scharf. Am 15. Juni wurde schickt die Armutskonferenz ein offener Brief an Landesrätin Rüscher, Landesrätin Wiesflecker und Landeshauptmann Wallner. Grund dafür sind neben den angekündigten Kürzungen und Nulllohn-Runden weitere Ausgabenkürzungen wie z.B. der Aufschub von Bauprojekten. Solche Kürzungen seien in der aktuellen Wirtschaftskrise “völlig kontraproduktiv” und angesichts historisch niedriger Kreditzinsen nicht argumentierbar: Die Zinsen machten 400.000 Euro aus – bei einem Landeshaushalt von 1,9 Mrd. Euro.
“Nicht die Schulden, die wir jetzt machen, werden zukünftige Generationen belasten, sondern die Einsparungen”, schlussfolgert Diettrich. “All diese Vorhaben werden die Nachfrage drücken, die wirtschaftliche Erholung erschweren und Arbeitsplätze kosten.”
“In kaum einem andren Bereich kann die Politik den Arbeitsmarkt so sehr direkt mitgestalten wie im Gesundheits- und Sozialwesen”, fordert SPÖ-Landesvorsitzender Martin Staudinger die Regierung zum Handeln auf. Die Sozialdemokraten bringen deswegen bei der aktuellem Landtagssitzung einen entsprechenden Antrag ein.
Es trifft vor allem die Pflege
Die Armutskonferenz schlägt vor, bewusst Nachfrage zu erzeugen, “indem man in Klimaschutz investiert, Sozialleistungen erhöht oder im eigenen Bereich Arbeitsplätze schafft, zum Beispiel eben im Gesundheits- und Sozialwesen. Wir haben in der Corona-Krise gemerkt, wie wichtig ein gut funktionierender Gesundheits- und Sozialbereich ist – vor allem bei der Pflege.”
Hinzu kommt ein Fachkräftemangel, der bereits jetzt enorm ist. Bereits 2008 bemängelte der Landesrechnungshof das mangelnde Personal in den Vorarlberger Pflegeheimen gibt. Bis 2030 werden 52 Prozent mehr Pflegekräfte benötigt, so das Wifo. Vorarlberg war so schwer von den Grenzschließungen während der Corona-Krise betroffen, dass 160 Hotelleriebetriebe ihre Betten für 24-Stunden-Pflege bereitstellten.