Das klimafreundlichste Haus ist nicht das Passivhaus, sondern das Haus, das nie gebaut wurde, sagt Gerlind Weber, Professorin für Raumforschung und Raumplanung an der BOKU Wien. Für sie ist, wie Österreich seinen Boden verbaut, eine Überlebensfrage – sowohl ökologisch als auch sozial. Für eine nachhaltige und soziale Raumentwicklung braucht es mehr Durchgriffsrechte für die öffentliche Hand und mehr Problembewusstsein, sagt Weber im Kontrast-Interview.
Kontrast: In Österreich sind „nur“ 7 Prozent der Landesfläche genutzt oder besiedelt. Das klingt sehr wenig, wie kann man sich das vorstellen?
Gerlind Weber: Brutto-Österreich ist nicht Netto-Österreich. Netto ist der sogenannte Dauersiedlungsraum: das Staatsgebiet minus Wald, minus Weideflächen, minus Gewässer, minus Felsblöcke. Da bleibt nur noch ein knappes Drittel vom Staatsgebiet für Siedlungen, Verkehr, Landwirtschaft, aber auch Skipisten usw. In Tirol sind es sogar nur 12 Prozent des Landesgebietes, mehr als die Hälfte davon sind bereits bebaut. In Wien beträgt der sogenannte Dauersiedlungsraum 77 Prozent des Stadtgebietes, 60 Prozent davon sind verbraucht. Tirol ist also gar nicht so weit entfernt von Wien, wenn es um die Versiegelung der nutzbaren Fläche geht. Das ist eine dramatische Entwicklung. Auch Flächenbundesländer haben in Österreich bereits einen unglaublich hohen Flächenverbrauch und unnötige Verlustraten an landwirtschaftlichem Boden.
Der Dauersiedlungsraum ist der grundsätzlich besiedelbare und (wirtschaftlich) nutzbare Raum. Dieser steht für Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung und Infrastruktur zur Verfügung. Der Rest besteht aus Wald, alpinem Grünland, Gewässer sowie Ödland wie etwa Felsblöcke und macht über 60 Prozent der österreichischen Landesfläche aus.
Nur etwa die Hälfte der verbrauchten Fläche ist auch versiegelt, also wasserundurchlässig.
Weber: Pro Kopf versiegeln wir in Österreich doppelt so viel wie beispielsweise die Deutschen. Das sind Flächen, die wir damit auch der Landwirtschaft entziehen. Doppelt so viel! Die Bayern erschließen Siedlungsgebiete nach dem Rastermuster: Wenn ein erschlossenes Bebauungsgebiet fast zur Gänze bebaut ist, wird das nächste Raster meistens andockend neu baureif gemacht. In Österreich hingegen wurde lange das landwirtschaftliche Wegenetz asphaltiert und dann die Häuseln entlang dieser Straßen mitten ins Grüne hinein gebaut. Das war und ist die Keimzelle der starken Zersiedelung der Alpenrepublik.
Es wird auch heute noch viel mehr Boden versiegelt, als unbedingt notwendig wäre, um den Menschen ihr freistehendes Einfamilienhaus zu ermöglichen.
Ich sage nicht, dass alle im Geschosswohnungsbau wohnen müssen. Zersiedeln heißt bauen am falschen Platz und nicht per se das Bauen eines Einfamilienhauses. Mit der Zersiedelung haben wir in der Vergangenheit unglaubliche Fehlentwicklungen zugelassen, die den Nachfolgegenerationen noch auf den Kopf fallen werden.
Was ist das Problem an dieser Zersiedelung?
Weber: Mit Zersiedelung gehen enorme finanzielle Verpflichtungen einher. Weil in Österreich Gebäude einfach mitten im Grünen gebaut werden können, gibt es vielerorts ein Sammelsurium an Stichstraßen, deren Erschießungsleistung oft nur ganz gering genutzt wird. Ein Kilometer Gemeindestraße kostet in der Errichtung mit Beleuchtung, Gehsteig, Kanal, Wasserleitung und Elektrizität 1,2 Millionen Euro. Das können Gemeinden häufig nur mit einem Kredit finanzieren.
Die Pflege wie Reparaturen, das Mähen der Böschung, Winterdienste, Reinigungsarbeiten etc. dieses einen Kilometers kostet dann 25.000 Euro jedes Jahr! Wenn Kleingemeinden mit 1.000 Einwohnern ein Straßennetz betreuen müssen, das 40 km lang ist, weil sie eine derartig starke Zersiedelung haben, dann ist 1 Million Euro nur dadurch gebunden, dieses weitläufige Straßen- und Leitungsnetz funktionstüchtig zu halten.
Und ökologisch gesehen?
Weber:
Das klimafreundlichste Haus ist das nie gebaute Haus und nicht das Nullenergie-Haus.
Mit einem Hausbau sind immer große CO2-Emissionen verbunden: Zuerst wird der Mutterboden aufgebrochen, wodurch das darin gespeicherte CO2 in die Atmosphäre entweicht. Dann entsteht ein enormer Baustellenverkehr inklusive dem Einsatz schwerer Baumaschinen. Viele Baumaterialien sind mit viel Energieeinsatz in Herstellung und Transport verbunden. Drittens wird der Grundriss von Gebäude und Zufahrt mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen. Das heißt, es entsteht eine neue Wärmeinsel, die ihrerseits durch die Nutzung des fertigen Gebäudes oder der Straße ein weiterer CO2-Emittent wird.
Zugleich verkleinert sich durch den Hoch- und Tiefbau die nicht versiegelte Fläche, die CO2 und andere Emissionen binden würde. Die Schere zwischen Treibhausgasausstoß und Treibhausgassenke geht immer weiter auf. Man muss sich deshalb vor jedem Neubau überlegen, ob er wirklich notwendig ist und ob es keine schonendere Lösung z. B. durch Sanierung oder Umnutzung gibt. Der hohe Flächenverbrauch in Österreich ist also eine brisante ökologische Frage.
Gleichzeitig gibt es sehr viel unbebautes Bauland. Wie kommt das?
Weber: Das ist tatsächlich ein großes Problem. Diese Baulandreserven sind in den letzten Jahren zwar weniger geworden, aber sind beispielsweise in Oberösterreich noch immer hoch: 22 Prozent des gewidmeten Baulandes liegen dort brach. Das ist auch das Ergebnis von Bodenspekulation: Dabei erwerben InvestorInnen Grund und Boden, um ihr Geld zu veranlagen und durch die steigenden Baulandpreise hohe Gewinne zu erzielen. Doch auch landwirtschaftlich genutzter Boden ist auf dem Papier oft gewidmetes Bauland. Schon in den 1970-er Jahren haben viele Bauern vom Gemeinderat ihre Flächen in Bauland umwidmen lassen, um eine gewisse finanzielle Sicherheit z. B. bei Aufnahme einer Hypothek zu haben.
Der ausgetrocknete Baulandmarkt treibt die Bodenpreise hinauf und macht die Raumordnung nahezu handlungsunfähig. Eigentlich sollte ja durch den Flächenwidmungsplan festgelegt werden, wo gebaut wird und wo nicht. Doch die gewidmeten Flächen kommen nicht auf den Markt. Es müssen weitere Flächen umgewidmet werden, die heute aber meist in raumplanerischen Ungunstlagen liegen, also in peripheren, oft teuer erschließbaren Gebieten.
So können Private diktieren: “Ja, hier möchte ich verkaufen oder selbst bauen – vorausgesetzt bei entsprechender Infrastruktur – oder eben nicht”. Die öffentliche Hand sitzt am kürzeren Ast. Deshalb braucht es auch ein gesetzliches Baugebot. Vorarlberg und die Steiermark haben das eingeführt – denen man ja nicht prinzipielle Eigentumsfeindlichkeit vorwerfen kann.
Die öffentliche Hand muss in den Bestand eingreifen – auch preisregelnd
Was bräuchte es denn für eine nachhaltige Raumentwicklung und Bodenpolitik?
Weber: Man kann davon ausgehen, dass etwa 80 Prozent bis 120 Prozent des jemals gebrauchten Baulandes bereits jetzt existiert. Über hundert Prozent deshalb, weil schon jetzt viele Gebäude leer stehen. Wenn man sagt “In 500 Jahren gibt es kein grünes Fleckerl mehr”, ist das völlige Fiktion, denn das jemals benötigte Bauvolumen existiert in wesentlichen Teilen ja bereits.
Bei der Raumordnung geht es nicht nur darum, zukünftige bauliche Entwicklungen zu regeln, also Grünland von Bauland zu trennen. Es geht auch darum, Eingriffe in den Bestand im öffentlichen Interesse zu ermöglichen, um den unverbauten Boden zu erhalten.
Da müssen alle räumlich relevanten Fragen zusammengedacht werden, vom Naturschutz, über Landwirtschaft, Verkehr, Energie aus erneuerbaren Quellen, Landschaftserhalt, intergenerationelle Gerechtigkeit usw. Dafür braucht es aber auch eine Veränderung in den Köpfen, der Schutz des unversiegelten Landes vor weiterem Flächenverbrauch in Österreich muss absolute Priorität haben.
Dafür müssen wir hoheitliche Eingriffsrechte nutzen. Die Länder hätten schon jetzt mehr Möglichkeiten durch die Anwendung von Bodenbeschaffungsgesetzen und Stadterneuerungsgesetzen. Sie trauen sich wegen der dort verankerten Enteignungsmöglichkeit aber nicht drüber. Eine Möglichkeit wäre, dass man statt Enteignung ein Baurecht einräumt. So findet kein Eigentumsübergang statt, sondern eine gesetzliche Verpflichtung, in bestimmten Problemsituationen der öffentlichen Hand die Nutzung der Baulandwidmung oder die Sanierung von vorhandenem Baubestand zu ermöglichen.
Wenn Sie sagen, es wäre wichtig, in den Bestand einzugreifen…
Weber: Schon lange existieren Gesetze, mit denen man auch preisregelnd eingreifen kann. Das ist für leistbares Wohnen ganz wichtig. Die in jüngerer Zeit stark propagierten vertraglichen Vereinbarungen zwischen Gemeinde und Liegenschaftseigentümer lösen nicht das Grundproblem, dass der Private sein Kalkül der öffentlichen Hand aufzwingt und das Baugeschehen so immer weiter auf die grüne Wiese hinausgetrieben wird, anstatt innerstädtische Leerstände oder Baulücken zu nützen.
Ich denke auch, dass Instrumente zur Preisregelung noch wichtiger geworden sind, seit es die Immobilien-Ertragssteuer gibt. Wenn ein Eigentümerwechsel bei Immobilien stattfindet, muss der Erwerber 30 Prozent des Erlöses als Steuer abführen. In der Hoffnung, dass diese Steuer wieder abgeschafft wird, halten viele EigentümerInnen die Liegenschaft zurück. Oder sie schlagen bei sehr gutem Standort diese Summe auf den Kaufpreis auf. Ich denke, das ist ein Mitgrund, warum die Baulandpreise seit etwa einem Jahrzehnt sprunghaft angestiegen sind. Ein Preisregelungsmechanismus wäre eine angemessene Antwort auf diese Fehlentwicklung.
Wie kann man sich das mit der Preisregelung vorstellen? Die Gemeinde oder die öffentliche Hand könnte den Preis von Baugrund oder einem Gebäude festlegen?
Weber: Ja, sie könnte zum Beispiel vom Preisminderungsrecht Gebrauch machen. Auf öffentlich-rechtlicher Basis hat das z.B. Wien gemacht, als man sich um die Weltausstellung EXPO 95 beworben hat. Da hat man im Vorfeld auf der Grundlage des Stadterneuerungsgesetzes Stadtteile ausgewiesen, die man vor zu hohen Preissteigerungen schützen wollte. Damals stellte man darauf ab, die Immobilienspekulation im Zuge der EXPO 95 zu unterbinden und hat eine Preisregulierung angekündigt. Das wurde dann nicht umgesetzt, weil die EXPO 95 ja nicht nach Wien gekommen ist.
Regionaler Ausgleich und Leerstandsabgabe gegen Flächenverbrauch und Spekulation
Gleichzeitig gibt es in Österreich ja auch viele Lagen, in denen die Boden- und Immobilienpreise sehr niedrig sind und es schwierig ist, eine Käuferin zu finden.
Weber: 75 Prozent der österreichischen Bevölkerung sagen, dass ihre ideale Wohnform ein Einfamilienhaus wäre. Das ist oft eine Frage von Wollen und Können, aber auch von Könnten und Nichtwollen. In entlegenen Gemeinden des Weinviertels z.B. kostet 1 Quadratmeter erschlossenes Bauland 5 Euro, und trotzdem will das niemand kaufen. Weil die soziale Infrastruktur fehlt und die langen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten, Kinderbetreuung, Bildung, Ausbildung und Erholen als nicht zumutbar eingeschätzt werden.
Wir haben in Österreich viel leerstehende Objekte, ganze Kleinstadtviertel und historisch gewachsene Ortskerne, die ungenutzt oder krass unternutzt sind. Gleichzeitig wuchern andernorts viele Städte in ihr Umland. Da muss mehr regionaler Ausgleich her.
Die erste Priorität wäre politisch gesehen natürlich, die leerstehenden Wohnungen in den Nutzungszyklus zurückzuführen. Vor allem Wohnungen, die mit öffentlichen Geldern mitfinanziert wurden.
Vor etwa 40 Jahren hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass eine Leerstandsabgabe gegen den Wesensgehalt des Eigentums verstößt. Es wäre wichtig, diese Frage heute neu zu diskutieren, nämlich auch aus sozio-ökologischen Gründen. Zum einen muss dem Bodenschutz und dem Flächenverbrauch in Österreich aus ökologischen Rücksichten mehr Bedeutung beigemessen werden.
Zum anderen haben wir jetzt eine enorme Immobilienspekulation, die Preissteigerungen und Leerstand produzieren, weil immer mehr Wohnungen allein der Veranlagung dienen und nicht der Eigennutzung oder Vermietung. Diese „Flucht ins ‘Betongold’“ muss gestoppt werden.
Gerlind Weber war bis 2012 Professorin für Raumforschung und Raumplanung an der Universität für Bodenkultur Wien, wo sie dem Institut für Raumplanung und Ländliche Neuordnung vorstand. Als freischaffende Raumwissenschafterin beschäftigt sie sich nun mit der nachhaltigen Entwicklung ländlicher Regionen, Frauen am Land, Bodenpolitik, Ortskernrevitalisierung, den räumlichen Auswirkungen des demographischen Wandels und des Klimawandels sowie den Umsetzungsfragen diverser Nachhaltigkeitsstrategien der EU in den nationalen Rahmen.
Um Geld von einem Konto auf ein anderes zu transferieren, bedarf es eines Vertrages. ME gibt es Leerstand, weil sich ein Haus auch ohne vermietete Lokale rechnet. Steuer auf Leerstand? Warum hat ein leerstehender Raum einen Wert?
Bsp. 3. Piste-VIE: Bau reduziert Gewinne und Steuern, Wert steigt