Eine umfassende Studie zeigt, wie die Lebensqualität für Frauen auf Gemeinde- und Städte-Ebene aussieht. Der „Städtebund-Gleichstellungsindex“ hat ergeben, dass Gemeinden nur die Hälfte dessen anbieten, was möglich wäre, um Männern und Frauen in allen relevanten Lebensbereichen die gleichen Chancen zu ermöglichen. In Summe mangelt es an Kleinkinder-Betreuung und an Vereinbarkeit. Die Gemeindepolitik wird von Männern gemacht und auch in Sachen Gewaltschutz fehlen Hilfsangebote.
Studienautorin Janine Heinz hat gemeinsam mit dem SORA-Institut 22 Indikatoren erarbeitet, anhand derer sie messen konnte, wie es um die Gleichstellung in Österreichs Gemeinden steht. Im Sommer 2021 hat sie die Daten erhoben und im Herbst ausgewertet. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.
Das Studien-Team hat untersucht, wie es um Kinderbetreuungseinrichtungen und deren Öffnungszeiten, die politische Repräsentation von Frauen, den Gewaltschutz oder den Zugang zu Kassen-GynäkologInnen steht. Die Ergebnisse sind zum Teil ernüchternd.
Gleichstellung ist in Wien am weitesten vorangeschritten
Im Bundesländervergleich ist die Gleichstellung in Wien am weitesten vorangeschritten: Die Hauptstadt erreicht einen Indexwert von 79 im „Städtebund-Gleichstellungsindex“, gefolgt von Vorarlberg und Salzburg mit 56 bzw. 55 Punkten. Das Schlusslicht bildet Kärnten mit 47 Punkten, hinter Niederösterreich mit 49 Punkten.
Es fehlen 135 Frauenhaus-Plätze in den Gemeinden
Ein großes Defizit machen die StudienautorInnen beim Gewaltschutz aus, konkret: Bei den verfügbaren Plätzen in Frauenhäusern. Sie sind die letzte Zufluchtsmöglichkeit für Frauen und Kinder, wenn diese vor ihren gewalttätigen Partnern fliehen müssen.
Eigentlich sollte es in Österreich pro 10.000 EinwohnerInnen einen Frauenhaus-Platz geben. Real gibt es aber derzeit nur 750 – also um 135 Plätze zu wenig. Das heißt auch, dass Frauen und ihre Kinder unter Umständen weggeschickt werden müssen, weil kein Bett für sie frei ist.
Für gewaltbetroffene Frauen auf dem Land ist es besonders schwer, auf diesem Weg Unterschlupf zu finden. Frauenhäuser liegen meist in Landeshauptstädten.
In 76% der österreichischen Bezirke gibt es überhaupt kein Frauenhaus. Frauen müssen sich von ihrem sozialen Umfeld loslösen und weite Strecken zurücklegen, bloß um in Sicherheit zu sein.
Gemeinderäte sind männlich & Bürgermeisterinnen eine Rarität
3 von 4 Gemeinderäte bzw. Wiener Bezirksräte sind Männer. Zudem gibt es sogar 40 Gemeinden, in denen überhaupt keine Frau im Gemeinderat vertreten ist. Hingegen gibt es nur 12 Gemeinden und acht Wiener Bezirke, in denen der Frauenanteil bei zumindest 50% liegt.
An der Gemeindespitze sind Frauen nach wie vor die Ausnahme:
Weniger als 10 Prozent (209) der Gemeinden (inklusive aller Wiener Bezirks-Vorstehungen) haben eine Bürgermeisterin bzw. in Wien eine Bezirksvorsteherin.
Noch seltener ist eine weibliche Doppelspitze – in sechs Gemeinden (0,3%) gibt es die Kombination einer Frau als Bürgermeisterin und einer 1. Stellvertreterin. Auf der anderen Seite stehen in 1.506 Gemeinden ein männlicher Bürgermeister sowie ein männlicher 1. Stellvertreter an der Spitze.
2 von 5 Gemeinden haben keine Kinderbetreuung für die Kleinsten
Können Frauen Vollzeit arbeiten, wenn sie es wollen? Haben sie kleine Kinder, können sie diese Frage dann mit Ja beantworten, wenn es in der Umgebung Kinderkrippen und Kindergärten gibt. In 2 von 5 Gemeinden (konkret: in 38%) gibt es für 0- bis 3-Jährige gar keine Betreuungsmöglichkeit. Dort haben Frauen kaum eine Möglichkeit, in den ersten drei Jahren nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen.
Und selbst wenn es Einrichtungen gibt, stellt sich noch die Frage, wie lange die Krippen und Kindergärten geöffnet sind und wie viele Schließtage sie haben. Ein Kindergarten, der um 12:30 schließt, macht einen mehr als 20-Stunden-Job für Frauen kaum möglich.
Laut „Städtebund-Gleichstellungsindex“ sind nur 36 Prozent der Kindergärten mit einer Vollzeit-Stelle vereinbar: Sie haben lange Öffnungszeiten, betreuen von Montag bis Freitag und es gibt ein Mittagessen vor Ort.
Teilzeitarbeit ist weiblich – Hausarbeit und Kinderbetreuung ebenfalls
Im Durchschnitt der Gemeinden haben 55% der Frauen und 10% der Männer einen Teilzeit-Job. Frauen leisten weniger Stunden Arbeit, für die sie bezahlt werden. Kommen sie nach Hause, geht die Arbeit weiter. In Österreich übernehmen Frauen zwei Drittel der Hausarbeit und der Kinderbetreuung. Im Schnitt sind es bei Frauen 4,5 Stunden am Tag, in der sie diese Arbeit verrichten. Bei Männern sind es nur 2,3 Stunden.
Je städtischer, desto mehr Lebensqualität für Frauen
Die Analyse nach regionalen Unterschieden zeigt: Je mehr EinwohnerInnen eine Gemeinde hat und je städtischer sie ist, desto besser schneidet sie im Gleichstellungsindex ab: Städte, die laut Statistik Austria als urbane Zentren klassifiziert werden, erzielen nicht nur im Gesamtindex höhere Werte, sondern auch in Hinblick auf einzelne Indikatoren. So ist beispielsweise der Frauenanteil im Gemeinderat höher, je mehr EinwohnerInnen eine Gemeinde bzw. Stadt hat.
Noch 170 Jahre auf Gleichstellung in Österreich warten
Der Gleichstellungsindex des Städtebunds hat für alle 2.095 Städte, Gemeinden und die 23 Wiener Gemeindebezirke 22 Indikatoren angelegt und dann miteinander verglichen. Auf einer Skala von 0 bis 100 wurde für jeden Indikator gemessen, wie schlecht oder gut die Anforderungen für Gleichstellung erfüllt werden.
Der „Städtebund-Gleichstellungsindex“ kommt – in der Gesamtbetrachtung – zum Schluss, dass erst die Hälfte der Anforderungen erfüllt sind, um Gleichstellung in Österreich zu garantieren. Für alle österreichischen Gemeinden erzielt der Gleichstellungsindex aktuell einen Wert von 51 (von 100 möglichen) Punkten. Aufholbedarf gibt es vor allem beim Gewaltschutz, der Repräsentation von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Funktionen, der Kinderbetreuung und in der Teilzeitarbeit.