Vieles, was vor über 100 Jahren erkämpft wurde, ist heute bedroht. Schleichend wird der Alltag für Arbeiterinnen und Arbeiter härter. Immer unverschämter versuchen Großkonzerne das Arbeitsrecht zu umgehen und ihre Beschäftigten auszubeuten. Fälle wie Amazon zeigen dringenden Handlungsbedarf.
Bis 1920 gab es sogenannte Gutsherren in Österreich. Sie konnten frei über ihre Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihrem Hof oder ihrem Gut entscheiden. Die arbeitenden Menschen hatten zu gehorchen und nichts zu melden.
Die Beschäftigten und die Gewerkschaft erkämpften das Arbeitsrecht und ließen Arbeitsformen wie diese verbieten. Viel mehr noch: Im Jahr 1919 kam der 8-Stunden-Arbeitstag, der Urlaubsanspruch wurde gesetzlich geregelt und Polizeistrafen für Regelverletzungen durch Arbeitende abgeschafft. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele Gesetze für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Österreich beschlossen.
Zurück in die Vergangenheit?
Resultat dieser Verbesserungen war, dass Arbeitende fortan nicht mehr zur völligen Unterwerfung genötigt wurden. Arbeitgeber konnten sie nicht mehr wie ersetzbare Maschinen bis zum körperlichen und psychischen Verschleiß ausbeuten.
Sind diese von den Arbeitenden teilweise unter Lebensgefahr erkämpften Rechte bis heute unangreifbar oder sehen wir weltweit Tendenzen, Arbeitsrechte wieder abzubauen? Ist die „Gutsherrenmentalität“, verpackt in vermeintlich neue und hipp klingende “Wordings”, mit vielen hohlen Marketing-Phrasen, nach hundert Jahren in Europa wieder zurückgekehrt?
Söldner oder Missionare
Amazon-Boss Jeff Bezos sagt in einem Interview beispielsweise ganz offen: “Wenn ich mir Mitarbeiter ansehe, versuche ich immer herauszufinden: Ist es ein Missionar oder ein Söldner? Söldner fragen sich zuerst: Wie viel Geld werde ich verdienen? Bei den Missionaren steht die Leidenschaft für ein Produkt oder einen neuen Service im Vordergrund“, und erklärt weiter: “Missionare machen bessere Produkte, weil sie sich stärker persönlich verantwortlich fühlen!”. Das ist so bezeichnend wie unverschämt, auch weil Amazon gerade für seine unwürdigen Arbeitsbedingungen bekannt ist.
Während in Deutschland nach Tarifvertrag für den Großteil der Lager-Arbeiten im Versandhandel zwischen 11,47 Euro und 11,94 Euro pro Stunde gezahlt werden muss, schickt Amazon seine Beschäftigten mit einem Gehalt von lediglich 9,65 Euro bis 11,12 Euro pro Stunde nach Hause.
Das ist möglich, weil Amazon seinen Beschäftigten seit Jahren die Einführung eines Tarifvertrags vorenthält. Amazon zwingt auch einen großen Teil der Beschäftigten systematisch in befristete Arbeitsverträge. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich dabei um ein bewusstes Druckmittel handelt.
Arbeitende brechen in Amazon-Lagerhallen erschöpft zusammen
Aber über unwürdige Arbeitsbedingungen bei dem Konzernriesen hört man nicht nur in Deutschland.
So wurde, nachdem sich ein Reporter in die englische Logistikzentrale von Amazon eingeschleust hatte, publik, dass Beschäftigte dort in den tageslichtlosen Arbeitshallen schuften bis sie im Stehen einschlafen. Sogar Klo-Pausen sollen vermieden werden und werden streng kontrolliert.
Manche brechen zusammen und müssen von der Rettung abgeholt werden, weil sie sich in 55-Stunden-Wochen verausgaben müssen, um die überzogenen Zielvorgaben des Unternehmens zu erfüllen. Im größten schottischen Kundenzentrum des Versandhändlers soll es im Vorjahr zu insgesamt 43 Ambulanz-Einsätzen gekommen sein.
„Verbreitet die Kunde!“
Der Konzern hat daraufhin in bester Gutsherren-Manier die Beschäftigten dazu „ermuntert“, mit positiven Tweets über ihre Arbeitsbedingungen das Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern. Der „Ermunterung“ folgend hat ein Beschäftigter in Jacksonville getwittert, dass die Luftqualität in der Lagerhalle „sehr gut“ sei.
Eine andere Beschäftigte lobte zwei genehmigte halbstündige Pausen während einer zehnstündigen Schicht als „Sonderleistung“. Wieder andere twitterten, dass es ihnen sehr wohl erlaubt sei, auf die Toilette zu gehen, und dass sie von ihrem Gehalt auch leben könnten.
Und obwohl über Amazon noch einiges mehr Erwähnung finden könnte, ist die Gutsherrenmentalität der Geschäftsführung nicht nur dort an der Tagesordnung. Facebook-Boss Mark Zuckerberg stößt in exakt dasselbe Horn, wenn er nicht nur für sich, sondern auch für seine Beschäftigten predigt: „Es geht nicht nur um Spaß, wir haben eine Mission.“.
Arbeitsbedingungen: Eiskalte Büros für Facebook-Angestellte
Für die Beschäftigten bei Facebook bedeutet dieses Zuckerberg-Gebot, dass auf seine Anweisung hin laut Beschäftigten die Temperatur in allen Büros auf 15 Grad herunter gekühlt würde – das soll anscheinend die Produktivität steigern.
Mit Ausnahme von sechs Wochen im Jahr besteht außerdem die Pflicht 24 Stunden pro Tag und 7 Tage die Woche erreichbar zu sein. Weiters berichteten Beschäftigte auf engstem Raum zusammengepfercht hocken und ihre Privatsphäre praktisch an der Eingangstür abgeben müssen.
Aber auch Thomas Biewald, der CEO Crowdwork-Plattform Crowdflower macht kein Geheimnis aus seiner Einstellung gegenüber Arbeitenden. Er erklärte sein Geschäftsmodell 2014 ganz offen: „Vor dem Internet wäre es wirklich schwierig gewesen, jemanden zu finden, ihn für zehn Minuten hinzusetzen und für sich arbeiten zu lassen und ihn nach diesen zehn Minuten wieder zu feuern. Aber mit dieser Technologie können Sie tatsächlich jemanden finden, ihm einen winzigen Geldbetrag bezahlen und dann loswerden, wenn Sie ihn nicht mehr benötigen.“
Gewerkschaften brauchen wir nicht?
Und auch für Österreich können rasch prominente Beispiele für die Rückkehr der Gutsherrenmentalität gefunden werden. So lassen etwa Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz und der Industrielle Frank Stronach keinen Zweifel daran, dass sie an der Mitwirkung von Betriebsräten zur Wahrung der Interessen der Beschäftigten in ihren Unternehmen nicht nur kein Interesse haben, sondern sich sogar aktiv dagegenstellen.
Mateschitz ging so weit zu bestätigen, dass Initiativen zur Gründung eines Betriebsrats bei seinem Fernsehsender „Servus TV“, mit seiner Drohung den Sender zu schließen zusammenhingen.
Erst nachdem alle Beschäftigten sich gegen die Gründung eines Betriebsrats ausgesprochen hatten, wurde das Bestehen des Senders bestätigt.
Stronach wiederum lies über seinen früheren Klubobmann Robert Lugar verkünden: “Frank sieht das so: Die Gewerkschaften brauchen wir nicht – er sorgte ja als Unternehmer immer selbst gut für seine Mitarbeiter.” Die Gewerkschaften wolle er zwar “nicht verbieten, aber zurückstutzen“, denn so behauptete er, Gewerkschaften wären “destruktiv, sie blockieren alles und sie sorgen für politischen Stillstand.”
Arbeitende verdienen Sicherheit!
Doch Beschäftigte sollen weder Missionare noch Söldner sein. Sie sollen ihr Leben nicht rund um die Uhr, 24 Stunden pro Tag und 7 Tage die Woche dem Willen eines betrieblichen Führers unterwerfen müssen.
Arbeitende brauchen und verdienen Sicherheit, ihre Gehälter sind keine Almosen und sie sollen nicht immer wieder erneut darum bitten müssen.
Sie müssen das Recht darauf haben ihre Freizeit frei und sorglos gestalten zu können, ohne auf Abruf bereitstehen zu müssen. Auch Beschäftigte müssen ein Recht auf Selbstbestimmtheit und Flexibilität haben. Wir leben nicht nur um Befehle zu empfangen und zu schuften bis wir umfallen.
Alle Arbeitenden haben das Recht auf ein Gehalt, von dem es sich leben lässt, auf Zeit für sich selbst und ihre Angehörigen, eine respektvolle Behandlung, auf Achtung und die Wahrung ihrer Würde.
Zeigen wir der Gutsherrenmentalität wieder ihre Grenzen auf und lassen wir uns unsere so hart erkämpften Rechte nicht wieder wegnehmen. Organisieren wir uns!
Hierarchien verführen Einzelne dazu Selbstherrleichkeit offen zu Schau zu stellen.
Die feudalen Herrschaftsstrukturen sind nie verschwunden. Die einzige tatsächlich relevante Unterbrechung der Dominanz dieser Strukturen war um die 1920er. Ein bis zwei Dekaden lang war deren Einfluss tatsächlich zurückgedrängt.
Demokratie ist eben nicht die Gegenbewegung dazu sondern die freiwillige Liberalwerdung des Einzelnen, der sich in weiter Folge mit anderen verbündet um sich den oben genannten Tendenzen entgegenzustellen (Wettbewerb usw…). Im letztgenannten Punkt hapert es zumeist.
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Der Servicesektor in Mitteleuropa war das ungeliebte Kind.
Deswegen hat Politik insbesondere in Deutschland diesen benutzt Einflüsse von außerhalb auf produzierende Betriebe welche Anpassungsprozesse durchliefen fernzuhalten. Diese Funktion der Isolation charakterisiert heute noch diesen Sektor.
Aus dem ursprünglichen Provisorium entstand das ungeliebte Kind in dem die ungeliebten Kinder gesammelt werden. Ostdeutsche, Zuwanderer, ausgegliederte Organisationseinheiten usw… Provisorien tendieren dazu lange zu weilen.
Die sich neu strukturierende Industrie, resp. Wirtschaft, da das Modell auf sämtliche Bereiche der Bewirtschaftung wurde ausgerollt, hat den Druck dorthin abgegeben. Der Druck sammelte sich in diesem Sektor da dieser defakto unreguliert war und blieb (kein KV).
In Summe hat dies zur Niedriglohnkultur im Servicesektor geführt.
Heute wird im Rahmen dieses Sektors Off-Shoring im Inland genauso betrieben. Selbst der Sektor gilt mittlerweile also quasi industrialisiert.
Die Denke aus Sicht der Kalkulation war, dass ein Servicebetrieb sich als Industriebetrieb ohne Maschine wohl ganz gut lässt abbilden.
Durch die Weitergabe des des Drucks aus den regulierten Teilen der Wirtschaft entstand eine Verlängerung der Industrielinien in Richtung zum Rohstoff im Servicessektor hin.
Eine verbreitete Denke der einstigen Merkantilisten ist noch ausgeprägt, nämlich ‘Wir importieren nicht was wir noch selbst können produzieren’. Das führt zu dem Off-Shoring im Inland.
In Deutschland herrschte zu dem Zeitpunkt ein ganz andere Kultur der Umverteilung, Währungspolitik usw…
Der Verzicht zur Teilnahme an einem KV zwingt Mitarbeiter rechnerisch in den Sektor. Wenn alle auf KV verzichten verpufft die Wirkung dieses Isolationsmechanismus sowieso, losgelöst ob das Vorgehen in der Breite Sinn macht oder nicht.