Immer mehr europäische Betriebe verlagern ihre Produktionsstandorte ins Ausland – auch Österreich ist von den Betriebsabwanderungen betroffen. So wurde etwa das Werk des Elektromotorenherstellers ATB im steirischen Spielberg in die Billiglohnländer Polen und Serbien verlagert. Was wie eine typische Geschichte für Betriebsabwanderungen begann, endete wie ein Wirtschaftsmärchen. Denn fünf Jahre nach dem Aus für die Motorenproduktion im steirischen ATB-Werk eröffnete keine 500 Meter entfernt ein neues Motorenwerk.
Im Sommer 2020 wurde die Schließung des ATB-Werks in Spielberg öffentlich. Der chinesische Konzern Wolong wirtschaftete sein steirisches Tochterunternehmen ATB systematisch herunter, um es danach in Konkurs zu schicken. 360 Beschäftigte, viele davon über 50 Jahre alt, verloren ihre Jobs. Für die Region war das eine Katastrophe.
Während sich die Menschen aus der Region mit den Mitarbeitern solidarisieren und gegen die Werksschließung in Spielberg protestieren, kamen zeitgleich schon die ersten LKW’s mit polnischen Kennzeichen, um die Maschinen abzutransportieren. Denn der Hersteller von Elektromotoren verlagerte seine Produktion in die Billiglohnländer Polen und Serbien.

Wolong hat möglicherweise auf ATB-Schließung hingearbeitet
Kritiker warfen Wolong vor, gezielt auf diesen Schritt hingearbeitet zu haben, um sich Marktzugang, Know-how und die Marke ATB zu sichern. Für viele zeigte sich hier das wahre Gesicht der neoliberalen Globalisierung. So auch für den damaligen steirischen SPÖ-Abgeordneten und jetzigen Landesparteivorsitzenden Max Lercher
„Das ist die Art von Globalisierung, die uns alle anwidert: Alle Vorteile nutzen und sich dann bei erstbester Gelegenheit davonstehlen und die Produktion in ein billigeres Land zu verlagern.“
Die Abwanderung der Firma aus der Steiermark ist dabei kein Einzelfall. Spätestens seit dem Anstieg der Energiepreise und der darauffolgenden Inflationskrise wird die politische Debatte von der Frage um die Zukunft jener Wirtschaftssektoren, die im internationalen Wettbewerb stehen, dominiert. Bei diesen droht die Gefahr, dass sie abwandern könnten. Dabei geht es nicht um den Friseur oder Bäcker von nebenan, sondern um die heimische Industrie.
Ehemaliger ATB-Kunde wird zum Motorenproduzenten
Für das Beispiel der Betriebsabwanderung in Spielberg gab es diesen Monat allerdings Grund zur Freude: Nur wenige Gehminuten vom alten ATB-Standort entfernt eröffnete der deutsche Pumpenproduzent Speck ein neues, hochmodernes Motorenwerk – früher war er Kunde von ATB. Jetzt hat sich das Unternehmen dazu entschlossen, selbst Elektromotoren zu bauen. 30 Millionen Euro wurden investiert. Maßgeblich verantwortlich bei diesem Projekt war der ehemalige ATB-Produktionsmanager Jürgen Wieser. Aktuell sind rund 50 Mitarbeiter in dem Unternehmen beschäftigt, bis zu 200 sollen es in den nächsten Jahren werden.
Speck war früher ein großer Kunde von ATB und hat aus Spielberg Motoren für spezielle Pumpen bezogen, die für die Industrie gefertigt werden. So werden Speck-Pumpen beispielsweise in Bussen, Schweißmaschinen, Schnelllade-Stationen für Elektroautos sowie in der chemischen Industrie und in der Medizintechnik verwendet. Bei der Eröffnungsfeier sprach der Speck-Geschäftsführer Wolfgang Krüger über ATB: Die Verlagerung der Produktion von Spielberg nach Polen durch die chinesische Wolong-Gruppe habe sich als „Desaster“ erwiesen. Man habe die Qualitätsverschlechterung „leidvoll zu spüren bekommen“. Diese Entwicklung habe schließlich dazu geführt, Motoren für die Spezialpumpen nicht mehr zuzukaufen, sondern selbst herzustellen.

Rückkehr nach Spielberg: Fachkräfte ausschlaggebend
Dass die Produktion wieder nach Spielberg kam, war kein Zufall. Der ursprüngliche Plan, das Werk in der deutschen Zentrale nahe Nürnberg zu bauen, wurde rasch verworfen. Das hatte einen einfachen Grund: Es fehlten die Fachkräfte. Und hier kommen Spezialisten ins Spiel, die früher bei ATB Spielberg umfangreiche Erfahrung und Fachwissen in der Motorenproduktion gesammelt haben. Das derzeitige Personal bestehe zu einem großen Teil aus ehemaligen ATB-Mitarbeitern. Der Name der neuen Firma lautet SP Antriebstechnik. Ihr mittelfristiges Ziel ist es, jährlich bis zu 300.000 Antriebsmotoren zu fertigen.
Was braucht es, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken?
Zwar konnte sich in diesem konkreten Fall das Blatt für den Industriestandort Österreich zum Positiven wenden. Doch um den Unternehmen zu helfen und wettbewerbsfähig zu bleiben, „ist es jetzt umso wichtiger, Maßnahmen zu setzen“, sagt Angela Pfister, Ökonomin in der volkswirtschaftlichen Abteilung des ÖGB gegenüber dem Standard. Die Forderungen der Expertin sind klar: „Es braucht eine Fachkräftestrategie und eine Qualifizierungsoffensive“. Zudem müssen innerbetriebliche Ausbildungen gestärkt werden, und es „braucht einen Ausbau von Weiterbildungsmöglichkeiten“.
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