Dossier

So hängen die ÖVP-Chats, Benkos Immo-Deals und die Kika/Leiner-Pleite zusammen

Foto: Marcel Kusch/DPA/APA Picturedesk

Wer sich über René Benko informieren will, wird vor allem Berichte über die Kika/Leiner-Insolvenz finden – die größte Pleite in der Republik seit 10 Jahren. Man liest von Schulden an die Republik in Höhe von 100 Millionen Euro und von Immo-Deals und „Nachhilfe“ durch die ÖVP. Wer sich fragt: Wie konnte das denn passieren, was ist da genau abgelaufen? Der muss ein paar Jahre weiter in die Vergangenheit schauen. Wir erzählen – in Kurzversion – die Geschichte, wie René Benko mit einem Haps sich mehrere Immo-Deals gesichert hat, mutmaßlich seine volle Steuerpflicht drückte und wie die ÖVP für den Preis einer guten Headline mitgespielt hat.

Drei Immobilien in Wiener Top-Lage: das mehrmals gekaufte „Goldene Quartier“

2008 ist das Jahr, in dem René Benko mit drei Immobilien in der Tuchlauben, mitten in der Wiener Innenstadt, ein gutes Geschäft einleitet. Er kauft die Immobilien von zwei Banken, die in der aufkeimenden Finanzkrise Geld brauchen. Um 141 Millionen Euro werden die drei Immobilien im April an die Signa verkauft. Kurze Zeit später, im September, verkauft die Signa diese an eine neue luxemburgische Gesellschaft, an der Benko über die Laura-Privatstiftung beteiligt ist, weiter – um dieselbe Summe. Nur zwei Wochen (!) später gelingt der Mega-Deal: Die Immobilien wechseln für 195 Millionen abermals die Besitzer. Auch an dieser Gesellschaft ist die Signa Holding beteiligt.

Mehrmals Eigentümerwechsel, dazwischen eine plötzliche Wertsteigerung ein- und derselben Immobilen um 53 Millionen Euro. Das Finanzamt Wien interessiert sich für diese Käufe und Verkäufe – und vermutet, dass die nahestehenden Kapitalgesellschaften bewusst Geschäfte miteinander abgewickelt haben. Denn die 53 Millionen galten nicht als zu versteuernder Gewinn, sondern als stille Reserven (die etwa entstehen, wenn Immo-Vermögen unterbewertet wurden).

53 Tuchlauben-Millionen Euro wandern am Fiskus vorbei

Die Vermutung: 53 Millionen Euro wurden am Fiskus vorbeigeschoben. Das Finanzamt Wien nimmt Benko ins Visier. Sechs Jahre lang.

Vor den Kulissen macht René Benko in den Jahren nach dem Tuchlauben-Deal Werbung für sein „Goldenes Quartier“, eine Luxusmeile in der Innenstadt. Benko sieht sich als Visionär, der Wien zu mehr Glanz verhelfen will. Mit Luxus-Büros, Prada und Louis-Vuitton-stores. „Ich bin halt doch der kapitalistisch Orientierte“, wie er es 2011, ein Jahr vor der Eröffnung des Quartiers, formuliert.

Das Wiener Finanzamt lässt nicht locker

Unterdessen lässt das Wiener Finanzamt nicht locker. Die Behörde fordert eine Steuerzahlung für die Wertsteigerung der Tuchlauben-Immobilien. Und setzt die Bemessungsgrundlage bei 50 Millionen Euro fest. Für den Staat würde das 3,5 Millionen Einnahmen an Körperschaftssteuer bedeuten. Doch die Signa bewegt sich nicht, versucht die Bemessungsgrundlage auf 35 Millionen zu drücken. Die Wiener Behörde gibt nicht nach.

Ein verlockendes Angebot an Thomas Schmid

Die Jahre vergehen und wie sich viel später in den Akten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zeigen wird, hat René Benko einen Bekannten, der praktischerweise im Finanzministerium arbeitet: Thomas Schmid. „Seit zumindest Ende 2016“ stehen die beiden in Kontakt, wie sich aus sichergestellten Chats nachzeichen lässt. „Man duzt sich und trifft sich regelmäßig“, wie es in den Akten aus dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses heißt.

„Die Rolle des Generalbevollmächtigten bei uns im Konzern würde dir sicher gut liegen“, schreibt Benko im Dezember 2016 an Schmid. Es ist ein gut bezahlter Job bei der Signa, der da in Aussicht gestellt wird: 300.000 Euro Jahresgehalt plus Boni.

Das Angebot ist, so liest es sich im Herbst 2022 im „Geständnis“, das Thomas Schmid bei der WKStA ablegt, nicht ohne Hintergedanken: Benko will damals laut Schmid dessen Hilfe – in einer Steuerangelegenheit. Dass das Wiener Finanzamt noch immer die Steuer aus dem Tuchlauben-Deal eintreiben will, passt Benko nicht.

Was Schmid hat, sind Kontakte. Im Juni 2017 tauschen sich Benko und Schmid nochmal aus.

René Benko: „kannst du mir die E-Mail-Adresse von unserem gestrigen Termin schicken damit mein Steuerberater entsprechend Kontakt aufnehmen kann danke.“

Thomas Schmid: „Eduard.mueller@bmf.gv.at“

Eduard Müller ist zu diesem Zeitpunkt Sektionschef im Finanzministerium.

Eine Perle auf der Mariahilferstraße wandert an Benko

Unmittelbar passiert in der Steuersache nichts – oder zumindest lässt sich das so nicht nachzeichnen. Dafür bringen die Vorweihnachtstage im Jahr 2017 verheißungsvolle Möglichkeiten für René Benko und seine Signa: Die Konzernmutter von Kika/Leiner (die Steinhoff Europe AG) hat Geldprobleme und will eine Perle, die Immobilie in der unteren Mariahilferstraße, verkaufen. René Benko – konkret eine Tochtergesellschaft der „Laura Privatstiftung“ – kommt zum Zug: Um 60 Millionen Euro wechselt die Immobilie den Besitzer.

Die Freude bei Benko dürfte groß gewesen. Getrübt wird sie wohl dadurch, dass sich diese lästige Sache mit der Steuerzahlung aus dem Tuchlauben-Deal noch immer nicht aufgelöst hat. Das darauffolgende Jahr sollte vielversprechend sein.

14. Juni 2018, 20:27 Uhr: „Deal fliegt“

Es ist der Sommer 2018. In den Medien häufen sich Berichte über die finanziell schwierige Lage bei Kika/Leiner. 5.000 Jobs stehen auf dem Spiel, ohne Lösung – ohne Übernahme und Sanierung – droht die Pleite. Zwei Interessenten haben sich ins Spiel gebracht: René Benko mit der Signa Gruppe und Frank Albert, ebenfalls Immobilienunternehmer.

Wie genau das Ganze ausgeht, das interessiert auch die oberste Politik. Die ÖVP will als Retterin der Arbeitsplätze dastehen – und für diese Headline ist sie auch bereit, mitzumischen.

Die ÖVP ist deutlich, dass sie will, dass Benko den Kika/Leiner-Zuschlag bekommt.

Die Unternehmerin Gabriela Spiegelfeld – sie hat für Sebastian Kurz in dessen Wahlkampf 2017 als Netzwerkerin agiert – und Thomas Schmid beobachten im Juni 2018 mit Spannung jeden Schritt von Benko und Albert. Man pokert, es wirkt als ziehe Benko zurück.

Die Geschäfte und Immobilien von Kika/Leiner sind zu diesem Zeitpunkt schon getrennt. Dem Mutterkonzern gehört nur das operative Geschäft, die Immobilien gehören einem Londoner Hedgefonds.

Am 14. Juni 2018 entscheidet sich alles. Gibt es keine Übernahme, muss an diesem Tag die Insolvenz am zuständigen Gericht beantragt werden. Bis 16:00 Uhr. Wo die ÖVP steht, kommt aus den Chats hervor.

Gabriela Spiegelfeld: „Wir sind f wen? Frank Albert bringt d mariahilferstr. ins Spiel… gabs unregelmäßigkeiten“

Thomas Schmid: „Wir sind für René Benko. Denke der ist mit HBK (Anm. Herr Bundeskanzler, Kurz) abgestimmt.“

„BKA (Anm. Bundeskanzleramt) wollte sich schon als Retter verkünden.“

Um 20:27 Uhr vermelden die Beteiligten: „Deal fliegt.“ Nur drei Minuten später und die letzte Angebotsfrist wäre verstrichen.

Benkos Signa übernimmt alle 68 Filialen der Kika/Leiner-Kette. Für alle Immobilien legte die Signa rund 430 Millionen Euro auf den Tisch und verpflichtete sich, 100 Millionen Euro Sanierungsbetrag zu zahlen.

„Es freut uns auch, dass wir in den Verhandlungen einen Beitrag zum Weiterbestand von Kika/Leiner leisten konnten“, vermelden Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Tag darauf.

Die Geschichte, die bleibt: Benko übernimmt ein Traditionsunternehmen, die Bundesregierung hilft, 5.000 Jobs zu retten.

Vorerst.

Drei (!) Minuten vor Ende der Angebotsfrist hängt man den Kika/Leiner-Deal ein.

„Warum helfts ihr dem Benko so?“ – In Innsbruck ticken die Uhren anders

Und dann passiert noch etwas. Mitten in der noch laufenden Steuerprüfung – ja, die Tuchlauben-Geschichte ist noch nicht vorbei – verlegt Benkos Signa im September 2018 kurzerhand den Firmensitz. Und zwar nach Innsbruck. Damit hat das Wiener Finanzamt keine Zuständigkeit mehr.

Das dortige Finanzamt ist praktischerweise kulant und geht auf den Vorschlag der Signa ein: Statt 50 muss Benko nur 36 Millionen aus dem Tuchlauben-Deal versteuern – 14 bleiben unangetastet.

Die Hintergründe dazu sind aktuell Gegenstand der Ermittlungen der WKStA: Ein ehemalige Finanzprüfer sagt gegenüber der Staatsanwaltschaft, er habe Eduard Müller (wir erinnern uns: Sektionsleiter im Finanzministerium und Kontakt, den Thomas Schmid bereitwillig weitergegeben hat) direkt gefragt: „Warum helfts ihr dem Benko so?“ Die Antwort sei gewesen: „Benko habe so viel für Österreich geleistet“, fasst der „Falter“ die Aussagen zusammen.

Just die Übernahme von Kika/Leiner im Jahr 2018, die heute als profitables Geschäft für die Signa und als Katastrophe für die Beschäftigten endet, diente also als Vorwand, um Benko ein Steuergeschenk zu machen. Müller selbst dementiert, im Interesse Benkos interveniert zu haben.

Von Kika/Leiner-Sanierung keine Spur, stattdessen über 9 Millionen Euro Hilfszahlungen

Bei der Möbelkette kriselt es unterdessen gewaltig. Nicht mal zwei Monate nach der Übernahme von Kika/Leiner wird bekannt, dass der neue Eigentümer jeden 5. Mitarbeiter kündigt. Man stößt das Osteuropa-Geschäft ab – Signa bekommt 200 Millionen dafür. Immer mehr Immobilien werden im Laufe der Jahre verkauft – um weitere 200 Millionen.

Während der Corona-Krise erhält Kika/Leiner Millionen an Hilfszahlungen: für den Einzelhandel und die Gastronomie. 9,2 Millionen Euro aus Steuergeld. In der Energiekrise 2022 sind es nochmal 165.000 Euro.

Status Quo: Insolvenz und 132 Millionen Euro Schulden

Für das Möbelgeschäft gibt es keinen Masterplan. Benko und seine Signa haben sich vor allem für die profitablen Immobilien interessiert.

Nun hat Kika/Leiner die Insolvenz beantragt. Fast 2.000 Beschäftigte werden auf die Straße gesetzt. Der Schuldenberg steht bei etwa 132 Millionen Euro. Nimmt man die Gutscheinforderungen und Anzahlungen, die man rückerstatten muss, hinzu, sind es 200 Millionen Euro Schulden. Einer der größten Gläubiger ist die Republik Österreich.

„Filetieren“ als Geschäftsmodell soll Vergangenheit angehören, fordert die SPÖ

Die SPÖ kritisiert, wie mit den Beschäftigten und mit Steuergeld – für den Profit einiger Weniger – umgegangen wird. Geht es nach ihr, muss ein neues Insolvenzrecht her: Sie fordert, dass es ein „Filetieren“ in gute (Immo)-Gesellschaften und schlechte Gesellschaften in der Form nicht mehr geben soll – stattdessen sollen die guten Gesellschaften auch in die Haftung gerechnet werden, wenn man die anderen Gesellschaften in Pleite gehen lässt.

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