Jan Bruno Kawelke ist Journalist und Musiker. Am FAQ Bregenzerwald, einem Forum-Festival in Vorarlberg, hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Sam Moran Songs aus dem Album Jede Welle fotografieren performt. Zum ersten Mal seit längerer Zeit steht er als Musiker wieder auf der Bühne. Im Interview spricht er gemeinsam mit Sam über die Bedeutung der Bubble, die Gleichzeitigkeit von Angst und Hoffnung in der Musik und darüber, dass auch eine dicke Uhr ein politisches Statement ist.
Wir befinden uns ja gerade in einem Super-Wahljahr. Immer mehr Musiker:innen geben ihre politische Einstellung bekannt, wie Taylor Swift kürzlich. Denkt ihr, dass es die Aufgabe von Künstler:innen ist, sich politisch zu äußern?
Bruno: Ich glaube, es ist nicht mehr die Aufgabe von Künstlerinnen und Künstlern, sich politisch zu äußern, als von allen anderen Menschen auch. Natürlich sollten Leute, die Reichweite haben, sich auch ihrer Reichweite und ihrer Macht bewusst sein und vielleicht ein bisschen präziser darauf achten, wie sie sich informieren und was sie sagen. Aber ich glaube, man kann jetzt nicht erwarten von Künstler:innen – oder denen die ganze Aufgabe übertragen – Leute politisch zu bilden oder sich politisch zu äußern.
Auf der anderen Seite begrüße ich es natürlich, wenn sie sich dieser Aufgabe annehmen. Aber ich würde niemals zu einem Künstler oder einer Künstlerin hingehen und sagen: „Mach einen politischen Song“. Da würde wahrscheinlich etwas Schlechtes dabei rauskommen. Genauso wie bei allen anderen Werken muss das ja aus einer Emotion heraus entstehen. Wenn man keine Emotion zu einem Thema hat, dann sollte man daraus auch kein Werk erzwingen.
Wenn du keine Emotion zu Ungerechtigkeiten hast, die auf der Welt passieren, dann solltest du vielleicht darüber nachdenken, dich mehr mit der Welt auseinandersetzen, dich mehr informieren und hinterfragen.
Aber ich glaube, das wäre der erste Schritt, den ich dann empfehlen würde, bevor ich jetzt zu jemandem, der sich als unpolitisch beschreibt – was auch immer das sein soll – sage: „Schreib einen politischen Song. Wir brauchen jetzt deine Stimme.“
Sam: Bei vielen Dingen ist der Sachverhalt sehr komplex und ich würde nicht von Künstlerinnen oder Musikern erwarten, so informiert zu sein, dass sie mir eine gute Idee überliefern. Die sind in dem gut, was sie machen und dann sollte man anderen Leuten vielleicht überlassen, die wichtigen Informationen zu überbringen. Aber klar, es gibt gewisse Haltungen, die aus meiner Perspektive heraus unkontrovers sind, zu denen man stehen kann oder eben nicht. Aber an sich würde ich auch nicht sagen, dass das die große Rolle der Kunst ist.
Ist für euch Musik ein politisches Sprachrohr oder eher das Gegenteil? Also die Flucht vor allem, was da draußen passiert?
Bruno: Ich glaube, das kann beides sein.
Wenn die Emotion, aus der die Musik kommt, Flucht ist, dann ist das schon ein politischer Ausdruck. Wenn man sagt, ich möchte jetzt total hedonistisch leben, mich nicht mit Dingen beschäftigen, ich möchte fliehen vor dem, was da draußen ist, dann ist das an sich schon eine politische Message.
Das ist genauso, wie wenn Rapper darüber erzählen, dass sie gerne eine dicke Uhr haben wollen oder eine dicke Karre fahren wollen. Das hat dann ja auch eine politische Komponente, weil es beschreibt, wie unsere Welt funktioniert und dass manche Leute viel weniger haben als andere.
Sam: Ich habe vor kurzem einen Bericht gesehen, wo es darum ging, dass es während einer Rezession einen Zuwachs an Musik gibt, die unpolitisch ist. So auf die Art Having the time of my life, jetzt. Und das korreliert mit dem Leben da draußen. Das fand ich sehr interessant. Es ist irgendwie ein Zeichen der Zeit, was gerade „in“ ist.
Politischer Aktivismus kann ja oft ein bisschen in der eigenen Bubble stecken bleiben und erreicht nicht wirklich die Menschen, die erreicht werden sollten. Glaubt ihr, dass Musik diese Bubble durchbrechen kann und wenn ja, wie?
Bruno: Ich glaube schon, dass Musik die Bubble durchbrechen kann. Ich finde es aber auch wichtig, dass Musik für die Bubble gemacht wird. Also Leute zu haben, die einen bestärken in dem, was man glaubt und was man für richtig hält. Ich glaube, dass Musik da eine krasse Rolle einnehmen kann, wenn man an Protesthymnen denkt wie „Alright“ von Kendrick Lamar zum Beispiel. Das erreicht vielleicht in erster Linie nur die Bubble, aber es tut ihr gut und bestärkt sie. Ich finde, das sollte man nicht kleinreden. Dass die Leute Hoffnung bekommen durch Musik.
Auf der anderen Seite kann ein Song so groß werden, dass er viele verschiedene Leute erreicht und Anstöße gibt, über Sachen nachzudenken. „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ von Danger Dan hat bestimmt auch über die Bubble hinaus in den Mainstream hineingeragt. Und Leute haben sich vielleicht gefragt: „Wovon erzählt der? Und warum nennt er jetzt Höcke einen Faschisten?“ Wenn man sich mit solchen Dingen auseinandersetzt und in andere Richtungen denkt, kann das eine spannende Eigendynamik bekommen.
In dem Song Orcas kommt die Zeile vor: „Solange Hoffnung, bis die Welle bricht.“ Das klingt irgendwie pessimistisch. Ist es das?
Bruno: Ja, ich kann mich nicht so ganz davon lossagen, an manchen Stellen auch einfach Angst davor zu haben, was mit der Welt und mit unserem Planeten passiert. Das ist die Geschichte von einer alten Liebe aus der Jugend, an die man sich erinnert und mit der Zeitspanne in Verbindung setzt, die dazwischen vergangen ist und was mit der Welt so passiert. Aber da ist sehr viel Hoffnung drin: „Ich hoffe, dir geht’s gut. Ich hoffe, deiner Haut geht’s gut, schläfst gut, isst gut, bist gut…“. Es ist aber auch gleichzeitig gespiegelt mit dem, dass die Wälder brennen und Flüsse sich zurückziehen… Ich will mich auch manchmal einfach in dieses Gefühl reingeben, um das für mich zu verarbeiten. Ich glaube, darum geht’s.
In einem anderen Song spreche ich über die letzten Stunden vor dem Sterben, weil ich Angst davor habe. Mir hilft es, das in einen Song zu packen. Dann ist die Angst da drin und ich kann da wieder was Hoffnungsvolles rausziehen.
Sam: Ich kann das total nachempfinden. Einfach mal verzweifelt zu sein. Es gibt ja auch genug Gründe, um verzweifelt zu sein. Es sieht wirklich ganz schlecht aus. Wir rennen auf diese Naturkatastrophen zu und wir reden über Basics. Der Startpunkt ist ein ganz anderer, als da, wo wir sein müssten, um nicht zu verbrennen in 100 Jahren.
Bruno: Und ja, bis die Welle bricht… Vielleicht bricht die Welle ja auch nicht, sondern schäumt einfach. So ein bisschen Gischt werden wir auf jeden Fall abbekommen…
Apropos Hoffnung: Welche Bedeutung haben Utopien für euch – sowohl in der Musik als auch in der Politik?
Bruno: Ich glaube, dass Kunst Utopien entwerfen kann. Also eine alternative Zukunftsvision, nach der man streben kann. Den Leuten fehlt sowas. Wenn wir gerade beim Thema Klimakatastrophe bleiben: Das große Problem ist, dass es für so viele Leute so weit weg ist und dass man sich das nicht vorstellen kann. Und ich glaube, das zweite große Problem ist, dass wir nicht für etwas arbeiten können, was besser ist, sondern wir können nur dafür arbeiten, die Gegenwart zu erhalten. Es wird nicht besser als jetzt, das geht gar nicht, sondern wir müssen es stoppen. Es kann nur schlechter werden.
Und das ist erstmal ein wahnsinnig schlechtes Verkaufsargument, zu sagen: „Lasst uns alle zusammen kämpfen, damit alles so bleibt, wie es ist.“
Aber ich glaube, dass Kunst da eine bedeutende Rolle spielt. Nicht nur Musik, sondern auch Filme, Gemälde oder Bücher können dabei helfen, sich etwas vorzustellen, was anders ist als dieses System, das wir uns mal geschaffen haben und in dem wir irgendwie feststecken. Der Afrofuturismus beispielsweise hat es sehr gepusht, eine alternative Welt für Schwarze Menschen zu entwerfen. Das ganze Black Panther Universum fußt quasi darauf. Ich glaube, es braucht solche Visionen oder visionäre Strömungen in der Kunst, um das dann in die Realität zu übersetzen.
Du hast damals im Juice Magazine geschrieben, dass im Rap Schwächen lange keinen Platz hatten. Hat sich das inzwischen geändert?
Bruno: Also ich glaube, es hat sich schon geändert. Ich habe den Text 2016 geschrieben. Und ja, seitdem ist einiges passiert. Zum Glück. Damals war das noch relativ neu und es hat damit angefangen, dass Leute wie Kanye oder Kendrick über diese Themen gesprochen haben. Mental Health hat eine größere Rolle eingenommen und ist mit den letzten Jahren immer präsenter geworden. Ich glaube, von diesem Tabu ist man gerade in der Kunst- und Musikszene weggekommen. All das ist gerade in der Popkultur ein großes Thema. Und ich glaube, Rap hatte da auch eine gewisse Vorreiterrolle. Man hat das damals noch geltende Bild von sehr starken, harten, maskulinen Typen gebrochen. Wenn die vorangeschritten sind, dann können vielleicht auch andere nachkommen.
Gibt es Tabus in der Musik, die noch gebrochen werden müssen?
Bruno: Ich glaube nicht, dass Tabus noch groß gebrochen werden müssen. Ich glaube, es sind eher Machtstrukturen, die aufgebrochen werden müssen. Das ist eine Entwicklung, die zum Glück in den letzten Jahren immer mehr stattfindet. Dass mehr Frauen auf den großen Bühnen stehen, dass mehr queere, mehr Schwarze, mehr POC-Artists (People of Colors, Anm.) gehört und gesehen werden und auch in den wichtigen Entscheiderrollen sind. Dass sie jetzt nicht nur auf der Bühne stehen, sondern auch in wichtigen Machtpositionen sind.
Mittlerweile ist man als Musiker ja auch Content Creator. Wie schafft man es, die eigene Privatsphäre zu wahren?
Bruno: Ich glaube, das ist wie mit einer Rolle auf der Bühne. Da muss man auch erstmal herausfinden, womit man sich wohlfühlt.
Ich glaube, noch viel problematischer ist es, dass man als Musiker heutzutage oft nur noch ganz wenig damit zu tun hat, was für Kunst oder Musik man macht, sondern wie gut man sich eigentlich vermarkten kann. Und das führt natürlich zu Schieflagen, dass Leute, die sich besonders gut vermarkten können, mehr Aufmerksamkeit, mehr Geld und mehr Möglichkeiten bekommen.
Und Leute, die eigentlich vor allem Musiker sind, so ein bisschen hintenüberfallen. Es ist irgendwie schwierig, den eigenen Weg in dieser Welt zu finden und sich nicht auch die ganze Zeit zu vergleichen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man sich immer wieder zurückbesinnt und fragt: „Wer bin ich eigentlich und was will ich eigentlich machen? Ich möchte eigentlich Kunst machen. Ich möchte eigentlich Musik machen und ich möchte nicht in erster Linie Content machen.“ Aber es kann auch enorme Möglichkeiten bieten. Es ist schwierig.
Du bist ja nicht nur Musiker, sondern auch Journalist. Was gefällt dir besser: Dich selbst auf der Bühne zu präsentieren oder das Berichterstatten?
Bruno: Beides macht mich wahnsinnig glücklich und erfüllt mich sehr. Und ich glaube, dass es auch große Überschneidungen zwischen den Feldern gibt. Ich habe mich eigentlich schon immer eher als Künstler gesehen und bin froh und glücklich, dass ich jetzt noch mal diesen Weg gefunden habe. Aber es sind beides Aspekte, die irgendwie zu mir gehören und von denen ich profitiere. In meiner Arbeit als Journalist habe ich mich so viel mit Musik auseinandergesetzt und auch auf einer inhaltlichen Ebene versucht herauszufinden, was ein Werk besonders macht. Ich gucke mir an, wo in einem Album der rote Faden ist und wie alles miteinander zusammenhängt. Das hilft mir jetzt natürlich auch. Ich habe ein Gefühl, möchte eine Emotion ausdrücken in einem Song. Wie kriege ich das strukturiert?
Vielleicht zum Abschluss noch zwei kurze Fragen zu dem Festival, wo wir gerade sind. Wie unterscheidet sich diese Bühne am FAQ Bregenzerwald von einer anderen Bühne für dich?
Bruno: Ich finde, dieser Stadel, wo wir performt haben, war der perfekte Raum. Es war, wie in ein altes Kino zu gehen. Ein komplett abgeschlossener Raum, wo es sehr gemütlich war und eine ganz besondere Stimmung herrschte. Und ich finde, dass das FAQ-Festival eine besondere Gabe dafür hat, diese Räume für die Veranstaltung auszusuchen. Also mit Machiavelli, unserem Podcast, waren wir damals in einem sehr offenen, hellen Raum, wo ich das Gefühl hatte, hier wird ein großer, schöner Austausch gefördert unter den Leuten. Und hier war es jetzt sehr gemütlich und zentriert und fokussiert. Auch eine sehr krasse Stille. Und auch oben auf der Bergbahn ist natürlich eine einzigartige Atmosphäre mit den Bergen rundherum. Und dann schneit es und dann kommt der Nebel und so weiter. Das ist auch was Besonderes. Ich glaube, das ist eine der besonderen Qualitäten von diesem Festival. Ich wüsste nicht, wo man sowas in der Form sonst erleben kann.
Wie würdest du das FAQ beschreiben?
Bruno: Viele kluge, sehr offene, empathische, aufgeschlossene Menschen haben sich gefragt „Warum eigentlich nicht?“ Und ich glaube, das ist dabei rausgekommen.
Gemeinsam mit mit seinem Kollegen und Musiker Sam Moran ist er auf dem FAQ-Festival aufgetreten und hat Songs aus dem Album “Jede Welle fotografieren” performt. Das FAQ-Festival fand 2024 zum 9. Mal statt im Bregenzerwald statt. Es handelt sich dabei um ein Gesellschaftsforum, bei dem u.a. Vorträge, Diskussionsrunden, Lesungen, Konzerte und Workshops angeboten werden. Laut Veranstalter will man damit “Wissen, neue Ideen und interessante Perspektiven für ein breites Publikum aufbereiten und Freude am konstruktiven Miteinander wecken.”