Der Druck von Hilfsorganisationen und der Opposition war seit Monaten groß, bis die Regierung endlich Unterstützungen für Kinder aus armutsbetroffenen Familien angekündigt hat. 60 Euro pro Monat sollen sie bis 2024 bekommen – ein erster Schritt, aber angesichts der hohen Teuerung viel zu niedrig, so die Kritik. Darüber hinaus hat die Regierung Mitte Mai diese Zahlung noch Alleinerziehenden mit niedrigem Einkommen, Arbeitslosen-, Notstandshilfe- sowie Ausgleichszulagenbezieher:innen versprochen. Doch die sind im aktuellen Gesetzesvorschlag wieder rausgestrichen worden.
Die Inflation in Österreich liegt weit über den meisten anderen Ländern in Europa und nimmt kein Ende. Auch im April ist sie erneut auf 9,7 Prozent gestiegen, der Warenkorb für den täglichen Einkauf liegt sogar darüber: nämlich bei 13,8 Prozent. Das macht allen zu schaffen, ganz besonders aber Haushalten mit kleinen Einkommen. Sie geben den größten Teil ihres Geldes für Grundbedürfnisse wie Nahrung und Wohnen aus – und selbst dafür reicht es oft nicht mehr.
Besonders davon betroffen sind Kinder aus armutsbetroffenen Familien. Von der Volkshilfe und der Caritas hört man laufend Warnungen, dass sich zehntausende Kinder nur mehr von Toastbrot und Nudeln ernähren und an Schulausflügen und Kindergeburtstagen nicht mehr teilnehmen können.
Nach einem Jahr Teuerung und starkem Druck, sowohl von Hilfsorganisationen und der Opposition, hat die Regierung Mitte Mai Vorschläge gegen Kinderarmut und für armutsbetroffene Erwachsene vorgestellt. Bezieher:innen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe oder Ausgleichszulage sollen bis Ende 2024 pro Kind 60 Euro zusätzlich erhalten. Dieselbe Leistung sollen auch Alleinerziehende, die unter 2.000 Euro brutto pro Monat verdienen – sowie Sozialhilfebeziehende ohne Kinder (die aber nur bis Ende 2023) bekommen. Die Sonderzahlung wird automatisch und ohne Antrag ausbezahlt.
Doch von dieser Ankündigung ist im aktuellen Gesetzespaket eine Woche später kaum mehr etwas übrig geblieben: Lediglich Sozialhilfebezieher:innen sollen die Zahlung erhalten.
Zumindest das Schulstartpaket für armutsbetroffene Kinder soll weiterhin von 120 Euro auf 150 Euro erhöht werden und zweimal jährlich gewährt werden. Das betrifft rund 50.000 Kinder.
60 Euro lindern Armut nicht – das Geld fließt an Vermieter und in Supermarkt-Gewinne
Generell sehen Hilfsorganisationen in diesem Beitrag einen ersten Schritt, aber ihnen fehlen darüber hinaus strukturelle Reformen beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe, da beide nicht mehr vor Armut schützen. Außerdem sind 60 Euro pro Monat zu wenig, um Kinder wirklich aus der Armut zu holen. „Wir wissen aus unserem Projekt Kindergrundsicherung, welche finanzielle Mittel ein Kind wirklich braucht“, sagt Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger in einer Aussendung. Die Volkshilfe hat in Projekten armutsbetroffene Kinder mit 100 Euro pro Kind unterstützt und die Fälle beobachtet. Das Ergebnis: Die 100 Euro mehr pro Monat mussten die Familien zum Stopfen der Löcher nutzen – für Miete, Lebensmittel und Kleidung. Das Geld hat in den meisten Fällen nicht gereicht, um Kindern Sport- oder Musikkurse oder Schulausflüge zu finanzieren, erklärt Hanna Lichtenberger, zuständig für Kinderarmut bei der Volkshilfe.
Auch Sozialexperte Martin Schenk und die Caritas Österreich sehen in den 60 Euro zwar einen ersten Ansatz, bei dem aber „grundlegende Reformen“ gegen Kinderarmut und Armut generell fehlen.
Die SPÖ kritisiert, dass die Regierung keine Maßnahmen gegen die steigenden Preise setzt. SPÖ-Sozialsprecher Muchitsch kritisiert, dass man Menschen mit befristeten Sonderzahlungen nicht nachhaltig aus der Armut holt:
„Wieder sinkt kein einziger Preis! Wieder einmal sollen Sonderzahlungen die Fehler der Regierungspolitik kompensieren! Wenn wir uns bei dieser Regierung einer Sache sicher sein können, dann, dass die Preise Ende 2024 leider noch höher sein werden, als heute. Weil sie keine einzige preissenkende Maßnahme setzen will, steigen die Preise heuer und im nächsten Jahr munter weiter.“
Die SPÖ fordert das Streichen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, eine Mietpreisbremse und eine Antiteuerungskommission.
„Am Ende des Monats nur Toast oder Butternudeln“
Kinderarmut ist kein Randphänomen, sondern in Österreich für jedes fünfte Kind bittere Realität. Konkret für 353.000 Kinder. Die Familien strampeln sich ab: Oft arbeiten die Eltern und das Geld reicht trotzdem nicht. Die Kinder wachsen in Wohnungen auf, die im Winter kalt bleiben müssen und in denen die Wände feucht oder sogar schimmlig sind.
„Am Ende des Monats gibt es bei vielen Familien nur noch Toastbrot oder Butternudeln“, sagt Erich Fenninger von der Volkshilfe. Die 60 Euro pro Monat, die vorübergehend überwiesen werden, werden direkt in Mietzahlungen fließen – oder in einen Wochenendeinkauf. Für mehr wird es nicht reichen.
Arme Kinder haben keine Zukunftsträume
Die Armut begleitet die Kinder ein Leben lang. Arme oder armutsgefährdete Kinder haben bei ihrer Geburt ein geringes Gewicht, sind bei Schuleintritt kleiner als andere in ihrem Alter und klagen öfter über Bauch- oder Kopfschmerzen. Später sind sie oft Raucher:innen oder sportlich weniger aktiv.
Die Zukunftschancen dieser Kinder sind stark verringert: „Simplifiziert kann man sagen, dass über 50 Prozent der armutsbetroffenen Kinder die Arbeitslosen von morgen sind“, erklärt Fenninger. Das spüren die Kinder schon im jungen Alter. Sie haben keine Berufswünsche wie Erfinderin, Anwältin oder ähnliches. Sie wünschen sich einfach eine warme Wohnung.
„Sie haben nicht die Vorstellung, dass aus ihnen etwas werden kann, das sie sich wünschen. Sie sind froh, wenn sie als Erwachsene irgendeinen Job haben, der genug für eine Wohnung abwirft“, sagt Fenninger.
Armutsbetroffene Familien standen auf der Prioritätenliste der Regierung ganz unten
Führt man sich vor Augen, wie ÖVP und Grüne in der Teuerungskrise für Familien aktiv geworden sind, sieht man: Armutsbetroffene bzw. armutsgefährdete Eltern mit Kindern rückten erst ganz spät in den Fokus.
Im letzten Jahr hat die Regierung den sogenannten „Familienbonus“ um 500 Euro pro Kind erhöht – davon profitieren Eltern mit gutem bis sehr gutem Einkommen. Sie bekommen bis zu 2.000 Euro pro Kind und Jahr. Je höher das Einkommen, desto mehr Familienbonus bekommt man. Ein in sich ungerechtes Konstrukt, denn es benachteiligt jene, die ohnehin weniger zum Leben haben.
Wer nicht genug verdient, bekommt den sogenannten „Kindermehrbetrag“. Auch der wurde letztes Jahr erhöht. Hier bekommt man maximal 550 Euro pro Kind und Jahr. Also: wer (zu) wenig verdient, bekommt nur ein Viertel dessen, was Gutverdiener:innen für ihr Kind über den Familienbonus erhalten.
Und erst jetzt, ein Jahr später, hat man sich etwas für Bezieher:innen von Sozialhilfe überlegt. 60 Euro pro Kind und Monat. Obendrein ist diese Maßnahme bis Ende nächsten Jahres befristet. Bezieher:innen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Ausgleichszulage bekommen wieder nichts. Ebenso Alleinerziehende mit niedrigem Einkommen. Das zeigt: Für die Regierung ist nicht jedes Kind gleich viel wert. Wer hat, dem wird gegeben. Wer nichts hat, bekommt – vorübergehend – Almosen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 17. Mai 2023 veröffentlicht und aufgrund der Kürzung im Paket am 26. Mai 2023 aktualisiert.
Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und haben für unsere schwächsten und ärmsten nichts übrig. Eh kloar, weil die Superreichen den Schlund nicht vollgriegen und die jetzige Regierung diesen Monetisten brav zur Hand gehen. Schämt euch, pfui!!