Die soziale Absicherung bewahrt Menschen davor, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes unfaire Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptieren zu müssen. Wenn also Hackler über Arbeitslose schimpfen oder Parteien wählen, die die Sozialleistungen kürzen wollen, dann tun sie sich selbst keinen Gefallen. Wird die Arbeitslosenunterstützung verringert, sind sie automatisch selbst ihrem Arbeitgeber stärker ausgeliefert. Solidarität heißt, zu kapieren, dass man im selben Boot sitzt.
Das nachfolgende Transkript des Videos entstammt dem Blog von Nikolaus Kowall:
Ich habe ein weiches Herz und Mitleid mit Menschen in Not. Deshalb bin ich für einen starken Sozialstaat. Das entspricht meinen prinzipiellen Wertvorstellungen, aber für mich persönlich macht es keinen Unterschied wie hoch zum Beispiel das Arbeitslosengeld ist. Wirklich nicht?
Reden wir einmal Tacheles
Es wird euch vielleicht überraschen, wie viele Leute irgendwann eine Arbeitslosenunterstützung brauchen. Im Jahr 2019 gab es im Durchschnitt 300.000 Arbeitslose pro Tag. Aber eine Million unterschiedlicher Menschen war 2019 zumindest einen Tag arbeitslos. Das heißt, in Österreich ist innerhalb eines normalen Jahres, also ohne Pandemie, fast jeder vierte Arbeitnehmer zumindest kurzfristig von Arbeitslosigkeit betroffen. Geht ein Jobwechsel nicht nahtlos, braucht man schon ein paar Wochen Arbeitslose.
Andere Menschen sind wiederrum gerade nicht einsatzfähig. Krankheit, Scheidung, Unfall, Depression – es gibt vieles was uns aus der Bahn werfen kann. Niemand ist davor sicher. Manche sind aber durch ihr Kapital für solche Schicksalsjahre finanziell abgesichert. Wer hingegen von seiner Arbeit leben muss und außer Tritt gerät, wäre ohne Sozialstaat schnell finanziell ruiniert oder sogar obdachlos. Nun gut, es gibt aber auch viele Leute, die nie aus der Bahn geworfen werden. Was haben die von der Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit? Eine ganze Menge, und dazu werfen wir einen Blick auf den Arbeitsmarkt:
Nehmen wir an Du hast ein Vorstellungsgespräch für einen neuen Job. Stellen wir uns dazu zwei Situationen vor: In Situation 1 kommst du in die Firma und dort warten schon viele Bewerberinnen und Bewerber. Alle sind adrett gekleidet und machen einen wachen Eindruck. Da wirst du Dir denken: No, ich werde da keine hohen Ansprüche stellen, ich bin froh, wenn ich die Hacke überhaupt bekomme. Zweite Situation: Du kommst in die Firma und dort wartet nur ein wenig gepflegter Typ, der noch dazu eine leichte Fahne hat. Da wirst du dir denken: Naja, viel Auswahl haben die nicht, da kann ich meinen Preis ein bissl raufschrauben. Und du wirst mit geschwellter Brust in das Vorstellungsgespräch gehen.
Die Situation ist bei den Sozialpartnern gar nicht unähnlich. Die Sozialpartner sind einerseits Gewerkschaften und Arbeiterkammer, die die Arbeitnehmerinnen vertreten. Die Arbeitgeberinnen werden andererseits durch die Wirtschaftskammer vertreten. Diese beiden Seiten kommen jeden Herbst zusammen, um über Kollektivvertragslöhne und über die Arbeitsbedingungen in ihrer Branche zu verhandeln. Ist die Arbeitslosigkeit hoch, schaut es schlecht aus für die Arbeitnehmerseite. Die Arbeitgeber werden argumentieren, dass ein Anstieg der Löhne für sie teuer ist und die Unternehmen davon abhalten wird, neue Leute einzustellen. Herrscht hingegen Vollbeschäftigung, schaut es gut aus für die Arbeitnehmerinnen. Sie können ganz selbstbewusst argumentieren, dass die Branche eben ordentlich zahlen muss, um überhaupt Leute zu bekommen. In der Wirtschaftswissenschaft können wir recht gut beobachten, dass bei geringer Arbeitslosigkeit höhere Kollektivvertragslöhne zustande kommen, bei höherer Arbeitslosigkeit aber geringere.
Die Lage am Arbeitsmarkt ist also wichtig für die Machtbalance zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Aber auch andere Aspekte spielen eine wichtige Rolle dafür, wie selbstbewusst sich Arbeitnehmerinnen geben können. Stellen wir uns vor, es gäbe keinerlei Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Also ohne Job wäre dein Einkommen Null, Zero, Nada. Da wäre der Stress wieder Arbeit zu bekommen sehr hoch, weil Miete oder Kredit wollen bezahlt werden, ebenso die Lebenshaltungskosten. Wenn wenig Ersparnisse da sind steht einem schnell der Angstschweiß auf der Stirn. In so einer Situation nimmt man jeden Job zu allen erdenklichen Bedingungen an. Anders schaut es aus, wenn man eine solide soziale Absicherung hat und nicht gleich von Obdachlosigkeit bedroht ist. Dann ist der Druck Arbeit zu finden immer noch hoch, aber man kann man sich ein wenig umschauen, um was Passables zu finden.
Das ist nun der entscheidende Punkt: Die Unterstützung bei Arbeitslosigkeit gibt es nicht nur, damit Menschen sozial abgesichert sind. Die „Arbeitslose“ gibt es vor allem auch deshalb, damit alle Arbeitnehmerinnen in ihrer Firma und am Arbeitsmarkt in einer stärkeren Position sind. Sie bewahrt Menschen davor, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes unfaire Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptieren zu müssen.
Wenn also Hackler über Arbeitslose schimpfen oder Parteien wählen, die die Sozialleistungen kürzen wollen, dann tun sie sich selbst keinen Gefallen. Wird die Arbeitslosenunterstützung verringert, sind sie automatisch selbst ihrem Arbeitgeber stärker ausgeliefert und können sich weniger Selbstbewusstsein leisten. Die Härte gegen andere fällt auf sie selbst zurück. Das ist der Bumerang der einen einholt, wenn man nicht solidarisch ist. Solidarität heißt ja nicht Mitleid oder Fürsorge. Solidarität heißt, zu kapieren, dass man in einem, im selben Boot sitzt.
Wie die Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit in Österreich genau funktioniert, damit werden wir uns nächstes Mal beschäftigen.
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