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Sozialversicherung: ÖVP-Machtübernahme und Effizienz-Zweifel vor Gericht

Sozialversicherung: ÖVP-Machtübernahme und Effizienz-Zweifel vor Gericht

Kontrast Redaktion Kontrast Redaktion
in Schwarz-Blau
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9. Oktober 2019
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2 Tage verhandelt der Verfassungsgerichtshof die 14 Klagen gegen den Umbau der Sozialversicherung. Es sollte das Prestige-Projekt der türkis-blauen Regierung sein – jetzt könnte es wegen grober Fehler im Gesetz und Verfassungswidrigkeit fallen.

Kritik am Gesetz gibt es seit dem ersten Tag: Nicht nur Opposition, Arbeitnehmervertreter hatten schwere Bedenken, auch der Rechnungshof bezweifelte die Effizienz der Reform.

Jetzt steht das Gesetz vor Gericht. Die Frage: Ist der türkis-blaue Umbau der Sozialversicherung mit der österreichischen Verfassung vereinbar? Die Kläger sagen „Nein“, und sie haben triftige Gründe. Schließt sich der Gerichtshof diesen Gründen an, gibt es mehrer Möglichkeiten: von einzelnen Reparaturaufträgen an die Regierung bis zum Scheitern der gesamten Reform.

Arbeitnehmer entmachtet – Kniefall vor der Wirtschaft

In der Sozialversicherung haben die Unternehmen künftig deutlich mehr mitzureden. Denn statt 351 Vertreter haben die Arbeiter in den Leitungsgremien nur mehr 120 – und das, obwohl sie 7,2 Mio. Versicherte vertreten. Michael Pilz, der Vertreter der Arbeiterkammer, sieht auch das Demokratieprinzip dadurch verletzt.

Der Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein sieht in der Reform einen Kniefall vor der Wirtschaft und weist darauf hin, dass hier via Wirtschaftsbund für eine ÖVP-Zweidrittelmehrheit quer über alle Organe gesorgt werde, „eine völlige Verzerrung der Verhältnisse“. Bei der Selbstständigen-Versicherung verblieben die Dienstgeber hingegen „gegnerfrei“.

Dass in Zukunft Arbeitegeber zur Hälfte in den wichtigsten Gremien der Gebietskrankenkassen sitzen, hält auch Ewald Scheucher, der Rechtsanwalt der SPÖ-Bundesratsfraktion für verfassungswidrig. Denn kein einziger Unternehmer ist dort versichert. Bisher kamen dort auf 4 Vertreter der Versicherten, also Arbeitnehmer, ein Vertreter der Unternehmer. Die Neuregelung führt zu einer „Scheinselbstverwaltung“, die keine mehr ist.

Vor allem, wenn man weiß, wie bei Stimmen gleichstand entschieden wird: Dann wird nämlich die Entscheidung an den Dachverband übergeben. Dort haben die Unternehmen eine satte Mehrheit. Es kann in Zukunft kein Beschluss gegen den Willen der Dienstgeber mehr fallen. Und dafür fehlt jegliche verfassungsmäßig haltbare Begründung.

Die Verschiebung der Machtverhältnisse beunruhigt viele Kritiker auch aus einem anderen Grund. Gibt man Unternehmern die Entscheidungskompetenz über die Versicherung der Arbeitnehmer haben sie ein Interesse an schlechteren Leistungen: Weniger Leistung bedeutet weniger Kosten, an denen sich Unternehmer derzeit mit ca. 30% beteiligen. Und zweitens: Schlechtere Leistungen bedeuten, dass Privatversicherungen mehr genützt werden.

Tod der Selbstverwaltung?

Überhaupt scheint der Kurz-Regierung die Selbstverwaltung eine Dorn im Auge gewesen zu sein. So gab sich die Regierung kurzer Hand Weisungskompetenzen. Doch „Selbstverwaltung heißt Weisungsfreiheit.“ sagt der Anwalt der SPÖ Bundesratsfraktion Ewald Scheuchen: „Mischtypen sind nicht zulässig.“ Und für den Verfassungsgerichtshof essentiell: Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung ist in der österreichischen Bundesverfassung festgeschrieben.

Kosten durch die Zentralisierung höher als die Einsparung

Verhandelt wird außerdem, ob der türkis-blaue Umbau der Krankenkassen dem verfassungsmäßigen Effizienzprinzip widerspricht. Denn die Kosten der Fusion werden mit 300 bis 400 Mio. höher geschätzt als die Einsparungen. In der Regierungs-PR wurde immer wieder die „Patientenmilliarde“ versprochen. Selbst im Gesetzesentwurf der Regierung ist keine Spur von einer Milliarde Euro. Dort ist lediglich von einem Einsparungspotenzial von 33 Millionen Euro im Jahr 2023 die Rede. Bis dahin werden die Einsparungen mit Null beziffert. Die 33 Millionen sollen dann bis 2026 immerhin auf 350 Millionen wachsen:

Gesetzesentwurf (Artikel über die Krankenkassenreform)
Aus der Regierungsvorlage zur Reform der Sozialversicherung

Auch die Vertreterin des Sozialministeriums kann nicht erklären, warum man die Synergieeffekte einmal in der Regierungsvorlage mit 300 Mio. und im Ministerialentwurf mit 30 Mio. veranschlagt. „Wir haben dazu keine aktenmäßigen Vorgänge“, erklärte die Beamtin, auf die Frage, wie es zu dieser Verzehnfachung gekommen sei.

Der Generaldirektor des Hauptverbandes Josef Probst führt in der Verhandlung aus, dass Einsparungen mehrfach gezählt wurden. Das Gutachten der Bundesregierung weise also schwere Mängel auf.

Fusion ist nicht umsetzbar – Ein „schlampiges“ Gesetz

Die Einführung sei mit einem Übergangszeitraum von neun Monaten überhastet. Viele Fragen sind nicht geklärt: So sollen die Rücklagen von gut wirtschaftenden Kassen (wie in Oberösterreich) in das Gesamtvermögen der ÖGK einfließen. Damit würden die Versicherten in Oberösterreich aber einen Teil ihrer Anwartschaft verlieren.

Der ehemalige Salzburger Gebietskrankenkassen-Obmann argumentiert das so:

„Wir stoßen aufgrund der Schlampigkeit, mit der das Gesetz geschrieben wurde, täglich auf neue Probleme.“

Aktuell muss man das Problem lösen, „wie die Versicherten vom 1.1.2020 bis zum Zusammentreten der ersten Hauptversammlung überhaupt zu Leistungen kommen“. Denn für eine Satzung ist ausschließlich die Hauptversammlung zuständig. Die wird es mit 1. Jänner 2020 aber noch nicht geben.

Wie der Verfassungsgerichtshof entscheidet, ist offen und wird in Kürze mitgeteilt.

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Sepp Ginner
Sepp Ginner
14. Oktober 2019 20:15

Der sogenannte Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung stammt ja auch aus der Wertschöpfung der ArbeitnehmerInnen. Er wird nur steuerschonend bei den Arbeitgebern berücksichtigt, müsste aber eigentlich den ArbeitnehmerInnen steuersparend zugerechnet werden. Somit bezahlen sich die ArbeitnehmerInnen ihre eigene Versicherung zur Gänze selbst: und jetzt sollen auf einmal die Arbeitgeber das Sagen haben?????

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