Klassenkampf von oben

Weniger Lohnnebenkosten heißt mehr Kosten für Beschäftigte

Die Arbeitgeberseite singt ihr Lieblingslied von der Senkung der Lohnnebenkosten gerade in Dauerschleife. Kein Wunder: Sie wollen Unternehmen Kosten sparen, von Privatisierungen profitieren und zugleich den Sozialstaat schwächen.

Eine unnötige Belastung, die uns der Staat zusätzlich zur Lohnsteuer noch aufbürdet – genau danach soll der Begriff „Lohnnebenkosten“ klingen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: In den Lohnnebenkosten steckt nichts Geringeres als die Finanzierung der wichtigsten Säulen des Sozialstaats. Dazu gehören neben einer Reihe kleinerer Beiträge wie die Sozialversicherungsbeiträge, also die Pensions-, Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Die Arbeiterkammer vermeidet deshalb mittlerweile bewusst den Begriff Lohnnebenkosten und verwendet nur mehr den Begriff „Sozialstaatsbeiträge“.

Beiträge für Sozialstaat und soziale Absicherung als Teil des Gehalts

Historisch betrachtet ist es immer wieder so gewesen, dass es Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen gab, Lohnerhöhungen gegen ein Stück soziale Absicherung einzutauschen. In den Fünfziger Jahren gab es zum Beispiel niedrige Lohnerhöhungen, im Gegenzug wurde ein Fonds eingerichtet, aus dem zuallererst nur die Familienbeihilfe bezahlt wurde – der heutige Familienlastenausgleichsfonds.

Der Geniestreich der Arbeitgeber war, aus diesen quasi Gehaltsbestandteilen über die Jahrzehnte „Lohnnebenkosten“ zu machen.

Die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung, die Agenda Austria und andere wirtschafts- und arbeitgebernahe Player plärren jetzt im Chor: Diese „Nebenkosten“ sollen gesenkt werden. Davon würden Milch und Honig fließen, die Unternehmen entlastet und die Arbeitnehmer:innen profitieren. Siegfried Menz, der Industriesprecher der Wirtschaftskammer, stellte am 6. April in einem Interview im Kurier klar: „Wir wollen nicht für Kosten aufkommen, die mit der Industrie nix zu tun haben.“ Die Finanzierung des Famlienlastenausgleichsfonds solle in Zukunft aus dem Budget erfolgen und nicht mehr aus den Arbeitgeberbeiträgen.

Weniger Sozialstaat, der noch stärker vom Wohlwollen der Regierung abhängig ist

Immerhin hat Menz ganz konkret gesagt, was er sich sparen möchte. Wer die Lohnnebenkosten kürzen möchte, sollte nämlich am besten immer gleich dazu sagen, was gekürzt werden soll:

Die Krankenversicherungsbeiträge, mit der Folge, dass Leistungen zurückgefahren werden müssen? Die Pensionsversicherungsbeiträge, mit der Folge, dass es wieder eine Pensionsreform brauchen und Pensionen gekürzt werden oder Reha-Programme eingeschränkt werden? Die Unfallversicherung, mit der Folge, dass noch ein Krankenhaus geschlossen wird? Die Arbeitslosenversicherung, mit der Folge, dass sich das Verhältnis zwischen Berater:innen und Arbeitssuchenden weiter verschlechtert?

Unterm Strich bedeuten geringere Sozialversicherungsbeiträge nämlich, dass A) die Sozialversicherungen entweder große Abstriche bei ihren Versicherungsleistungen machen müssen, wenn ihre Einnahmen sinken. Oder es bedeutet B), dass der Staat einspringen muss und die fehlenden Einnahmen aus dem Budget zugeschossen werden müssen. Damit wären die selbstverwalteten Sozialversicherungen allerdings stark von der jeweiligen Regierung abhängig. Denn wenn das Finanzministerium die Zuschüsse kürzt, bedeutet das sofort wieder A): Es müssen Abstriche bei den Leistungen gemacht werden.

Und wie lange würde es wohl dauern, bis die gleichen, meist eindeutig neoliberalen, Akteure sich darüber beklagen, dass die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen aus dem Budget zu hoch sind? Bei den Pensionen passiert das ja bereits laufend. Da beschwören Agenda Austria & Co Pech und Schwefel, die vom Himmel fallen und ein „Pensionsloch“, das sich im Boden öffnet. Ähnliches Schwarzmalen würde wohl nicht lange bei der Krankenversicherung auf sich warten lassen.

Eine Kürzung der anderen Beiträge abseits der SV-Beiträge in den Lohnnebenkosten würde sich ebenso bemerkbar machen. Geringere Einnahmen aus der Kommunalsteuer treffen die Gemeinden und damit deren Infrastruktur, von der Müllabfuhr bis zu den Kindergärten. Die bereits erwähnten Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds, finanzieren das Kinderbetreuungsgeld, den Mutter-Kind-Pass und die Schülerunfallversicherung. Der Insolvenz-Ausfall-Fonds zahlt Löhne und Gehälter, wenn der Arbeitgeber pleite geht. Und selbst die Wirtschaftskammer-Umlage ist ein wichtiger Bestandteil, schließlich gelten durch die Pflichtmitgliedschaft aller Unternehmen bei der Wirtschaftskammer die Kollektivverträge für alle Beschäftigten.

Höhere Kosten für Beschäftigte bringt am Ende weniger Netto vom Netto

Die Arbeitgeberseite gibt allerdings nicht immer – wie der Industriesprecher der Wirtschaftskammer – offen zu, dass sie sich nur Kosten sparen möchte. Sie verspricht ganz etwas anderes: Die Arbeitgeber möchten mit einer Lohnnebenkostensenkung für ihre Beschäftigten mehr „Netto vom Brutto“ durchsetzen. Aber zu welchem Preis würde das überhaupt passieren? Wenn beispielsweise die ÖGK (Österreichische Gebietskrankenkasse) immer mehr Leistungen kürzen muss, müssen diese – Behandlungen, Medikamente, Therapien – eben „privat“ bezahlt werden. Dann sind zwar die Krankenversicherungsbeiträge geringer, das Nettoeinkommen entsprechend höher – aber von diesem höheren Netto müssen dann erst recht Kosten beglichen werden. Es bleibt also weniger Netto vom Netto.

Oder es müssen private Zusatzversicherungen abgeschlossen werden – die dann ebenfalls nicht in die Lohnnebenkosten fallen, aber dann eben vom höheren Nettoeinkommen bezahlt werden müssen. Die einzigen, die davon wirklich profitieren, sind dann die privaten Versicherungen und ihre Aktionäre, für die sich neue Geschäftsfelder erschließen.

Abgabenquote: mit anderen Ländern nicht direkt vergleichbar

Befürworter der Senkung der Lohnnebenkosten argumentieren gerne mit internationalen Vergleichen der Abgabenquote. Mit Steuern und Abgaben, die auch die Lohnnebenkosten berücksichtigen, liegt diese Quote Österreich im internationalen Vergleich tatsächlich recht hoch.

Als Beispiele für ähnlich gut ausgebaute Sozialstaaten mit niedrigeren Abgaben müssen dann oft Schweden und Dänemark herhalten. Das stimmt auch, dass die beiden Länder eine niedrigere Quote haben. Die Leistungen, die hinter dieser Quote liegen, sind allerdings nicht direkt vergleichbar.

So ist u. a. in unseren Beiträgen die Arbeitslosenversicherung enthalten. In Schweden und Dänemark ist die Arbeitslosenversicherung allerdings freiwillig und deshalb nicht einberechnet. Unterschiede gibt es auch bei den Pensionen und etlichen anderen Details. Ein reiner Vergleich der Abgabenhöhe hat also wenig Sinn, wenn nicht darauf geschaut wird, welche Leistungen den Kosten gegenüber gestellt werden können.

Mehr Sozialstaat bringt mehr Freiheiten

Das werden gerade Neoliberale jetzt nicht gerne lesen: Aber es ist der Sozialstaat, der viele Freiheiten ermöglicht, die man sich in anderen Ländern erst einmal leisten können muss. Ein kostenloser Zugang zu Bildung schafft Aufstiegsmöglichkeiten. Arbeitslosenhilfe und Notstandshilfe erlauben es, nicht jeden Job zu noch so schlechten Bedingungen sofort annehmen zu müssen. Auch wenn man viel an der ÖGK kritisieren kann: Ein längerer Krankenhausaufenthalt bedeutet keine astronomischen Rechnungen, wie es für viele in den USA der Fall wäre. All das hat die Sozialdemokratie mit den Gewerkschaften erkämpft, gegen den erbitterten Widerstand der Wirtschaftsvertreter.

Die Freiheit, die sich Neoliberale wünschen, ist meistens doch alleinig die Freiheit der wirtschaftlich Mächtigen, die Schwächeren nach Belieben ausbeuten zu können. Mit einem starken Sozialstaat in Kombination mit Arbeitnehmer:innenrechten spielt es das aber nicht so leicht. Steuern zu zahlen können Reich & Mächtig ganz gut vermeiden, aber es tut ihnen dann sicherlich weh, ausgerechnet diesen Sozialstaat mit ihren Arbeitgeberbeiträgen im Rahmen der Lohnnebenkosten mitfinanzieren zu müssen.

Lieber gönnt sich Reich & Mächtig einen oder mehrere Thinktanks, um Stimmung gegen den Sozialstaat und Lobbying für Lohnnebenkostensenkungen, Pensionskürzungen oder Reduktion des Arbeitslosengeldes zu machen. Solange sie sich das leisten können, zahlen sie noch nicht genug Steuern, sollte man meinen.

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