In Österreich wird mehr Milch produziert als nötig und gleichzeitig werden Kleinbauern von großen Agrarkonzernen verdrängt. Das Fördersystem ist so ausgerichtet, dass diejenigen mehr bekommen, die mehr produzieren. Eine auf Wachstum ausgelegte Landwirtschaft schadet kleinen landwirtschaftlichen Betrieben, den Tieren und Konsument:innen. Die Profiteure sind große Agrarbetriebe – und Raiffeisen. Kontrast hat die Milchwirtschaft in Österreich unter die Lupe genommen.
¾ weniger Milchbauern als noch vor 30 Jahren – doch immer mehr Überproduktion an Milch
In den letzten dreißig Jahren schrumpfte die Anzahl an Bäuerinnen und Bauern, die Milch erzeugen, in Österreich dramatisch. Im Jahr 1994 waren es noch 82.000 Milchbäuerinnen und -bauern, im Jahr 2024 sind es nur noch 22.000. Das ist ein Rückgang von 73 Prozent. Viele kleinere Betriebe geben wegen wirtschaftlicher Herausforderungen wie hohen Produktionskosten (aufgrund der Energiekosten) und unfairen sowie schwankenden Milchpreisen auf. Der Milchpreis ist grundsätzlich niedrig und schwankt je nach Angebot und Nachfrage – sowohl lokal als auch weltweit. Der Handel legt den Preis fest und zieht davon seinen Anteil ab, dann zieht von diesem Preis die Molkerei ihren Betrag ab und der Rest bleibt den Landwirt:innen übrig. Der Produktionspreis wird bei der Bestimmung des Milchpreises nicht berücksichtigt.
Gleichzeitig wird in Österreich fast doppelt so viel Trinkmilch produziert, als konsumiert wird. Der Selbstversorgungsgrad an Trinkmilch liegt im Jahr 2024 bei knapp 180 %. Ein Viertel der produzierten Milch stammt mittlerweile aus Großbetrieben. Denn die Milchwirtschaft geht zunehmend in weniger, aber größere Betriebe über. Und obwohl es weniger Betriebe insgesamt werden, erzielen diese eine immer höhere Gesamtproduktion. 2005 besaßen nur 250 Betriebe 50 Milchkühe oder mehr. Heute hat sich diese Zahl auf über 1.700 Betriebe versiebenfacht. Das heißt: Es gibt weniger Landwirt:innen, aber diese wenigen besitzen meist sehr große Höfe und viele Tiere.
Durch moderne Technologien wie Melkroboter und automatisierte Fütterung produzieren Großbetriebe immer mehr – mehr als Österreich tatsächlich braucht. In den meisten modernen Betrieben stehen die Kühe nicht auf einer idyllischen, saftigen Wiese, sondern im Stall, viele davon sind angebunden. Was besonders schlecht ist für Klima und Tiergesundheit: Die Kuh, die eigentlich eine Wiederkäuerin und Rohfaserverwerterin ist, bekommt immer mehr Getreide und Mais vom Acker zum Fressen statt Gras und Heu von der Wiese. Das macht die Kuh krank und zur Nahrungskonkurrenz für andere Lebenswesen, die Getreide benötigen und kein Gras verdauen können. Aber das Getreidefutter steigert die Milchleistung beträchtlich. Den Kühen wird die Milch förmlich herausgepresst. Im Vergleich: Vor 25 Jahren wurde einer Kuh noch 25 Prozent weniger Milch entnommen.
Überschuss geht ins Ausland und schadet dort der Landwirtschaft
Nur etwa die Hälfte der in Österreich produzierten Trinkmilch wird konsumiert. Der Überschuss an Milch wird exportiert. Nach Schätzungen der AMA (Agrarmarkt Austria) gehen rund 312 Millionen Liter Milch ins Ausland – das sind 45 % der Trinkmilch, also Käse und Butter ausgenommen. Europäische Milchprodukte, insbesondere Milchpulver, werden zu sehr niedrigen Preisen auf den internationalen Märkten angeboten. Lokale Landwirt:innen im Ausland können mit diesen günstigen Importpreisen oft nicht mithalten und verlieren ihre Existenzgrundlage.
Die Überproduktion von Milch ist ein europaweites Problem: In der EU wird mehr Milch produziert, als konsumiert werden kann. Seit 2003 richtet die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ihren Fokus zunehmend auf den internationalen Wettbewerb, was den Preis drückt und die Industrialisierung der Milchwirtschaft weiter antreibt. Niedrige Preise bedeuten für Landwirt:innen, dass sie weniger Geld für ihre Produkte erhalten, selbst wenn ihre Produktionskosten gleich bleiben oder steigen. Viele kleine Betriebe haben auf dem Milchmarkt keine Chance mehr, profitablel zu arbeiten, während große, industrialisierte Betriebe besser damit zurechtkommen.
Dennoch streben große Agrarverbände weiterhin neue Märkte und Zielgruppen an. So wurde Milch in China erfolgreich als westliches Luxusprodukt vermarktet. Doch als China begann, selbst Milch zu produzieren, erfüllten sich die Hoffnungen auf langfristige Exportmöglichkeiten nicht, und europäische Landwirte stehen weiter unter Druck.
Unfaire Preise: Staffelpreise begünstigen diejenigen, die mehr produzieren
Der Milchpreis in Österreich liegt aktuell bei durchschnittlich netto 50,86 Cent pro Kilo für Rohmilch. Ein Liter entspricht 1,03 Kilo Milch. Der Preis schwankt allerdings je nach unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen. Und: Auch beim Milchpreis unterscheiden manche Molkereien je nach gelieferter Menge: Wer mehr Milch liefert, bekommt zusätzlich zu höheren Geldsummen auch noch einen Bonus. So ist es beispielsweise bei der Berglandmilch, der mit Abstand größten Molkerei in Österreich.
Die Berglandmilch hat sogenannte Staffelpreise (auch “Anfuhrbonus”). Der Milchpreis steigt, je mehr Milch geliefert wird. Bäuerinnen, die bis zu 5.000 kg Milch pro Monat liefern, bekommen 0,11 Cent pro Kilo. Zwischen 5.001 und 10.000 kg Milch gibt es 0,61 Cent pro Kilo. Zwischen 10.001 und 15.000 kg Milch gibt es 1,31 Cent pro Kilo und ab 15.001 kg Milch 2,11 Cent pro Kilo (alle Preise in netto). Diese Staffelpreise der Berglandmilch liegen Milchlieferant:innen vor und wurden der Redaktion zugespielt.
Systematische Benachteiligung von Kleinbauern in der Milchwirtschaft
Mit diesen Staffelpreisen werden Landwirtinnen und Landwirte dazu gedrängt, immer weiter zu wachsen. Der Trend zu immer größeren Betrieben wird schon in der Landwirtschaftsschule gelehrt. Denn das Fördersystem in Österreich belohnt Großbetriebe und vernachlässigt die kleineren Bäuerinnen und Bauern. Das entspricht ganz der Logik eines Systems, in dem nichts wichtiger ist als grenzenloses Wachstum und steigende Profite. Die Folgen für Menschen, Umwelt und Tiere spielen in diesem Denken keine Rolle. Die NÖM ist zwar genossenschaftlich organisiert; aber vom Prinzip der gegenseitigen Unterstützung und Solidarität ist bei großen Milchgenossenschaften meist nicht mehr viel zu spüren.
Viele Bauern geben ihre kleinen Höfe auf, weil sie von großen Betrieben verdrängt werden. Andere sehen sich gezwungen, teure neue Geräte und mehr Tiere zu kaufen. Oft endet das aber mit großen Verschuldungen, die von der nachfolgenden Generation weitergetragen werden müssen.
“Die kleinen Betriebe werden durch systematische Benachteiligung aus der Produktion gedrängt”, sagt der ehemalige Milchbauer Ewald Grünzweil im Gespräch.
Ernst Halbmayr ist Biobauer. Auch er spricht von großem Druck in der Landwirtschaft. Schon seit Jahren beobachtet er, wie Landwirt:innen in der Umgebung diesem Druck und der Konkurrenz von großen Agrarbetrieben nicht mehr standhalten können. Im schlimmsten Fall endet das mit Suizid. Genauso wie Ewald Grünzweil hat er keine Milchwirtschaft mehr, weil er mit der Abhängigkeit von der Molkerei nicht zurechtkam und sich ihr ausgeliefert fühlte. Er erzählt auch von einem teilweise entwürdigenden Umgang der Molkerei-Genossenschaften gegenüber den Bäuerinnen und Bauern. Ein Beispiel nennt er, als sich darüber lustig gemacht wurde, dass ein Bauer aufgrund von Überarbeitung während einer Sitzung eingeschlafen ist.
Öffentlicher Streit zeigt die Schieflage am Milchmarkt
Diese Schieflage am Milchmarkt zeigt sich auch in einer aktuellen Debatte rund um den Lieferstopp der NÖM (Niederösterreichische Molkereien): Die Molkerei hat sich geweigert, an den Lebensmittelkonzern SPAR zu liefern, weil der wiederum die Preiserhöhung für die Milch nicht akzeptiert habe. Die Molkereien argumentieren, dass steigende Produktionskosten und strengere Standards sie zu dieser Entscheidung zwingen. Die Sprecherin von SPAR hingegen sagt, dass bereits vor einem Jahr die Gespräche mit NÖM begonnen haben und verweist auf sinkende Futter- und Energiekosten. SPAR zahle demnach denselben Preis an NÖM für die Milch, wobei NÖM den Milchlieferanten, also den Landwirt:innen, in dem Zeitraum weniger Milchgeld ausbezahlt habe.
Halbmayr und Grünzweil sehen auch hier die Wurzel des Problems in einer ungerechten Agrarpolitik: Die Landwirt:innen sind meistens die Leidtragenden, da sie wenig Einfluss auf Preise und Bedingungen der Molkereien haben. Die Verteilung der Gewinne ist unfair – Milchbäuerinnen und Milchbauern erhalten nur den Rest, der nach den Margen der Molkereien und Händler:innen übrig bleibt.
In einem Interview sagt MGN-Geschäftsführer Leopold Gruber-Doberer (neben der Raiffeisenbank ist die MGN Miteigentümerin der NÖM), dass “Unser Ziel war (…), das Spiel mit dem Handel zu verändern. Dahinter steht auch die NÖM als unser Verarbeitungspartner. In Italien stehen wir mit 100 Artikeln im Regal – dort dürfen wir Geld verdienen. Das muss auch in Österreich möglich sein.” Außerdem sagt er: “Die Milchbauern haben bei den Konsumenten enorme Sympathiewerte. Daher haben wir emotional das Match auf unserer Seite.” Die Frage, die bleibt, ist: Wer sind “wir”? Es ist anzuzweifeln, dass es tatsächlich um die Interessen der Milchbäuerinnen und Milchbauern geht – sondern schlussendlich um wirtschaftliche Interessen.
Raiffeisen verdient am Geschäft mit der Milch
Die NÖM ist nach der Berglandmilch die zweitgrößte Molkerei in Österreich. Beide gehören zum Raiffeisenverband. Bis heute ist Raiffeisen stark im landwirtschaftlichen Sektor aktiv. Vor allem in der Milchwirtschaft führt kein Weg an dem Konzern vorbei. Aus den kleinen gemeinnützigen Genossenschaften, die teilweise aus nur sieben Bauern bestanden, wurde ein internationaler Konzern mit starken Profitinteressen. Bekannte Marken wie Schärdinger, Fru-Fru-Joghurt oder Lattella sind somit unter vielen anderen Teil von Raiffeisen.
Die Stellung der Raiffeisen in der Milchwirtschaft zeigt sich auch an deren Interessensvertretung: Der Milchverband Österreich (MVÖ) (vormals VÖM) hat seine Adresse am Wilhelm-Friedrich-Raiffeisen-Platz 1, also direkt an der selben Adresse wie die Raiffeisenlandesbank Wien-Niederösterreich. Insgesamt verarbeiten Raiffeisen-Unternehmen rund 90 Prozent der gesamten Frischmilch in Österreich. 76 Molkereien gehören zum Raiffeisen-Imperium und damit 35.000 Mitglieder und rund 1.000 Funktionärinnen und Funktionäre.
Milchkühe und Klima leiden unter der Milchwirtschaft
Unter diesen Profitinteressen und Konflikten leiden die Tiere selbst am meisten. Was viele Menschen nicht wissen: Eine Kuh gibt nicht “einfach so” Milch, sondern nur, wenn sie kalbt. Der Kreislauf einer Milchkuh läuft so ab: Jedes Jahr wird sie besamt, bekommt sie ein Kalb, wird kurz darauf wieder befruchtet und bis auf zwei Monate vor der Geburt täglich zwei- bis dreimal gemolken.
Jedes Jahr muss eine Kuh noch mehr Milch geben, um der Profitgier zu genügen. Zum Vergleich: Noch in den 1970ern wurden pro Kuh etwa 3.000 Liter Milch gemolken – mittlerweile sind es über 7.000 Liter Milch im Durchschnitt – “Turbokühe” geben jenseits der 10.000 Liter Milch. Die Euter moderner Milchkühe wurden über Jahrzehnte auf größeres Volumen gezüchtet, was den Körper und Kreislauf enorm belastet. Gras und Heu reichen für diese Hochleistung nicht mehr aus, weshalb spezialisiertes Kraftfutter eingesetzt wird, das den Organismus der Kühe auf eine fettreichere Ernährung ausrichtet.
Das schadet der Gesundheit der Tiere massiv. Während Rinder eine natürliche Lebenserwartung von 20 Jahren haben, sinkt bei Milchkühen die Milchleistung und Fruchtbarkeit oft schon nach 3 bis 4 Jahren, begleitet von häufigen Krankheiten wie Euterentzündungen, Stoffwechselstörungen und Gelenkproblemen. Etwa 15 % der Kühe eines Stalls leiden akut an Euterentzündungen, und fast die Hälfte erkrankt während eines Laktationszyklus, woraufhin sie auch oft mit Antibiotika behandelt werden müssen. Sobald die Kühe keine Kälber mehr zur Welt bringen können, werden sie meist geschlachtet – in Österreich im Schnitt nach 6,3 Jahren, wovon nur etwa drei Jahre für die Milchproduktion genutzt werden.
Auch für das Klima ist diese Massenproduktion von Milch schädlich. Die Milchwirtschaft trägt weltweit erheblich zum Klimawandel bei, da sie für hohe Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, insbesondere durch Methan aus der Tierhaltung und CO₂ aus der Futterproduktion. Zudem belastet sie Böden und Gewässer durch Überdüngung und Flächenverbrauch. Trotz dieser massiven Umweltauswirkungen wird der Milchkonsum durch Lobbyarbeit und staatliche Förderungen in vielen Ländern gefördert, wodurch die tatsächlichen Kosten für Umwelt und Klima verschleiert werden.
Fördersystem umkrempeln, Leistungsbeschränkung bei Kühen: Für eine bessere Milchwirtschaft
Welche Aussichten gibt es auf Besserung? Biobauer Halbmayr wünscht sich einen Strukturwandel in der Landwirtschaft, der bei einfachen Dingen ansetzt: Es braucht ein anderes Fördersystem. Anstatt große Ackerflächen zu fördern, sollten Wiesen gefördert werden, um die Biodiversität zu sichern. Eine größere Biodiversität und Naturschutz tragen zur besseren Ernte von Landwirt:innen und zu besserer Lebensmittelqualität für die Konsument:innen bei. Das würde die gesamte Wertschöpfungskette in der landwirtschaftlichen Produktion verbessern. Auch in Bezug auf die Milchwirtschaft gehe es darum, weg vom Leistungsgedanken zu kommen und das Tierwohl wieder in den Vordergrund zu stellen:
“Das Wichtigste wäre eine Leistungsbeschränkung bei Milchkühen”, fordert Halbmayr.
Es tue so weh, mit anzusehen, wie die Kühe auf Leistung getrimmt werden. Eine Begrenzung für die Zuführung von Kraftfutter wäre ein weiterer Lösungsansatz, der die Leistungserhöhung bei Kühen beschränkt. Denn Kraftfutter (etwa Mais und Getreide) weist eine hohe Nährstoffdichte auf und ist eigentlich nicht für Kühe bestimmt. Auch Grünzweil sagt in einem Standard-Interview, dass es strukturelle Lösungsansätze braucht:
“Damit Kühe nach zweieinhalb Jahren nicht wie Wegwerfprodukte bis zu ihrer Erschöpfung ausgebeutet werden, müsste man in der Züchtung ansetzen. Hohe Mengen an Mais und Getreide haben in ihrer Fütterung nichts verloren. Als Bauer bist du hier nur noch Krisenmanager auf einer ständigen Gratwanderung. Es ist ein krankes System. Den Tieren wird etwas abgerungen, was de facto unmöglich ist.”
Beide sind sich einig, dass es Lösungen gibt, die angegangen werden müssen. Dann kann es auch wieder eine Landwirtschaft geben, die Biodiversität, biologischen Anbau und Tierwohl in den Vordergrund stellt. Oft bleiben diese Dinge aber an Verantwortlichen hängen, deren Interessen Profite sind – nicht Tierwohl und Naturschutz.
@kontrast.at Immer mehr Bäuerin und Bauern hören auf, während einige wenige Großbetriebe immer riesiger werden. Für den Bauern-Rebell Ewald Grünzweil liegt das an der katastrophalen Politik der ÖVP. Der und ihren Bauern-Vertretern geht es nur um Profite und nicht um das Wohl von Mensch und Tier. #fyp #landwirtschaft #landleben #farmtok #landwirtschaftausleidenschaft #dorfkind #farmlife #farmlife #bauer #oevp #österreich