Der britische Wirtschaftsjournalist Paul Mason überrascht mit seinem neuen Buch „Klare, Lichte Zukunft: Eine Radikale Verteidigung des Humanismus“ mit seinem Optimismus. Mason sieht im politischen Chaos ein Potential für Menschen, sich vom Industriekapitalismus zu befreien. Dazu müsse man allerdings die Werte der Demokratie und der Aufklärung vor der anti-humanistischen autoritären Rechten verteidigen. Denn die Rechten wollen mithilfe künstlicher Intelligenz den Menschen endgültig ihre Freiheit und Autonomie rauben. Isabel Frey fasst Masons Manifest für eine Politik der Menschen statt der Maschinen zusammen.
„Wollen Sie die Kontrolle des Menschen durch die Maschine akzeptieren oder sich ihr widersetzen?“ Der britische Journalist Paul Mason beginnt sein neuestes Buch „Klare, lichte Zukunft“ gleich mit einer rhetorischen Frage. Denn wer könnte klaren Gewissens sagen er wolle von Maschinen regiert werden? Doch für Mason ist die Antwort gar nicht so selbstverständlich. Er behauptet, 30 Jahre neoliberales Wirtschaftsregime haben uns darauf vorbereitet, eine Machtübernahme der Roboter und Algorithmen widerstandslos zu akzeptieren.
„Nehmen wir an, ich sage Ihnen, dass es eine Maschine gibt, welche die Geschicke ihres Landes besser lenken kann als die Regierung. Eine Maschine, die logischer als jeder Mensch denken und autonom laufen kann. […] Versuchen Sie jetzt, die Maschine durch ‚den Markt’ zu ersetzen.“ (Paul Mason)
Laut Mason befinden wir uns auf dem besten Weg, viele unserer politischen Freiheiten an autoritäre, technologisch gestützte Machtformen aufzugeben. Denn wer glaubt „der Markt“ treffe die rationalsten Entscheidungen, ist auch bereit, sich „algorithmischer Kontrolle“ zu unterwerfen. Damit droht uns die Aushöhlung der Demokratie und der Verlust des humanistischen Erbes der Aufklärung.
Paul Mason: Wir brauchen den technologischen Überfluss
Dennoch gibt sich Paul Mason optimistisch über die Zukunft. Denn noch nie war die Emanzipation der Menschen so greifbar wie jetzt – und das wegen des technologischen Fortschritts. Karl Marx hat vor 150 Jahren genau davon geträumt.
„Der Endzustand, den wir anstreben sollten, ist der technologische Überfluss: Eine Welt, in der Maschinen den größten Teil der Arbeit und sogar den Großteil der Innovationen bewerkstelligen, in der uns unsere deutlich größere Freizeit ein kulturell erfülltes Leben ermöglicht und in der unsere wirtschaftliche Aktivität im Einklang mit den natürlichen Rhythmen der Erde steht.“ (Paul Mason)
Die Realität jedoch könnte nicht trostloser wirken. Ob Donald Trump in den USA, Narendra Modi in Indien oder Jair Bolsonaro in Brasilien: Nahezu überall befindet sich die autoritäre Rechte auf dem Vormarsch. Dazu zählt Mason auch die österreichische Schwarz-Blaue Regierung. Wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, schreibt er, dass „die altehrwürdige Österreichische Volkspartei über Nacht das Bündnis mit den Sozialisten aufkündigt und sich mit den Neofaschisten zusammenschließt“? Diese anti-humanistische Offensive, wie Mason sie nennt, würde noch zu einer technologisch-gestützten globalen Autokratie führen, wenn wir sie nicht rechtzeitig stoppen.
Der stärkste Teil des Buches ist ein Überblick der politischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte und eine klare Analyse des Zusammenhangs von Wirtschaft und Politik. Der Versuch, eine politische Theorie aufzustellen, gelingt allerdings weniger gut. Mason ist nun mal Journalist und kein Hobby-Philosoph. Dennoch bekommt sein Buch durch kämpferische Appelle und konkrete Policy-Vorschläge den Charakter eines Manifestes für eine linke Politik der Zukunft.
Neoliberales Lügenmärchen
„Die Geschichte der Reise vom Lehman-Kollaps über den Brexit bis zu Trumps Wahlsieg handelt nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Entbehrungen. Sie handelt von der Weigerung der Elite, die richtigen Lehren aus ihrem Versagen zu ziehen, als sich die von ihr erzählte Geschichte als Lügenmärchen erwies.“ (Paul Mason)
Mason entkräftet das Argument, der materielle Abstieg der weißen Arbeiterklasse sei die Erklärung für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Die weiße Arbeiterklasse, schreibt er, gäbe es als solches gar nicht. Sie sei „eine Identität, die die Reichen erfunden haben, um die Armen zu unterdrücken.“ Es gelte daher nicht das Ziel, Trump-WählerInnen zu verstehen, sondern stattdessen offensiv die Werte der Demokratie und der Aufklärung zu verteidigen.
Diese Werte werden schon seit Jahrzehnten durch den Neoliberalismus attackiert. Denn der predigt eine Weltordnung, in der die Logik des freien Marktes und des Wettbewerbs über den Bedürfnissen der Menschen stehen. Spannend ist Masons Analyse der Rolle des Kredits bei der Zerstörung der organisierten Arbeiterschaft. Denn weil Löhne sinken und Preise steigen, sind Menschen auf Kredite angewiesen. Ihre Arbeit dient nur noch dazu, Schulden zu begleichen – von einem Aufstieg durch Arbeit kann keine Rede mehr sein.
„Der Kredit zerstörte die Bindung dieser Menschen an das Einzige, was ihre Gemeinschaften in den vorangegangenen 200 Jahren zusammengehalten hatte: die Arbeit. Ab Mitte der neunziger Jahre war die Arbeit in einer armen Gemeinde das, was man tat, um die Kreditkartenschulden zu begleichen, die Hypothek zu bezahlen und das Guthaben für das Mobiltelefon aufladen zu können – sie hatte nicht länger einen Wert an sich.“ (Paul Mason)
Von der Wirtschaftskrise zu Fake News
Es waren die vielen Kredite, die an Menschen aus sozial schwächeren Milieus vergeben wurden, die schließlich zur Wirtschaftskrise in den Jahren 2007-08 führten. Damals platzte nicht nur die Immobilienblase, sondern auch die Illusion des unaufhaltsamen Fortschritts und Wachstums der Wirtschaft. Doch die neoliberale Elite hörte nicht auf weiterhin auf den Status Quo zu pochen.
„Die rechtspopulistischen Ideologien werden beschuldigt, die Vergangenheit wiederholen zu wollen, aber das neoliberale Projekt selbst ist seit 2008 eine Art von Nostalgiebewegung, welche die Aufbruchstimmung der neunziger Jahre beschwört.“ (Paul Mason)
Der Neoliberalismus, schreibt Mason, beraubt uns von der Fähigkeit uns Alternativen vorzustellen. Die globalen Protestbewegungen aus dem Jahr 2011, von der Occupy-Bewegung bis hin zum Arabischen Frühling, waren ein Versuch genau dieser Alternativlosigkeit zu entkommen. Das gelang in erster Linie durch den Fortschritt der Informationstechnologie. In diesem Jahr schienen überall auf der Welt, von Amerika bis Russland, „vernetzte Erhebungen“ zu entstehen die sich durch sozialen Medien organisiert hatten.
Den Eliten waren diese Protestbewegungen jedoch ein Dorn im Auge und sie entwickelten ein „Repertoire an Repressions- und Kontrollmethoden“ um sie zu zerschlagen. Eine dieser Strategien erwies sich als besonders effektiv: die Verbreitung von Fake-News. Nun war das Internet nicht mehr ein Raum für soziale Emanzipation, sondern für Hasspostings und Verschwörungstheorien. Die Alt-Right Bewegung ging ein Bündnis mit der konservativen Rechten ein und vereinigten sich zu „einer neuen Form des technologischen Konservativismus, der Frauen und ethnische Minderheiten ihre Rechte aberkennen will und auf dezidiert antihumanistischen Prinzipien beruht.“
Dass autoritäre Regime Informationstechnologie bereits dazu nutzen um ihre Macht auszuweiten ist spätestens seit dem Fall von Cambridge Analytica bekannt. Dabei wurde das Wählerverhalten bei der letzten Präsidentschaftswahl in den USA mithilfe von Algorithmen beeinflusst. Auch durch die Überflutung der sozialen Medien durch Fake-News, Trolls und Bots gehören schon länger zum Repertoire von Putin und Co. Der Kreml bezeichnet solche Taktiken als „Kriegsführung der neuen Generation“. Wenn sich solche Strategien weiterhin durchsetzen, warnt Mason, drohe die Untermauerung der Demokratie durch Maschinenintelligenz.
Paul Mason: Maschinen müssen dem Menschen dienen – nicht umgekehrt
Damit schließt Paul Mason den Bogen vom Neoliberalismus zu den „Maschinen.“ Sein dringender Appell: Künstliche Intelligenz soll so gestaltet sein, dass sie dem Menschen dienenund nicht umgekehrt. Für Mason gibt es nur zwei Szenarien: 1. Die Machtübernahme autoritärer Regime, die mithilfe algorithmischer Kontrolle Menschen ihre Freiheit rauben. Oder 2. die technologische Emanzipation des Menschen von den Zwängen des Industriekapitalismus. Marx würde sagen: Sozialismus oder Barbarei.
Technophobisch ist Mason allerdings nicht. Vielmehr strebt er „nach besseren Maschinen, nach besseren, transparenten Algorithmen, nach mehr Kontrolle.“ Dazu muss man künstliche Intelligenz so programmieren, dass sie nach menschlichen Tugenden handeln, und nicht nach einer Ethik des Utilitarismus. Die technologischen Bedingungen für ein Leben im Wohlstand, in dem Maschinen die meiste Arbeit verrichten, sind laut Paul Mason schon gegeben. Jetzt geht es darum, für dieses Leben zu kämpfen.
Wie genau soll dieser Kampf aussehen? Dazu hat Mason erstaunlich konkrete Vorschläge:
- Bestreitung von Monopolen der Informationskonzerne
- Einführen eines universellen Grundeinkommens in Kombination mit dem Bereitstellen sozialer Versorgung durch den Staat
- das Verwandeln von Daten in öffentliches Gut, sodass Konzerne kein Rent-Seeking mehr betreiben können
- Verbieten aller Geschäftsmodelle, die auf dem asymmetrischen Zugang zu Informationen basieren
Abgesehen von diesen Policy-Vorschlägen wählt Paul Mason sonst eher pathetische Parolen. Er fordert uns dazu auf, ein „antifaschistisches Leben“ zu führen, so wie es WiderstandskämpferInnen im spanischen Bürgerkrieg oder in der Pariser Kommune getan hatten. Allerdings beschreibt er nicht, wie so ein Leben heutzutage ausschauen könnte – außer, dass man sich im Supermarkt weigern könnte, automatische Kassen zu nutzen, um Unternehmen dazu zu drängen, Menschen einzustellen. Vorschläge wie diese klingen allerdings wieder eher nach technophobem Pseudo-Aktivismus als nach politischer Strategie.
Eine simple Formel, um den Status Quo zu überwinden
Paul Mason hat einen wichtigen Appell an Linke und Liberale: Sie sollen ihre Zwistigkeiten beseitigen, um die Demokratie zu verteidigen und „zu verhindern, dass Konservativismus, Faschismus und Staatsbürokratie in einem autoritären Projekt verschmelzen“. Seine Hoffnung legt er in die Kombination sozialer Protestbewegungen, wie er sie 2011 miterlebt hat – mit linksradikaler Parteipolitik, wie Jeremy Corbyns Labour Partei oder dem demokratischen Sozialismus von Alexandria Ocasio-Cortez. Dafür hat er eine simple Formel:
„Vernetzter Aktivismus + Konzentration auf Parteipolitik und Machtübernahme auf nationaler Ebene + unablässige Konzentration auf die Anliegen, die Sprache und die Sorgen der Normalbürger = das neue linke Projekt.“ (Paul Mason)
So ein Projekt könne zu dem führen, wovor sich die neoliberale Elite am meisten fürchtet: „Die Wahl demokratischer, linker Regierungen und die Errichtung wirklich demokratischer und transparenter Staaten.“
Mason schafft es, den Ernst der gegenwärtigen Situation und die Dringlichkeit zum Handeln zu vermitteln und gleichzeitig Hoffnung zu schöpfen. Alles in allem ist das eine ziemliche Errungenschaft. Utopisch? Sicherlich. Naiv? Nur wenn man wirklich glaubt, es gäbe keinerlei Alternativen zum Status Quo. Und da der Neoliberalismus uns auch von der Vorstellungskraft beraubt hat von einer besseren Welt zu träumen, ist dieses Buch in sich schon ein Akt des Widerstands.