Wir alle werden alt und möchten, dass sich irgendjemand um uns kümmert, wenn wir das selbst nicht mehr können. Doch bereits jetzt fehlen 3.000 Pflegekräfte jedes Jahr – Tendenz steigend. Dass immer mehr private Konzerne auf den Markt drängen, verschlechtert die Situation für Betroffene zusätzlich. Bezahlung während der Ausbildung, gute Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung würde die Situation für die Pflege hingegen verbessern.
ÖVP-Grün hat 2022 zwar eine “Pflegereform” beschlossen, doch die Situation ist seitdem unverändert dramatisch geblieben. Denn die wichtigsten Schritte für bessere Arbeitsbedingungen, die schnell viel gebessert hätten, wurden dabei nicht in Angriff genommen: etwa stabile Dienstpläne und mehr Zeit für die Klient:innen.
„Die Pflege ist ein Intensivpatient, dem von der Bundesregierung die Verlegung auf die Normalstation in Aussicht gestellt wurde”, kommentiert ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian die Reform.
Laut ÖGB Gesundheits- und Pflegeexpertin Martina Lackner ist der Intensivpatient bisher auf der Intensivstation geblieben. Die Langzeitpflege steckt also schon länger in der Krise. Die Gründe sind fehlendes Personal, unzählige Überstunden, hohe Arbeitsbelastung und der Eingriff von privaten Investoren in den öffentlichen Sektor. Auch die demografische Entwicklung erfordert langfristige Lösungen im Pflegebereich, denn die Anzahl an Menschen im Alter von 65 Jahren und älter wird in den nächsten Jahren noch ansteigen. Die altersbedingte Nachfrage nach Pflege wird deshalb wachsen. Das kommt zusätzlich zu dem ohnehin überlasteten Gesundheitssystem.
Personalnot: Fast jede zweite Pflegekraft denkt über Berufsausstieg nach
„In den letzten Jahren haben sich das Tempo und die Arbeitsbelastung für Pflegekräfte massiv erhöht. Ein Satz, den ich bei fast allen Gesprächen mit ihnen höre, lautet: ‚Ich muss eigentlich die Arbeit für drei machen!‘ Viele denken, dass sie nicht in Pension gehen können in diesem Beruf. Wenn das so weitergeht, machen wir die Pflegekräfte kaputt“, so SPÖ-Bundesparteivorsitzender Andreas Babler.
In Österreich fehlen momentan bis zu 3.000 Pfleger:innen jährlich. Bis zum Jahr 2050 werden 200.000 Pflege- und Betreuungspersonen benötigt. Bei bleibenden Verhältnissen könnte es passieren, dass zwei Drittel der Menschen, die in Österreich leben, ihre Angehörigen pflegen müssen. Der Ausstieg aus Pflegeberufen destabilisiert die Situation nochmals drastisch.
44% der Arbeitnehmer:innen denken in der Pflege monatlich oder häufiger über einen Berufsausstieg nach. Der Druck steigt immer mehr, weil es viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Personal gibt. Eine Personen arbeitet für drei, die ohnehin anstrengenden Nachtschichten werden oft von nur einer Pflegekraft übernommen. Fast zwei Drittel der Pflegekräfte arbeiten mehr als vereinbart und die Inflation trifft das Pflegepersonal besonders hart, weil sie keine Spitzenverdiener:innen sind. Aufgrund des Mangels an Zeit und Ressourcen müssen oft auf bestimmte Pflegeleistungen verzichtet werden, was eine zusätzliche Belastung bedeutet – sowohl für die Pflegenden, als auch für die Betreuten.
Das Business mit der Pflege: Profit für die Konzerne – Kosten und Risiken für die Betroffenen
Neben der Personalnot sind es auch andere wirtschaftliche Faktoren, die das Pflegesystem aus den Fugen bringen. Es gibt immer wieder große Konzerne, die ein „Business mit dem Alter“ machen. Sie nutzen den großen Bedarf an Pflegeplätzen aus und drängen sich in den Sektor, der überwiegend von öffentlicher Hand finanziert wird. Damit versprechen sie sich hohe Renditen und ein risikofreies Geschäft – auf Kosten vulnerabler Personen.
In Österreich geht die Unterwanderung von privaten Unternehmen in die soziale Infrastruktur schleichend voran. Durch Gewinnabschöpfung, „cherry picking“ und Steuervermeidung machen Konzerne Geld aus öffentlichen Mitteln und gefährden mit ihrer Profitgier das Gemeinwohl. Ein Vordringen privater Akteure bedeutet gleichzeitig ein Zurückdrängen der öffentlichen Hand aus lebensnotwendigen Bereichen. Diese Entwicklung birgt mehrere Risiken für die Bevölkerung. Die Profitorientierung könnte zu starken Unterschiede zwischen wohlhabenderen und ärmeren Gegenden führen. Es könnte passieren, dass strukturschwache Gebiete unterversorgt werden.
Außerdem fließen mehr als ein Viertel der Einnahmen bei großen Pflegekonzernen zu den Eigentümern der Pflegeheime und nicht zurück in die öffentliche Hand. Damit steigen auch die Kosten für Angehörige. Wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät und das nicht von Beginn an öffentlich sichtbar wird, kann das die alltägliche Leistungserbringung – und somit die Bewohner:innen selbst – in Gefahr bringen.
Ein Beispiel ist der große Skandal beim Pflegekonzern „Orpea“ im Jahr 2022: Das Ergebnis eines profitorientierten Unternehmens waren massive Personalnot, Essensrationierungen und Bewohner:innen, die stundenlang in ihren eigenen Exkrementen liegen mussten. Orpea betreibt über 1.000 Einrichtungen in Europa. 2023 hat der Konzern 690 Millionen Euro Gewinn gemacht – unter anderem “dank Preiserhöhungen”.
SPÖ und Gewerkschaft fordern: Bezahlte Ausbildung & Einstufung als Schwerarbeit
“Wer politisch nichts tut, sagt Alten und Pflegenden, sie müssen alleine klarkommen”, so vida-Gewerkschafter Gerald Mjka.
Auch die Vorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (GPA), Barbara Teiber, spricht sich für eine strukturelle Pflegereform aus, die bis jetzt unerfüllt geblieben ist. Um die heimische Pflege nachhaltig und langfristig zu bessern, braucht es eine systemische Reform. Das fängt bei der Ausbildung an: Die Pflegeausbildung soll kostenlos sein, genügend Plätze anbieten und Pflegekräfte sollen bereits während der Ausbildung – genauso wie Polizeischüler:innen – monatlich 2.300 € brutto bekommen. Die SPÖ fordert außerdem eine Sozialversicherung und ein gratis Klimaticket für alle Personen während der Ausbildung. Auch die Gewerkschaft steht hinter diesen Forderungen.
„Der Bundesregierung muss auch die Ausbildung in den Gesundheitsberufen etwas wert sein. Es ist Zeit, rasch zu handeln, denn ohne Pflegekräfte kann das Gesundheitssystem nicht existieren“, bekräftigtMjka.
Eine Arbeitsplatzgarantie soll zudem dafür sorgen, dass Personen nach der Ausbildung fix einen Platz bekommen. Um den Arbeitsalltag in der Pflege langfristig qualitätsvoll zu gestalten und Personal zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen massiv verbessert und Gehälter angehoben werden. Arbeitszeiten müssen so geregelt werden, dass genügend Erholung und Zeit für die Familie bleibt – eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn ist vorgesehen.
Eine weitere dringende Forderung ist die Einstufung der Pflege als Schwerarbeit. Das bedeutet, dass Menschen in Berufen mit besonderen körperlichen und psychischen Belastungen unter anderem früher in Pension gehen dürfen. Ein Pflegequalitätsgesetz sollte sicherstellen, dass die Pflegekräfte unter würdigen und fairen Bedingungen arbeiten.
“Um allen Pflegebedürftigen in Österreich die beste Versorgung zu garantieren und Pfleger:innen zu entlasten, brauchen wir rasch eine Pflegeoffensive. Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, muss er aufgewertet werden. Bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten sind eine Frage des Respekts gegenüber jenen Menschen, die unsere Liebsten jeden Tag aufopferungsvoll pflegen und betreuen”, fordert Andreas Babler.
- Pflege sollte öffentlich finanziert und organisiert werden und nicht in die Hände von privaten Finanzinvestoren fallen
- Ein Pflegegarantiefonds sollte die Finanzierung aller Pflegeleistungen ermöglichen und für alle Betroffenen kostenfrei sein
- Massive Verbesserung der Arbeitsbedingungen (höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, sichere und humane Dienstzeiten, Pflegequalitätsgesetz, Schwerarbeitspension)
- Verbesserung der Pflegeausbildung: Bezahlte Ausbildung, mehr Ausbildungsplätze und fixe Arbeitsplätze
- Unterstützung für pflegende Angehörige durch Anlaufstellen, Unterstützungsangebote und rechtliche Absicherung