Der Pilotenstreik bei Ryanair ist vorerst beendet. 55.000 Passagieren wurden Flüge gestrichen. Der Ärger war groß. Doch auch der Ärger der Piloten ist verständlich. Sie bekommen Dumping-Löhne, sind hoch verschuldet und steuern selbst dann Flugzeuge, wenn sie krank sind. Wir haben einen Blick auf die Arbeitsbedingungen bei der Billigfluglinie geworfen.
12. Februar 2009. Ein Flugzeug auf den Weg nach Buffalo, New York, gerät in einen Schneesturm. Der Pilot bedient einen Hebel falsch. Die Maschine gerät in Turbulenzen. Es sind nur noch 10 Kilometer bis zum Zielflughafen. Die Crew versucht den Absturz zu verhindern. Vergeblich. Das Flugzeug kracht in ein Wohnhaus und fängt feuer. 50 Menschen verlieren ihr Leben. Es ist die größte Flugzeugkatastrophe seit 9/11 in den USA.
Im Zuge der Aufarbeitung des Falles stellte sich heraus: Die Piloten waren schlecht ausgebildet, übermüdet und krank. Die Fluglinie ließ sie trotzdem starten.
Pilotenstreik bei Ryanair
Man sollte meinen, Fluggesellschaften haben ihre Lehren aus diesem Flugunglück aus 2009 gezogen. Doch die Arbeitsbedingungen sind weiterhin schlecht. Besonders bei Ryanair. Dort muss die Crew an Board sogar für das Trinkwasser während des Fluges zahlen. Am 11. August 2018 endeten Streiks gegen diese Arbeitsbedingungen. Das hat zu zahlreichen Flugausfällen geführt, von denen 55.000 Passagiere betroffen waren. Schon zuvor hatten auch Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen protestiert. Sie alle kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und faire Löhne.
Für Ryanair sind Piloten „Unternehmer“
Gerade Billigfluglinien sparen beim Personal. Dazu bedienen sie sich arbeitsrechtlicher Kunstgriffe. Die Universität Gent hat 2014 eine Studie durchgeführt. Befragt wurden über 6.600 Piloten und Pilotinnen, die in Europa arbeiten. Die Ergebnisse: Etwa 16 Prozent von ihnen sind atypisch beschäftigt. Wiederum 84 Prozent darunter arbeiten für Billigfluglinien wie Ryanair. Sie sind häufig Scheinselbstständige. Formal gelten sie als Unternehmer und Unternehmerinnen und müssen für sich selbst doppelt so hohe Sozialabgaben zahlen: Als Arbeitgeber und als Arbeitnehmer gleichzeitig.
Besonders betroffen sind junge Piloten und Pilotinnen: Von den Befragten der Altersgruppe der 20 bis 30-Jährigen sind 61 Prozent atypisch beschäftigt:
Bei Mitarbeitern der Kabinen-Crew ist die Situation ähnlich. Die meisten sind über Leiharbeitsfirmen angestellt. Bei Ryanair etwa über irische Firmen. Dadurch gelten für sie nicht die arbeitsrechtlichen Standards ihres tatsächlichen Arbeitsortes.
Kranke Piloten im Cockpit
Konkret bedeutet das für Piloten und Pilotinnen, dass sie nur Geld verdienen, wenn sie wirklich arbeiten. Wer also wegen Krankheit zuhause bleiben muss, schaut durch die Finger. Dabei stellt es ein Risiko für die Passagiere dar, wenn jemand krank ist, aber eine derartige Maschine lenkt.
Viele Flieger und Fliegerinnen sind verschuldet. Denn sie müssen ihren Ausbildungskredit abbezahlen. Bei Fluglinien wie Ryanair hat sich das „pay to fly“-Prinzip durchgesetzt. Wer fliegen will, muss nicht nur die Ausbildung selbst bezahlen, sondern auch nach bestandener Theorieprüfung für Praxisstunden aufkommen. Um als Co-Pilot mitfliegen zu können, müssen sie also die Airline bezahlen. So ergeben sich Schulden im fünfstelligen Bereich und eine starke Abhängigkeit dem Arbeitgeber gegenüber.
Billigfluglinie gegen Gewerkschaften
Diese arbeitsrechtlichen Konstrukte und die hohe Abhängigkeit dem Unternehmen gegenüber ist von der Billigfluglinie durchaus gewünscht. Dadurch konnte sie lange verhindern, dass sich Gewerkschaften bei den Beschäftigten etablieren konnten. Diese sind dem Manager von Ryanair, Michael O’Leary, ein Dorn im Auge. So verkündete er im Vorjahr, dass er sich lieber die rechte Hand abhacken würde, als einen Deal mit den Gewerkschaften zu unterschreiben. Er will um jeden Preis verhindern, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewerkschaftlichen organisieren:
Forderungen von Pilotenstreik und Gewerkschaften: mehr fixe Gehälter
Doch dass sich die Ryanair Belegschaft organisiert und ein Pilotenstreik stattfand, konnte der Konzern letztlich nicht verhindern. Was sie fordern, erklärte der Pressesprecher der Piloten-Gewerkschaft „Cockpit“ in einem Gespräch mit dem SWR: Mehr fixe Gehaltsanteile und damit mehr Sicherheit für die Piloten und Pilotinnen. Außerdem fordern sie Gehalts-Schemata, die unabhängig von konkreten Flughäfen sind und höhere Gehälter nach mehreren Dienstjahren.
Das ist auch bei anderen Airline-Beschäftigten ein Thema. So muss Flugbegleit-Personal darauf hoffen, dass Passagiere Getränke oder Speisen kaufen – ein Teil ihres Verdienstes ist nämlich von ihren Verkäufen während des Fluges abhängig.
In Österreich war das letzte Jahrzehnt für die Beschäftigten der Airlines von Einschnitten in der Bezahlung und bei den Arbeitsbedingungen geprägt. Nach dem Verkauf der AUA an die Lufthansa ist es zu mehreren Betriebsübergängen gekommen, die die Arbeitsbedingungen in Österreich verschlechtert haben. Eine Folge war, dass sogar der EuGH einen Betriebsübergang als nichtig erklärt hat, weil dieser nur durchgeführt wurde, um Löhne und Arbeitsstandards zu senken.
Billigflieger-Piloten drängen auf Kollektivverträge
Derzeit drängen viele Low-Cost-Carrier auf den österreichischen Markt. Eurowings, Laudamotion, Level und Wizz Air sind die neuen Player. Jedes Unternehmen will vom wachsenden Flugaufkommen in Wien und den günstigen Konditionen profitieren. Einheitliche Spielregeln, wie in anderen Branchen üblich, gibt es bei den Arbeitsbedingungen aber nicht. Die Wirtschaftskammer weigert sich, einen Kollektivvertrag für die ganze Branche abzuschließen. Derzeit finden aber Verhandlungen bei Eurowings und Laudamotion statt. Level steht dafür schon auf der Startbahn. Die Aufforderung zu Verhandlungen bei Wizz Air wurden bisher von dem Unternehmen nicht beantwortet.
Ein Grund, warum es jetzt Bewegung in der Sache gibt, ist der Pilotenmangel in ganz Europa. Johannes Schwarcz, Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt in der Gewerkschaft vida, warnt aber davor, dass es bei den Verträgen einen Wettbewerb nach unten geben könnte:
„Wenn man da nicht extrem aufpasst, werden die Unternehmen in absehbarer Zeit wieder die Kollektivverträge gegeneinander ausspielen.“
Lösung: Kollektivvertrag für die ganze Branche
Die Gewerkschaft hat aber ein probates Mittel, um die schlechten Arbeitsbedingungen zu bekämpfen: Einen Kollektivvertrag für die gesamte Branche, wie er sonst fast überall in Österreich üblich ist. Außerdem hätten die Fluglinien gerade jetzt auch finanziellen Spielraum, um die Situation ihrer Beschäftigten und die Sicherheit der Passagiere zu verbessern. Am 1. Jänner 2018 wurde die Ticketsteuer halbiert – das brachte den Konzernen 60 Millionen Euro.
Letztendlich ist es für den vida-Gewerkschafter Schwarcz auch eine Frage der Sicherheit.
“Bisher ist uns noch kein Unfall aufgrund des Wettbewerbsdrucks bekannt. Aber wir wollen es natürlich nicht darauf ankommen lassen.”
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