Der Hausarzt geht in Pension und es ist kein Nachfolger in Sicht. Das ist keine Seltenheit im ländlichen Raum. In der Steiermark sind es derzeit neun von zwölf offenen Hausarzt-Stellen, die nicht einmal einen einzigen Bewerber finden. Bund, Länder und Gemeinden haben daher gemeinsam eine Strategie gegen den drohenden Landärzte-Mangel entwickelt, die noch diese Woche im Nationalrat beschlossen werden soll. Doch die Ärztekammer läuft Sturm dagegen.
„Es häufen sich die Fälle, in denen offene Kassenstellen mehrfach ausgeschrieben werden müssen und sich oft kein einziger Bewerber dafür findet“, schildert Helmut Mödlhammer, Präsident des Gemeindebundes, die Situation. Dazu kommt, dass bis 2030 drei Viertel der AllgemeinmedizinerInnen das Pensionsalter erreicht haben werden. Auch heute schon müssen Landärzte oft ihre Pensionierung hinauszögern. „Feuer am Dach” sieht daher auch der zuständige Sektionschef im Gesundheitsministerium, Clemens Martin Auer.
Die Antwort kann nur in „neuen Versorgungs- und Kooperationsformen“ liegen, wie die Chefin des Hauptverbandes, Ulrike Rabmer-Koller meint. Ein Wort steht wie kein anderes für diese neuen Formen der medizinischen Versorgung: Primärversorgung. Was sperrig klingt, ist eigentlich ganz einfach: Mehrere ÄrztInnenn arbeiten gemeinsam und vernetzt in einer Gruppenpraxis. Unterstützt werden sie dabei von anderen Gesundheitsberufen wie KrankenpflegerInnen, PsychologInnen oder PhysiotherapeutInnen. „Primär“ ist die Versorgung, weil sie die erste und vertrauteste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen sein soll.
Was heißt das für die PatientInnen?
Für die PatientInnen bedeutet das erweiterte Hausarzt-Praxen, die von Montag bis Freitag den ganzen Tag offen sind.
„Primärversorgung ist der Weg, den man aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht gehen soll, weil wir aus Studien wissen, dass die Menschen dadurch gesünder sind. Die Behandlung richtet sich viel differenzierter nach den Bedürfnissen der Patienten“, sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien.
So können moderne Krankheitsbilder wie Diabetes in Gruppen-Praxen besser behandelt werden als in Einzelordinationen. Denn dort können auch Diätologen oder Wundmanager ihre Erfahrung einbringen und die medizinische Behandlung unterstützen.
Für ÄrztInnen bringt die Primärversorgung im Team bessere Arbeitszeiten, einfachere Urlaubsplanung und die Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit. Rund 60 Prozent der österreichischen Gemeinden sehen in diesen erweiterten Hausarzt-Praxen eine sinnvolle Möglichkeit, um den drohenden Ärztemangel zu verhindern. Denn ein Faktor für die Lücken bei der Nachbesetzung von klassischen Landarzt-Praxen sind die veränderten Bedürfnisse junger ÄrztInnen. Wochenarbeitszeiten jenseits der 60 Stunden, Erreichbarkeit rund um die Uhr – all das sind keine attraktiven Arbeitsbedingungen.
Warum ist die Ärztekammer dagegen?
Die Ärztekammer mobilisiert dieser Tage einmal mehr gegen eine geplante Gesundheitsreform. Dass es dabei mehr um machttaktische Interessen der Standesvertretung als um die Bedürfnisse von jungen Ärztinnen und PatientInnen geht, zeigt ein Blick zurück: So lief die Ärztekammer sowohl gegen die E-Card als auch gegen den Ausbau von „E-Health“, insbesondere der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA), Sturm. Beides Schritte, die den Arztbesuch erleichtern und die Behandlungsqualität verbessern.
„Es gab in den letzten Jahren keinen Versuch einer Gesundheitsreform, gegen den die Ärztekammer nicht Feuer geschrien hätte“, kritisiert auch Patientenanwalt Gerald Bachinger.
Die Angstmache der Ärztekammer bezeichnet er als „standespolitischen Unfug“. Dennoch hält die Ärztekammer an ihrer Ablehnung fest und organisiert für Mittwoch einen Streik. Das Schreckensbild ist die angebliche Schwächung des Hausarztes, der durch anonyme Zentren ersetzt werden soll. Dass die Arbeit in vernetzten Praxen gerade bei jungen ÄrztInnen sehr beliebt ist und sogar eine Aufwertung des Berufs bedeutet, übersieht die Ärztekammer dabei.
Ärztekammer ringt um Macht
Tatsächlich geht es der Ärztekammer auch um etwas Anderes: Mit dem Finanzausgleich haben sich Bund, Länder und Gemeinden geeinigt, in den kommenden fünf Jahren 200 Millionen Euro in den Ausbau der Primärversorgung zu investieren. Gemeinsam mit der Sozialversicherung planen Bund und Länder, welche Ärzte und Gesundheitsberufe konkret in einer Region gebraucht werden und wie diese am besten zusammenarbeiten können.
Die Ärztekammer befürchtet, durch diesen Strukturplan an Macht zu verlieren. Dabei ist die Ärztekammer sehr wohl an der Planung beteiligt: Bereits vor Beginn eines Projekts kann sie ihre Stellungnahme abgeben und diese wird sicher auch berücksichtigt. Doch das reicht den FunktionärInnen nicht.
Auch die angebliche Gefährdung des Hausarztes ist aus der Luft gegriffen: in den ärztlichen Stellenplan wird nicht eingegriffen. Die neuen Modelle der Primärversorgung sollen zwar verstärkt gefördert werden, bestehende Verträge der Hausärzte werden aber nicht angegriffen. „Menschen zu erklären, dass wir ihnen den Hausarzt wegnehmen wollen, ist schlichtweg eine Lüge“, kritisiert Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser das Vorgehen der Ärztekammer.
Dazu beklagen die Kammerfunktionäre Kürzungen im Gesundheitsbudget. Gemeint ist eine Deckelung beim Wachstum der Gesundheitsausgaben bei 3,2 Prozent. Tatsächlich bedeutet das eine Steigerung der Gesundheitsausgaben von 25,6 Milliarden heuer auf 30,2 Milliarden Euro im Jahr 2021. Das ist ein Plus von 4,7 Milliarden Euro. Bleibt zu hoffen, dass die Ärztekammer von Medizin mehr versteht als von Mathematik.