Seit 2009 in der österreichischen Verfassung und trotzdem unbekannt: Gender Budgeting. Das heißt soviel wie “geschlechtergerechte Budgetpolitik”. Es ist das wirtschaftliche Mittel zur Gleichberechtigung der Geschlechter – öffentliche Gelder sollen mit dem Gender Budgeting fair verteilt werden. Dazu gehört: Der Ausbau von Kinderbetreuung, Investitionen in Männergesundheit und vieles mehr. Aber was genau soll das eigentlich bedeuten und wie funktioniert das?
Öffentliche Gelder fair verteilen: Das ist Gender Budgeting
Geschlechtergerechte Budgetpolitik
Gender Budgeting kann übersetzt werden mit „geschlechtergerechte Budgetpolitik“. Es ist der finanzielle Teil der Gender Mainstreaming Strategie. Beim Gender Mainstreaming geht es darum, dass Politiker:innen bei ihren Entscheidungen die Frage einbeziehen sollen, ob Menschen eines bestimmten Geschlechts mehr oder weniger von der politischen Maßnahme profitieren. Gender Budgeting bezieht sich auf die Finanzen: Hier schauen Politiker:innen auf die gerechte Verteilung von öffentlichen Geldern. Also hängt das Gender Mainstreaming mehr mit der Gesetzgebung zusammen und Gender Budgeting mit der Verwaltung von Geld.
Gender Budgeting ist also kein eigenes Budget für Frauenpolitik. Wie das Gender Mainstreaming ist es eine Strategie. Politiker:innen sollen mit der Strategie des Gender Budgeting darauf achten, dass sie öffentliche Gelder so verteilen, dass dadurch weder Frauen noch Männer benachteiligt werden.
Die Schlüsselfrage ist: Welche Auswirkungen haben budgetpolitische Maßnahmen auf die Gleichstellung der Geschlechter? Reduzieren sie Geschlechterungleichheiten, vergrößern sie sie oder lassen sie sie unverändert?
Wie beim Gender Mainstreaming ist auch beim Gender Budgeting wichtig, dass Politiker:innen die unterschiedlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse von Frauen und Männern kennen. Dazu gibt es Studien, die diese Unterschiede feststellen. Vor politischen Entscheidungen können die Entscheidungsträger:innen diese Studien dann heranziehen. Sie geben Antwort auf die Frage danach, ob die politische Maßnahme besonders Männern oder Frauen etwas nützt oder ob eins der Geschlechter dadurch sogar benachteiligt wird.
Weil es beim Gender Budgeting ums Geld geht, wird auch geschaut, dass unser Geld insgesamt gerecht verteilt ist. Wie viele Projekte und Maßnahmen, für die die Politik Geld ausgibt, kommen eher Männern zugute und wie viele eher Frauen? Wie sieht die Verteilung von öffentlichen Aufträgen aus – bekommen hier eher Männer und Firmen von Männern Geld oder ist es ausgeglichen? Ausgehend von diesen Fragen achtet die Politik also darauf, dass das öffentliche Geld fair verteilt ist. Weder Frauen noch Männer sollten mehr profitieren.
Geschlechterungerechtigkeit ist ein strukturelles Problem
Der Hintergrund beim Gender Budgeting ist wie auch schon beim Gender Mainstreaming die Annahme, dass Geschlechterungerechtigkeit ein strukturelles Problem ist: Das bedeutet, dass sich die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen überall finden lässt – in der Erziehung, in der Arbeitswelt, im Gesundheitsbereich, im Privatleben. Das liegt daran, dass die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen mit unseren Wertevorstellungen und Geschlechterbildern zusammenhängt – also etwas, das uns immer im gesellschaftlichen Leben begleitet.
Deswegen ist das Gender Budgeting eine Strategie, bei der es um alle politische Bereiche geht. Mit dem Gender Budgeting können Politik und Verwaltung unser öffentliches Geld gerecht verteilen, egal in welchem politischen Ressort. Dazu gehört zum Beispiel die Gesundheitspolitik, das Pensionssystem und die Kinderbetreuung. Wenn in allen diesen Bereichen Geschlechterungleichheiten bekämpft werden, dann kann das insgesamt Diskriminierung und Gewalt verhindern.
Beispiele: Welche Maßnahmen wurden schon umgesetzt?
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein geschlechterspezifisches Problem. Laut einer Erhebung von Statistik Austria wenden Frauen durchschnittlich knapp 4 Stunden täglich für unbezahlte Arbeit auf, während es bei Männern 2 Stunden 30 sind. Das liegt ganz besonders an der Kinderbetreuung. Selbst, wenn beide Eltern gleichviel arbeiten, kümmert sich die Frau im Durchschnitt mehr um die Kinder – 63,8% der Kinderbetreuung erledigt die Frau, 36,2% der Mann.
Hier kann das Gender Budgeting helfen: 2008 hat die SPÖ-ÖVP Regierung festgelegt, dass mehr Geld in den Ausbau von Kinderbetreuung investiert werden soll. Dazu gehört auch, dass das letzte Kindergartenjahr für alle Kinder kostenlos ist. Dadurch soll es einfacher werden Beruf und Kinderbetreuung zu vereinbaren – ganz besonders für Frauen, weil sie so häufig den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen.
Dadurch haben Frauen mehr Zeit, arbeiten zu gehen. Davon profitieren auf lange Sicht alle: Wenn Frauen mehr bezahlte und weniger unbezahlte Arbeit machen, können sie mehr Geld in die Steuerkassen einzahlen und sie sind im Alter besser abgesichert.
Gesundheitsförderung von Männern
Ein Bereich, in dem Männer durch die bestehenden Geschlechterrollen benachteiligt sind, ist die Gesundheit: Männer haben eine geringere Lebenserwartung als Frauen, sie haben ein höheres Risiko für Unfälle und Suchterkrankungen. Auch scheinen sie im Geschlechtervergleich weniger über ihre Gesundheit zu wissen als Frauen. Ein ganz großes Problem ist, dass Männer weniger oft zum Arzt gehen. Sie lassen weniger oft Vorsorgeuntersuchungen durchführen und klären Beschwerden in vielen Fällen zu spät ab. Das führt dazu, dass schwere Krankheiten wie zum Beispiel Krebs oft zu spät erkannt werden.
Ursache ist die Männerrolle, die für viele Männer auch heute noch wichtig ist. Männer gelten als stark, hart und risikobereit. Deswegen zeigen sie seltener ihre Schwächen und suchen sich seltener Hilfe. Genau das wirkt sich auf den Umgang mit der Gesundheit negativ aus. Besonders betroffen sind Männer aus niedrigen Einkommensschichten und Männer mit einem Migrationshintergrund.
Auch hier kann Gender Budgeting helfen: Zum Beispiel finanziert die Stadt Wien seit 2002 das Gesundheitszentrum MEN – ein Zentrum, das die Gesundheit von Männern und Burschen mit verschiedenen Beratungsangeboten und Kursen fördert. Ziel ist, dass Männer besser über ihre Gesundheit Bescheid wissen und zu Vorsorgeuntersuchungen gehen.
Gender Budgeting ist also nicht nur für Frauen gedacht. Stattdessen geht es darum, dass alle Menschen im Hinblick auf geschlechterspezifische Bedürfnisse von der Verteilung öffentlicher Gelder profitieren. Dadurch wird es immer weniger Vorurteile, strikte Geschlechterrollen und Ungleichheiten geben. Davon haben alle einen Vorteil: Wenn Männer häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, baut das nicht nur Geschlechterstereotype ab, die für die Gesundheit von Männern gefährlich sind. Auf lange Sicht entlastet das auch unser Gesundheitssystem.
Gender Budgeting: Die Geschichte
International: UN & EU
Als die UN 1995 auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking das Gender Mainstreaming als allgemeine Strategie für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einführt, wird auch das Gender Budgeting angesprochen. Die geschlechtergerechte Verteilung von öffentlichen Geldern wird als eine wichtige Strategie im Kampf gegen Geschlechterungleichheit anerkannt. Die UN hat damit das Gender Budgeting als einen wichtigen Teil von Gender Mainstreaming bezeichnet, aber nur das Gender Mainstreaming eingeführt.
Auch wenn die EU schon 1999 das Gender Mainstreaming als Strategie für Gleichberechtigung eingeführt hat, tut sich Brüssel mit dem geschlechtergerechten Budget schwer. Erst im Oktober 2023 haben sich die Kommission für die Budgetplanung der EU und die Kommission für die Gleichstellung der Geschlechter zusammengesetzt, um einen Plan für eine geschlechtergerechte Budgetplanung zu entwickeln.
Österreich als globaler Vorreiter
Österreich ist globaler Vorreiter, was das Gender Budgeting angeht. Die Bundesregierung richtete 2000 die Arbeitsgruppe IMAG GM ein. Das steht für “Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming”. Die Arbeitsgruppe macht seitdem Vorschläge, wie das Gender Mainstreaming in allen Ministerien umgesetzt werden kann. 2004 erweitert die Bundesregierung die Arbeitsgruppe um das Gender Budgeting: sie macht aus der IMAG GM die IMAG GMB: die “Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming/Budgeting. Die Arbeitsgruppe kümmert sich seitdem auch um Vorschläge für eine geschlechtergerechte Budgetplanung. 2004 schreibt die Bundesregierung das Gender Budgeting auch für alle budgetpolitischen Maßnahmen fest.
Dann folgt die Verankerung von Gender Budgeting im Bundesverfassungsgesetz. Seit dem 1.9.2009 müssen Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Budgetplanung die Gleichberechtigung von Männern und Frauen anstreben. Das bedeutet, dass die Politik öffentliche Gelder seitdem laut Verfassung geschlechtergerecht verteilen muss. Österreich ist damit das erste Land weltweit, das Gender Budgeting in die Verfassung aufgenommen hat.
Gender Budgeting: Funktioniert das wirklich?
Auch wenn die Bundesregierung das Gender Budgeting schon 2009 in die österreichische Verfassung aufgenommen hat – das bedeutet nicht, dass Frauen und Männer heute gleichgestellt sind. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, sind häufiger von sexueller Gewalt betroffen und arbeiten seltener in höheren Positionen.
Tatsächlich werden die Gleichstellungsziele der Budgetplanung oftmals nicht erreicht. Das bedeutet, dass die Bundesregierung es oftmals nicht schafft Gelder so fair und geschlechtergerecht zu verteilen, wie sie es sich vornimmt: 2021 wurden zum Beispiel 9% der Gender Budgeting Ziele gar nicht erreicht, 38% nur teilweise.
Grund dafür ist, dass nicht alle Parteien das Gender Budgeting befürworten: Die FPÖ lehnt das Gender Budgeting sogar offen ab. Sie ist gegen kostenlose Kinderbetreuung und sieht Frauen als Mütter und Hausfrauen.
Klar ist also, dass es nicht ausreicht, wenn Gender Budgeting nur in der Verfassung festgelegt ist. Bund, Länder und Gemeinden müssen Geschlechtergerechtigkeit mit politische Maßnahmen fördern. Es braucht also Parteien in der Regierung, die für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einstehen.