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Der Fall Assange: Enthüllung, jahrelange Isolationshaft, Freilassung

(C) Snapperjack

Julian Assange ist der Gründer von Wikileaks und hat NATO-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt. Jahrelang wurde er deshalb unschuldig verfolgt. Dann hat der britische Innenminister der Auslieferung von Assange an die USA zugestimmt – es drohten ihm dort 175 Jahre Haft. Im Mai 2024 gab es dann eine überraschende Wende und schließlich wurde er nach jahrelangen Kämpfen im Juni 2024 freigelassen. Ein Überblick zum Fall Assange, der weltweit Millionen von Menschen erschüttert hat. 

Die Enthüllungs-Plattform WikiLeaks veröffentlichte am 25. Juli 2010 tausende Dokumente zum Afghanistan- und Irak-Krieg. Diese zeigten zahllose Kriegsverbrechen der USA, begangen von US-Soldaten – mit dem Wissen oder sogar im Auftrag ihrer Regierung. Quelle war die Soldatin Chelsea Manning, die das Material von Militärcomputern herunterlud und WikiLeaks zuspielte.

Darunter war das Video „Collateral Murder“. Es zeigte einen Einsatz der US-Armee im Irak. Zu sehen waren US-Soldaten, die mehrere Menschen töten und ihre Opfer verhöhnen. Später stellte sich heraus, dass bei dem Angriff mehrere Zivilisten gestorben sind, darunter zwei Reuters-Journalisten. Gegen keinen der Soldaten im Video wurde ein Strafverfahren eröffnet. Aber auf den Veröffentlicher des Videos begann die Jagd.

Nur kurze Zeit später wurde Assange beschuldigt, in Schweden zwei Frauen vergewaltigt zu haben. Er stritt die Vorwürfe vehement ab. Als ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde, flüchtete er in die ecuadorianische Botschaft in London. Daraufhin saß er in brutaler, jahrelanger Isolationshaft.

Mittlerweile stellte sich aber heraus, dass Julian Assange unschuldig sein dürfte und die Vorwürfe Teil eines Komplotts waren, um ihn mundtot zu machen. Das ist das Ergebnis des UNO-Sonderbeauftragten Nils Melzer, der sich dem Fall angenommen hat. Die USA wolle an Assange ein Exempel statuieren, um weitere Aufdeckungen zu verhindern.

Wir haben die wichtigsten Punkte dieses internationalen Justiz-Skandals zusammengefasst.

Wer ist Julian Assange?

Julian Assange ist ein australischer Programmierer und Journalist, sowie Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Auf WikiLeaks kann man geheime Dokumente anonym veröffentlichen, die von grundsätzlichem öffentlichen Interesse sind. Assange begann, über WikiLeaks Dokumente über Skandale und Verbrechen von internationalen Konzernen, religiösen Sekten oder Regierungen zu veröffentlichen. Das Ziel war es, diese Institutionen durch radikale Transparenz zur Rechenschaft zu ziehen und die Bevölkerung über die Missstände zu informieren.

Woher kommt der Konflikt zwischen Julian Assange und den USA?

WikiLeaks veröffentlichte 2010 unzählige Dokumente über die Verbrechen der US-Armee im Irak und in Afghanistan. Zwar gab es bereits davor Veröffentlichungen zu Skandalen der US-Außenpolitik, doch nie in dem Ausmaß. Die Leaks beinhalteten interne Dokumente zu Kriegsverbrechen wie Folter, Ermordung von Zivilisten, Misshandlung von Kriegsgefangen und Kinderprostitution, welche von US-amerikanischen Soldaten mit dem Wissen oder sogar im Auftrag ihrer Regierung begangen wurden.

Viele geheime US-Militärdokumente und Videos zu den Militäreinsätzen übermittelte die US-Soldatin Chelsea Manning. Die Veröffentlichungen wurden zu einem internationalen Skandal, der die Glaubwürdigkeit des politischen Systems der USA infrage stellte, und den Krieg in Afghanistan und im Irak weiter in Verruf brachte.

Assange wurde sexueller Missbrauch vorgeworfen

Kurz nach der Veröffentlichung der Dokumente zum Afghanistan-Krieg erschien im «Expressen», einer schwedischen Boulevardzeitung, die Schlagzeile, dass Julian Assange der doppelten Vergewaltigung verdächtigt wird. Während eines Aufenthalts in Schweden soll Julian Assange zwei Frauen vergewaltigt haben. Die schwedische Staatsanwaltschaft begann gegen den WikiLeaks-Gründer zu ermitteln.

Assange stritt die Vorwürfe vehement ab und meldete sich mehrfach bei den schwedischen Behörden, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Die Behörden waren jedoch an Assanges Aussage nicht interessiert. Ein Haftbefehl war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erlassen worden und so bat er die schwedische Staatsanwaltschaft um die Erlaubnis, für eine Konferenz nach Berlin zu fliegen. Die Staatsanwaltschaft erteilte die Erlaubnis. An dem Tag der Reise erließ die schwedische Justiz jedoch einen Haftbefehl. Anstatt nach Schweden zurückzukehren, reiste Julian Assange nach London. Dort stellte die britischen Polizei Assange unter Hausarrest.

2012: Asyl in der Botschaft von Ecuador in London

Während seines Aufenthalts in London bekam der WikiLeaks-Gründer davon Wind, dass in den USA ein geheimes Strafverfahren gegen ihn eröffnet worden ist. Assange bot nun an, nach Schweden zurückzukehren, verlangte aber eine diplomatische Zusicherung, dass Schweden ihn nicht an die USA weiterausliefern würde. Schweden verweigerte diese Zusicherung.

Julian Assange Wikileaks Vergewaltigung

Tausende protestieren weltweit gegen die Verfolgung von Assange (C) Elekhh

Aus Angst vor einer Auslieferung in die USA flüchtete Julian Assange im Juni 2012 in die Botschaft von Ecuador in London, die ihm für über sechs Jahre Asyl gewährte. Als es jedoch zu einem Regierungswechsel in Ecuador kam, wurde Assange das Asyl entzogen – die britischen Behörden nahmen ihn darauf hin am 11. April 2019 fest. Ein britisches Gericht verurteilte Assange in einem unüblichen Schnellverfahren zu 50 Wochen Isolationshaft, weil er gegen seine Hausarrest-Auflagen verstoßen hatte, als er in die ecuadorianische Botschaft flüchtete. Der Gesundheitszustand des WikiLeaks-Gründers verschlechterte sich daraufhin massiv.

UNO-Sonderbeauftragter Nils Melzer deckt auf

Auf Bitte von Assanges Anwälten nahm sich er UNO-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, dem Fall an. Melzer hatte durch die Rolle als UNO-Sonderbeauftragter Zugang zu den Untersuchungsdokumenten des Falls, er hatte jedoch einen weiteren Vorteil: Melzer spricht fließend Schwedisch. Bereits kurz nach Beginn seiner Untersuchungen stieß er auf eine Unmenge an Ungereimtheiten in diesem Fall. So waren etwa die Strafen gegen Assange unüblich hoch, das Vorgehen der Justiz war verdächtig. Melzer fand sogar Hinweise darauf, dass Assange sogenannter weißer Folter ausgesetzt wurde, also Foltermethoden, die den Häftling brechen sollen, aber keine Spuren am Körper hinterlassen. Melzer konnte die Behörden auch kaum zur Kooperation bewegen. Den größten Missstand fand Melzer jedoch in den Vergewaltigungs-Anschuldigungen der beiden schwedischen Frauen. Sie waren manipuliert.

Was steckte hinter den Vorwürfen der Vergewaltigung?

In seiner Recherche stellte Melzer fest, dass die schwedische Justiz die Beschuldigung der Vergewaltigung manipuliert hatte. So hatte etwa eine der beiden vermeintlichen Vergewaltigungsopfer den Behörden gegenüber immer wieder betont, gänzlich einvernehmlichen Sex mit Assange gehabt zu haben. Die Polizei versuchte jedoch, die Aussage in eine andere Richtung zu drehen. Als die erste Frau das bemerkte, brach sie schockiert die Befragung ab und verließ das Wachzimmer.

Eigentlich suchte die Frau die Behörden auf, um sich zu erkundigen, ob es möglich wäre, Assange nachträglich zu einem Aids-Test zu verpflichten. Geraten wurde ihr das von einer anderen Frau, deren Rolle nicht ganz klar ist: Sie hat der ersten Frau vorgeschlagen, zur Polizei zu gehen und zwar auf eine Wachstube am anderen Ende der Stadt, wo eine Freundin von ihr Dienst hatte. Diese befreundete Polizistin war es dann auch, die ihre Aussagen in Richtung Vergewaltigung lenkte. Die Begleitung der ersten Frau und Freundin der Polizistin wird später selbst aussagen, von Assange vergewaltigt worden zu sein.

Dazu liegt Melzer ein Dokument vor: Eine E-Mail des Vorgesetzten der einvernehmenden Polizistin mit der Anweisung, das Vernehmungsprotokoll richtiggehend umzuschreiben.

Wenige Stunden später erschien in der schwedischen Boulevardpresse die Schlagzeile: „Julian Assange der zweifachen Vergewaltigung beschuldigt.“

UNO-Beauftragter Melzer: Assange sollte zum Schweigen gebracht werden

Für den UNO-Sonderbeauftragten Melzer ist klar, dass es bei der Strafverfolgung von Julian Assange wegen Vergewaltigung nie um Wahrheitsfindung im vermeintlichen Sexualdelikt ging. „Assange hat sich mehrfach bei den schwedischen Behörden gemeldet, weil er zu den Vorwürfen Stellung nehmen wollte. Die Behörden wiegelten ab“, berichtet Melzer. „Die schwedischen Behörden waren an der Aussage von Assange nie interessiert. Sie ließen ihn ganz gezielt ständig in der Schwebe.“

Denn es ging immer nur um eines: Den WikiLeaks-Gründer mundtot zu machen. Der Druck kam vor allem aus den USA, die an Assange ein Exempel statuieren wollten: Jeder soll wissen, dass die USA mit allen Mittel gegen Journalisten vorgehen, die geheime Dokumente verbreiten.

„Es ging Schweden nie darum, die Wahrheit heraus­zufinden und diesen Frauen zu helfen, sondern darum, Assange in eine Ecke zu drängen. Es handelt sich um den Missbrauch von Justiz­verfahren, um einen Menschen in eine Position zu bringen, in der er sich nicht wehren kann“, so Nils Melzer, UNO-Sonderbeauftragter für Folter.

Hier sei für Melzer ein neuer Tiefpunkt erreicht worden. Mehrere demokratische Regierungen beteiligten sich an der Hexenjagd gegen einen Journalisten, weil dieser Kriegsverbrechen der USA publik machte. Besonders bei einem Land wie Schweden scheint dies überraschend, da Schweden doch als europäischer Musterstaat gilt. Melzer wies jedoch darauf hin, dass Schweden seit Jahren eng mit US-amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeitete und schon mehrere Male Menschen ohne Verurteilung an die USA ausgeliefert hatte.

Für den UNO-Sonderbeauftragten Melzer haben die Vorwürfe der Vergewaltigung weitreichende Folgen.

„Der Fall ist ein Riesen­skandal und die Bankrott­erklärung der westlichen Rechts­staatlichkeit. Wenn Julian Assange verurteilt wird, dann ist das ein Todes­urteil für die Pressefreiheit“ sagt Melzer.

Stimmen aus der Politik werden für Assange laut

Bereits mehrere Politiker haben sich für eine sofortige Freilassung von Assange ausgesprochen, so etwa auch der deutsche Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Auch in Österreich mehrten sich die Stimmen für eine Freilassung von Assange, die  SPÖ forderte, dass sich die österreichische Regierung für die Freilassung von Assange und gegen eine Auslieferung an die USA stark macht.

Falls Assange tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, drohen ihm 175 Jahre Gefängnis.

Britisches Gericht erlaubt Auslieferung in die USA, internationale Kritik

Am 10. Dezember 2021 erlaubte schließlich ein britisches Gericht die Auslieferung Assanges an die USA. Damals war klar: Dagegen werden die Anwälte des Whistleblowers berufen. Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson erklärte dazu:

„Julians Leben ist wieder einmal ernsthaft bedroht und damit auch das Recht von Journalisten, Material zu veröffentlichen, das Regierungen und Unternehmen als unbequem empfinden. Hier geht es um das Recht einer freien Presse, zu veröffentlichen, ohne von einer tyrannischen Supermacht bedroht zu werden.“

Auch Amnesty International kritisierte das Urteil als „Zerrüttung der Justiz“. Nils Muiznieks, der AI-Europadirektor sagte, das Urteil stelle eine ernste Bedrohung für die Pressefreiheit sowohl in den USA als auch im Ausland dar. Der unabhängige Berichterstatter der UNO für Folter, Nils Melzer, kritisierte das Urteil ebenfalls heftig. „Das ist ein Armutszeugnis für die britische Justiz. Man kann über Assange denken, was man will, aber er ist nicht in einem Zustand, in dem man ihn ausliefern kann.“ Melzer sprach von einem „politisch motivierten Urteil“.

Am 20. April 2022 hat ein Londoner Gericht formal die Auslieferung von Assange erlaubt. Am 17. Juni stimmte schließlich der britische Innenminister Priti Patel der Auslieferung des Wikileaks-Gründers an die USA zu. Doch noch ist es für Assange nicht vorbei: „Dies ist ein dunkler Tag für die Pressefreiheit und für die britische Demokratie“, sagte Assanges Frau Stella. „Heute endet der Kampf nicht. Es ist nur der Beginn einer neuen juristischen Schlacht.“ Anfang Juli stellt Assange einen Antrag auf Berufung. Der Antrag auf Berufung wird von einem Richter des britischen Höchstgerichts zunächst abgelehnt.

Überraschende Wende: Assange darf gegen Auslieferung berufen und kommt frei

Im März 2024 gibt es eine unerwartete Wende: Der britische High Court entscheidet, dass Assange gegen seine Auslieferung berufen darf. Am 24. Juni wird ein Deal zwischen Assange und den US-Behörden bekannt: Er bekennt sich in einem Punkt schuldig. Die Haft dafür hat er bereits im Gefängnis abgesessen.

Der WikiLeaks-Gründer und Whistleblower wurde aus der Isolationshaft in Großbritannien entlassen. Berichten von WikiLeaks zufolge befindet er sich auf dem Weg zu einem Gericht auf den US-amerikanischen Marianneninseln im Pazifik. Ein Abkommen mit den US-Behörden soll ihm ermöglichen, danach ohne weitere strafrechtliche Verfolgung in seine Heimat Australien zurückzukehren.

Millionen Menschen weltweit haben jahrelang dafür gekämpft, dass Assange seine Freiheit zurückbekommt – mit Erfolg!

Dieser Artikel wurde am 17. Juni 2022 erstmals veröffentlicht und am 25. Juni 2024 aktualisiert. 

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Mathias
Mathias
27. Juni 2024 23:53

Das Erlaubte nennt man Journalismus, das Verbotene Spionage.
Aber verboten ist nicht das Verbrechen an sich, verboten ist das
Aufdecken verbrecherischer Regierungsaktivitäten.

Sandra
Sandra
22. Februar 2020 21:17

Von wegen freie Meinungsäußerung und Demokratie!? Ich hoffe jmd gibt ihm Asyl – der Arme!

Armin Guerino
Armin Guerino
19. Februar 2020 07:35

Österreich sollte Assange Asyl anbieten.

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