Was treibt Forscherinnen und Forscher an, Medizin zu entwickeln? Was motiviert Ingenieurinnen und Ingenieure, bestehende Techniken zu verbessern? Oft ist die Antwort einfach: Sie wollen Menschenleben retten. Drei Beispiele aus der Patentrecht-Geschichte zeigen, dass Ruhm und Profite manchmal ganz egal sind: die Polio-Impfung, die Insulin-Spritzen und der Auto-Sicherheitsgurt.
Als die Corona-Impfung entwickelt und zugelassen wurde, jubelte die ganze Welt. Doch nun verzögert sich die Lieferung der Impfdosen. Das liegt auch daran, dass die Pharma-Unternehmen die Vakzine patentieren ließen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es auch anders geht.
1955: Polio-Impfung
Jahrzehnte lang hatte Jonas Salk ein Ziel: Polio, die gefürchtete Kinderlähmung, sollte endlich der Vergangenheit angehören. Niemand sollte mehr an ihr erkranken oder sich vor ihr fürchten müssen. Polio wütete seit dem 19. Jahrhundert. In Österreich erkrankten allein zwischen 1946 und 1961 13.000 Kinder an ihr – 1.500 davon verstarben.
1955 gelang dem Immunologen Jonas Salk der Durchbruch. Sein Impfstoff dämmte Kinderlähmung weltweit ein, 1959 wurde sein Stoff schon in 90 Ländern verimpft. Das war möglich, weil der Wissenschafter sich seine Entdeckung nicht patentieren ließ. Albin Sabin entwickelte wenig später auch auf Basis der Vorarbeiten von Salk die Polio-Schluckimpfung. Sie wurde 1962 lizenziert und half ebenfalls, Kinderlähmung zu bekämpfen.
Der Wert des Impfstoffes wird auf 7 Milliarden US-Dollar geschätzt – hätte man ihn patentieren lassen. Eine Kinderlähmungs-Stiftung prüfte zwar, ob eine Patentierung möglich sei. Weil Salks Forschung jedoch auf den Ergebnissen anderer aufbaute, kam man davon wieder ab.
Salk, Sohn eines jüdischen Damenschneiders, wuchs in den USA in ärmlichen Verhältnissen auf. Reich wurde er mit seiner Entdeckung nie. Kurz nach Freigabe des Impfstoffes antwortete er in einem Interview auf die Frage, wem der Impfstoff gehöre:
“Naja, ich würde sagen, den Menschen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?”
1921: Die Extraktion von Insulin
Eigentlich war Frederick Banting Orthopäde. Doch den Kanadier faszinierte die Krankheit Diabetes. Er wollte verstehen, wie man den menschlichen Zuckerhaushalt regulieren konnte, und forschte mit seinem Assistenten, dem Studenten Charles Best, zunächst an Hunden. 1921 gelang es ihnen, das Hormon Insulin aus einer Hunde-Bauchspeicheldrüse zu extrahieren.
Da sie eine Hündin mit Insulin erfolgreich behandeln konnten, testeten Banting und Best ihre Entdeckung kurzerhand an sich selbst, um zu sehen, ob eine Insulin-Injektion am Menschen unbedenklich war. Mit Erfolg.
Banting wollte seinen Namen nicht für ein Insulin-Patent hergeben. Er fand es unethisch, mit einer Entdeckung, die Leben retten sollte, Profit zu machen.
Sein Assistent und ein Kollege verkauften das Insulin-Patent schließlich für 1 Dollar an die Universität von Toronto. 1923 erhielt Banting den Medizin-Nobelpreis – und teilte das Geld mit seinem Assistenten.
Das erste Insulin-Extrakt von Banting wurde im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Die Hersteller meldeten – anders als der Entdecker – für die Weiterentwicklungen immer neue Patente an.
Banting wäre wohl schockiert, wenn er wüsste, wie sich nach seinem Tod der Preiskampf um Insulin entwickelt hat – beispielsweise in den USA. Über 450 Dollar müssen Diabetiker in den Vereinigten Staaten monatlich für Insulin bezahlen. Jeder Vierte von ihnen kann sich den horrenden Preis nicht leisten und spritzt nicht, obwohl es nötig wäre.
Dass gerade in den USA die Preise für Insulin explodieren, hat mehrere Gründe. Einerseits gibt es nur wenige Pharma-Unternehmen, die Insulin herstellen – drei Unternehmen dominieren 90 Prozent des Insulin-Marktes. Diese Pharma-Riesen pflegen ein Patent-Dickicht um ihre Erzeugnisse, das es anderen erschwert, selbst Insulin zu erzeugen, ohne mit bereits geschütztem Eigentum in Berührung zu kommen. Andererseits verhandeln die USA – anders als andere Länder – keine Preisobergrenzen mit den Unternehmen, sondern lassen den Markt offen und ungeregelt.
1958: Die Erfindung des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes
Ohne Sicherheitsgurt Autofahren? Noch in den 50er Jahren ist das weit verbreitet. Nur in wenigen Automodellen sind Gurte angebracht – und jene, die es gibt, schützen unzureichend. Beckengurte lassen Kopf und Oberkörper gegen Lenkräder prallen, Diagonal-Gurte verursachen innere Verletzungen.
Der schwedische Flug-Ingenieur Nils Bohlin entwickelt 1958 eine neue Form des Gurtes: den Dreipunkt-Gurt, wie wir ihn heute kennen. Sein Arbeitgeber Volvo ist begeistert, meldet ein Patent an und gibt dieses schließlich frei, damit auch andere Auto-Hersteller diesen Gurt in ihren Fahrzeugen anbringen können.
Unfallforscher schätzen, dass alle 7 Sekunden ein Menschenleben durch diesen Gurt gerettet wird.