Karl Nehammer wurde vom Bundespräsidenten als Kanzler angelobt. Damit ist er der dritte ÖVP-Kanzler, den Van der Bellen in nur zwei Monaten vereidigt. Das hinterlässt Spuren: 75 Prozent misstrauen der Regierung. Doch die Schwarzen, Türkisen und Grünen kleben weiter auf ihren Regierungssesseln und schließen Neuwahlen vehement aus.
Buhrufe begleiten den neuen Bundeskanzler Karl Nehammer, als er am Ballhausplatz mit seinen neuen Regierungsmitgliedern zur Angelobung in der Hofburg geht. Gegner der Corona-Maßnahmen rufen “Regierung muss weg”, TürschützerInnen meinen “Elli, es ist vorbei” und VertreterInnen der Initiative “Saubere Hände” demonstrieren für effektive Antikorruptionsgesetze. Es ist eine bunte Mischung an Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mit dieser Regierung einverstanden sind. Ähnlich verschieden sind wohl auch die Motive der 75 Prozent der ÖsterreicherInnen, die laut einer Unique Resarch-Umfrage kein Vertrauen mehr in die Handlungsfähigkeit der Regierung haben.
Drei ÖVP-Kanzler in zwei Monaten
Drei Bundeskanzler hatte Österreich in den letzten zwei Monaten, zwei Mal musste die Bevölkerung über sich ergehen lassen, wie die ÖVP den Kanzler tauscht, um trotz Korruptionsermittlungen weiterregieren zu können. Das Demokratieverständnis der ÖVP ist dieser Tage vor allem in Zusammenhang mit dem neuen Innenminister Gerhard Karner diskutiert worden. Er ist Bürgermeister in der niederösterreichischen Gemeinde Texingtal, wo das Museum für (nicht über) den Austrofaschisten Engelbert Dollfuß steht. Doch das Demokratieverständnis der ÖVP ist nicht nur in Bezug auf die österreichische Zeitgeschichte interessant. Wer selbst nach dem gescheiterten Versuch eines Neustarts nach Kurz nicht zur Seite tritt und sagt: “Ok, wir sehen es ein, so kann es nicht weitergehen”, der hat ein demokratiepolitisches Problem.
Jetzt wird uns Karl Nehammer als dritter ÖVP-Kanzler seit der Wahl vor zwei Jahren vorgesetzt – aktuell liegt sein Vertrauenswert in der österreichischen Bevölkerung bei Minus 21 (letzte Befragung aus dem November). Als die ÖVP 2017 unter Sebastian Kurz die rot-schwarze Koalition von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) beendete und Neuwahlen ausrief, lautete das Argument: Bundeskanzler Kern sei nicht gewählt worden und daher demokratisch nicht ausreichend legitimiert. Trotz hoher Zustimmungswerte für Kern als Kanzler bestand die ÖVP darauf, dass eine Wahl und nicht eine Partei entscheiden müsse, wer Bundeskanzler ist. “Die Letzten, die in Österreich wirklich gewählt wurden, das waren Werner Faymann und Michael Spindelegger. Danach gab es in unserem Österreich nur noch Parteientscheidungen, aber keine Wahlentscheidungen mehr”, hieß es in der Neuwahlrede von Sebastian Kurz.
Opposition fordert geschlossen Neuwahlen
Wenn es aber um den Kanzlersessel der ÖVP geht, scheint das nicht mehr zu gelten. Ein Kanzler mit negativen Vertrauenswerten, eine Regierung, der nur mehr ein Viertel der Menschen im Land Handlungsfähigkeit zutrauen – die Opposition fordert geschlossen Neuwahlen. „Unter normalen Umständen wäre es üblich, dass die Regierung beiseitetritt und Neuwahlen möglich macht“, sagt der stv. SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried. Neos-Chefin Meinl-Reisinger betont, dass Nehammer nicht gewählt wurde und Kickl fordert die Grünen auf, den Weg für Neuwahlen freizumachen. Davon will Vizekanzler Werner Kogler nichts wissen. Er schließt Neuwahlen bis jetzt aus.