Gerhard Karner ist alles andere als eine Idealbesetzung als Innenminister. Dass jemand die Leitung der Polizei übernimmt, der in seiner Heimatgemeinde als Bürgermeister ein Museum für den austrofaschistischen Diktator Engelbert Dollfuß betreibt, sorgt für Aufregung. Zumindest Niederösterreichs ÖVP-Chefin Johanna Mikl-Leitner dürfte zufrieden sein: Endlich wieder ein Niederösterreicher in dem so wichtigen Ministerium. Obendrein auch noch einer, der schon in der Vergangenheit mit massiven Postenschacher aufgefallen ist.
Die niederösterreichische ÖVP bekommt mit Gerhard Karner einen wichtigen Ministerposten. Karner war zwölf Jahre lang Generalsekretär der NÖ-Landesorganisation (von 2003 bis 2015) und sitzt seit 2003 im niederösterreichischen Landtag. Jetzt wird er, der frühere Innenminister-Sprecher, selbst Innenminister.
Bundesweit ist Karner in den letzten Jahren nicht groß aufgefallen. Das ändert sich jetzt. Das Interesse am neuen ÖVP-Minister hat zu Recherchen angeregt. Sie haben zutage befördert, wie Karner in alte ÖVP-Affären verwickelt war, welchen ruppigen und Diskurs-schädigenden Ton er in der Politik anschlägt – und was sich Skurriles in der Gemeinde abspielt, in der er Bürgermeister ist. Ein kurzer Einblick.
Karner und die “Chat-Affäre” von Ernst Strasser
Von 2000 bis 2003 war Gerhard Karner während der ersten schwarz-blauen Koalition unter Wolfgang Schüssel der Pressesprecher von Innenminister Ernst Strasser. Letzterer wurde wegen Bestechlichkeit – während seiner Tätigkeit als EU-Parlamentarier – 2014 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Doch Strassers ging auch während seiner Zeit als Innenminister nicht gerade zimperlich mit seiner Macht um. Er machte sich daran, das Innenministerium zu einer ÖVP-Bastion zu machen. Er sammelte eine Gruppe von damals noch jungen Männern um sich, die dieses Vorhaben umsetzen sollten. Sie nannten sich “die jungen Löwen”. Ihre Pläne sollten später durch die Veröffentlichung von E-Mails aus dem Ministerium bekannt werden. Einer dieser “Löwen”: Gerhard Karner. Funktionen von kleinen Gendarmerie-Gruppenleitern bis hin zu wichtigen Posten im Geheimdienst wurden nach einem Kriterium vergeben: dem ÖVP-Parteibuch. Als einmal ein SPÖ-Parteigänger etwas werden sollte, wies Strasser in einem Mitarbeiter mit dem Satz, “Bist du etwa farbenblind?”, zurecht. In anderen Mails wird Karners Name explizit erwähnt, als es um Personalfragen geht: Ein Freund von ihm soll befördert werden.
Bürgermeister einer Gemeinde mit Dollfuß-Kult-“Museum”
Karner ist Bürgermeister von Texingtal im niederösterreichischen Bezirk Melk. Dort gibt es ein “Engelbert Dollfuß-Museum”, das eher an eine Gedenkstätte als an einen Ort der kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit erinnert. Dollfuß, der das Parlament ausschaltete, eine Diktatur in Österreich installierte und 1934 das Bundesheer auf Arbeiter-Wohnheime schießen ließ, wurde in konservativen Kreisen – und innerhalb der ÖVP – auch nach 1945 verehrt. Bis 2017 hing sogar in den offiziellen Parlamentsklub-Räumlichkeiten ein großes Porträt des Diktators. Klubobmänner wie Karlheinz Kopf oder Andreas Khol verteidigten wiederholt den Dollfuß-Wandschmuck. Nach jahrelanger Kritik übergab der Klub das Bild 2017 dem Haus der Geschichte in Niederösterreich. Dort war es bis 2019 Teil einer Sonderausstellung, bevor es dem Depot der Landessammlungen Niederösterreich übergeben wurde.
Doch in Texingtal, der Gemeinde des neuen Innenministers, hat man offenbar keine Lust auf Distanz zu Dollfuß. Denn dort befindet sich das einzige Museum. Es ist allerdings kein allgemeines oder gar kritisches Austrofaschismus, sondern widmet sich vielmehr dem “Erneuerer Österreichs“, wie es auf einer Marmortafel vor dem Haus heißt. Eröffnet wurde das Museum 1998 von Erwin Pröll (ÖVP), gestaltet von einem Pensionisten. Finanziert wurde die Errichtung des Museums im Geburtshaus Dollfuß’ von der Gemeinde, dem Land, dem ÖVP-Bauernbund und Ministeriumsgeldern. Die Kosten für die Gemeinde lagen laut der Zeithistorikerin Lucile Dreidemy bei über 87.000 Euro. Das Unterrichtsministerium (damals in den Händen von Elisabeth Gehrer, ÖVP) beteiligte sich mit über 14.500 Euro an der Museumsgründung.
Dreidemy beschrieb in der “Zeit”, welcher Geist im Inneren des Museums vorherrscht:
“Die drei niederen Räume sind gefüllt mit einem kunterbunten Sammelsurium an Devotionalien, Erinnerungsplakaten, Dollfuß-Straßenschildern, Gedenkbüchern und Fotodokumenten, auf denen neben der ärmlichen Herkunft des “Heldenkanzlers” vor allem das teils operettenhafte Pathos seines Regimes verewigt ist. Das Faksimile eines Zeitungsberichts aus dem Jahr 1933 lobt die “Erfolge der einjährigen Kanzlerschaft”: “Konzentrationslager für alle Vaterlandsverräter”.
Dreidemy kritisiert den regelrechten Kult, der dort um den Austrofaschisten betrieben wird – sogar Erde aus dem Dollfuß-Grab in Wien wird dort ausgestellt. Im Gästebuch verewigen sich Dollfuß-Fans, die dem “großen Märtyrer” für dessen Werk danken und sich wieder einen “starken Führer” wünschen, um gegen MigrantInnen vorzugehen.
Zur Kritik am Museum, für das die Gemeinde Texingtal – und damit Gerhard Karner als Bürgermeister – die Verantwortung trägt, äußert sich der neue Innenminister nicht. Zumindest nicht selbst. Ein Sprecher lässt ausrichten, dass man das Museum 2022 überarbeiten würde.
Zwei ehemalige Gedenkdienst-Leistenden geben sich damit nicht zufrieden. Sie sammeln jetzt Unterschriften gegen Gerhard Karner im Amt als Innenminister. „Ein Innenminister, der als Bürgermeister von Texing ein Museum toleriert hat, in welchem Dollfuß verherrlicht und als großer Kanzler betitelt wird, ist in unseren Augen nicht tragbar. Gerade weil wir als ehemalige Gedenkdienst Leistende dafür gearbeitet haben, dass Österreich verantwortungsvoll mit der eigenen Geschichte umgeht, ist dies für uns ein Schlag ins Gesicht“, kritisieren Jonathan Dorner und Sebastian Kovats.
Andersdenkende für Karner “Bonzen”, “heimatfremd” und “landesfeindlich”
Der “Standard”-Journalist Fabian Schmid hat sich durch etwas weiter zurückliegende Presseaussendungen gewühlt. Konkret: Aus der Zeit, in der Karner Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich war.
Karner bezeichnete die SPÖ und Grünen als “heimatfremd”, weil diese im Landtagssitzungssaal kein Kreuz aufhängen wollten. Er unterstellte einem SPÖ-Politiker, Emails gefälscht zu haben, musste aber den Vorwurf widerrufen, weil er nachweislich falsch war.
Als es um die Standortdiskussion einer Elite-Universität ging, beschimpfte Karner den damaligen SPÖ-Parteichef als “landesfeindlich”, weil er anderer Meinung war als er. Für die konkrete Aussendung war damals übrigens Gerald Fleischmann zuständig – der spätere Pressesprecher und Medienchef von Sebastian Kurz.
Grünen unterstellte er, AsylwerberInnen “versteckt” und “für Kriminelle demonstriert” zu haben während er SPÖ-Politiker als “Bonzen” beleidigt.
Beschimpfungen, falsche Unterstellungen, nationalistisch: Würde man nicht wissen, welcher Partei Gerhard Karner angehört, könnte man glauben, er ist ein FPÖler.