Brasilien bekommt ein neues Ministerium für indigene Völker, hat nach der letzten Wahl so viele indigene Abgeordnete wie nie zuvor und bekommt mit der Ernennung von Sônia Guajajara die erste indigene Ministerin. Wer ist diese Frau und was wird sich für die indigene Bevölkerung nun ändern?
In Brasilien leben über 256 verschiedene indigene Völker. Doch ihre Interessen und Anliegen wurden bisher kaum beachtet. Die Geschichte der indigenen Bevölkerung in Brasilien ist zu Teilen eine Geschichte der Vertreibung, Ausbeutung und Ausgrenzung. Gerade unter dem rechtsextreme Ex-Präsident Jair Bolsonaro nahm der illegale Land- und Rohstoffraub wieder zu. Mit seiner desaströsen Umweltpolitik zerstörte er nicht nur den Lebensraum, sondern auch die Lebensgrundlage vieler indigener Völker.
Mit dem Amtsantritt des neuen linksgerichteten Präsidenten Lula da Silva scheint sich etwas zu ändern: Denn mit fünf Abgeordneten ziehen so viele indigene Politiker:innen wie nie zuvor in Brasiliens Nationalkongress ein.
Zusätzlich kümmert sich ein neu geschaffenes Ministerium um die Anliegen und Interessen der indigenen Bevölkerung. Das Ministerium für indigene Völker wird von der Aktivistin Sônja Guajajara geleitet. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Landes: Denn sie ist Brasiliens erste indigene Ministerin.
Sônia Guajajara: Brasiliens erste indigene Ministerin
Das US-amerikanische Magazin „TIME“ zählt Sônia Guajajara zu den 100 einflussreichsten Personen des Jahres 2022. Die 48-Jährige ist eine der bekanntesten Aktivist:innen Brasiliens. Sie kämpft für die Rechte der indigenen Bevölkerung, für den Erhalt ihrer Kulturen und gegen die Umweltzerstörung sowie gegen den Land- und Rohstoffraub.
Sie trat mit Greta Thunberg und Javier Bardem bei der UN-Klimakonferenz 2019 auf und wurde von Alicia Keys auf die Bühne des Rock in Rio (2017) gebeten, um ihre Forderungen zum Schutz des Amazonas zu bekräftigen.
Sônia Bone de Souza Silva Santos, die den Namen ihres Volkes Guajajara trägt, wurde 1979 in Arariboia, einem Reservat im Bundesstaat Maranhão geboren. Mit zehn Jahren verließ sie ihr Dorf, um zur Schule gehen zu können. Nach dem Besuch einer weiterführenden Schule machte sie einen Abschluss in Literatur und absolvierte ein Postgraduate-Studium im Bereich Sonderpädagogik.
Im März 2022 gehörte sie zu den 151 internationalen Feministinnen, die das Manifest Feminist Resistance Against War: A Manifesto als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine unterzeichneten.
Bei den vergangenen Wahlen 2022 wurde Guajajara im Bundesstaat São Paulo in den Nationalkongress gewählt. Sie ist jetzt eine von fünf indigenen Abgeordneten im Kongress.
Anfang Jänner machte Präsident Lula da Silva sie zur Ministerin für das neue Ministerium für indigenen Völker. Sie ist eine von 37 Minister:innen der neuen Regierung – von denen nur 11 Frauen sind.
Forderungen der Indigenen: Schluss mit Bergbau in den eigenen Gebieten, mehr Beteiligung und einfachere Gebiets-Beanspruchung
Vor ihrer Vereidigung als Ministerin koordinierte sie die Kampagnen des Verbandes der Indigenen Brasiliens (APIB). Dieser Verband veröffentlichte zum Amtsantritt Da Silvas einen 10-Punkte-Plan mit Forderungen an die neue Regierung.
Gleich zu Beginn hat das neue Ministerium für indigene Völker die Chance, sich zu beweisen, indem sie auf die Forderungen des Verbands Indigener Brasiliens (APIB) eingehen. Der Verband fordert die sofortige Aufhebung von sieben normativen Rechtsakten der Vorgänger-Regierung. Darunter etwa jener Erlass, der den Bergbau auf den Gebieten der indigene Völker erlaubt.
Eine der wichtigsten Forderungen ist die Aufhebung der Verordnung „Marco Temporal“. Demnach dürfen indigene Völker ein Gebiet nur beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung 1988 dort gelebt haben. Doch ein solcher Beweis ist de facto unmöglich. Denn sollten die Indigenen bereits vertrieben worden sein, so müssen sie beweisen, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits einen Antrag auf die Wiederbesetzung des Landes vorgelegt haben.
Bis 1988 stand die indigene Bevölkerung jedoch unter der Vormundschaft der FUNAI. Somit besaß sie keinerlei rechtliche Möglichkeit, sich durch eine eigene Vertretung an die Justiz zu wenden. Die FUNAI (Fundação Nacional do Índio) sollte die Einhaltung der Rechte der indigenen Bevölkerungen sicherstellen. Seit 2019 untersteht sie dem Frauen-, Familien- und Menschenrechtsministerium.
Bolsonaro verhinderte die Rückgabe von Land – Lula will Trendwende
Der rechtsextreme Ex-Präsident Jair Bolsonaro blockierte und verzögerte mit dem Marco Temporal jegliche Versuche der indigenen Bevölkerung, ihren rechtmäßigen Lebensraum zu schützen oder zurückzugewinnen. Die Regierung von Lula da Silva erklärt die menschenverachtende Politik ihres Vorgängers als beendet und will sich künftig wieder für die Rechte aller Brasilianer:innen einsetzen. Dazu zählen auch die indigenen Völker.
Mehr als 1.000 Gebiete werden momentan von indigenen Völkern zurückgefordert. 731 Anträge befinden sich aktuell in Bearbeitung.
Nie zuvor sind so viele indigene Abgeordnete in den Nationalkongress eingezogen
Mario Juruna war 1983 der erste indigene Abgeordnete auf nationaler Ebene. Es dauerte weitere 35 Jahre, bis Joênia Wapichana als erste indigene Frau in den Kongress gewählt wurde.
Mit der letzten Wahl ziehen nun fünf Abgeordnete als Vertreter:innen der indigenen Völker in den Nationalkongress ein. Darunter Sônia Guajajara und die Menschenrechtsaktivistin Célia Xakriabá. Das sind wenige und dennoch so viele, wie nie zuvor.