Wer Missstände und Straftaten in seinem Unternehmen oder seiner Behörde bemerkt, sollte das nicht decken. Weil es aber immer mit Angst um den Arbeitsplatz verbunden ist, rechtswidriges Verhalten zu melden, schreibt die EU vor, Hinweisgeber:innen zu schützen: Niemand soll gekündigt oder mit Sanktionen vom Arbeitgeber bedroht werden dürfen, der über unlautere Vorgänge berichtet. Schließlich dient es dem Rechtsstaat, bei Steuerbetrug, Untreue und Lohndumping nicht wegzuschauen. Doch Österreichs Regierung legt ein Gesetz vor, das wesentliche Fälle von Whistleblowing und die Hälfte der Arbeitnehmer:innen nicht schützt.
Die Geschichte fängt nicht gut an: Eigentlich hätte das Gesetz zum Schutz von Whistleblower:innen bis zum 17. Dezember 2021 beschlossen werden müssen, das schreibt eine EU-Richtlinie vor. Über ein Jahr zu spät hat die Regierung das sogenannte Hinweisgeber:innenschutzgesetz ins Parlament gebracht. Am Mittwoch kommt es in den Sozialausschuss, danach soll es im Nationalrat beschlossen werden. Herausgekommen ist ein “halbherziges” Gesetz, das vielen nicht weit genug geht.
Entwurf vor allem mit der Wirtschaft abgestimmt
“Aufgrund intensiver Verhandlungen und der Klärung offener Punkte” habe sich das HinweisgeberInnengesetz verzögert”, erklärt Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher in einer Aussendung. Zunächst soll es – wie man hört – recht lange ein Gezerre in der Koalition darum gegeben haben, wer denn überhaupt zuständig sei: Die grüne Justizministerin Zadić oder der schwarze Arbeitsminister Kocher. Im Justizministerium wäre wohl ein schärferes Gesetz herausgekommen als im ÖVP-geführten Arbeitsministerium, das für die Umsetzung eng mit den Wirtschaftsvertretern zusammengearbeitet hat. Denen war wichtig, dass die EU-Vorgaben im österreichischen Gesetz auf keinen Fall übererfüllt werden.
Sogenanntes “Goldplating” lehnen die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer ab. An diese Wünsche hat sich der Arbeitsminister in seinem Entwurf auch gehalten, obwohl von der Arbeiterkammer über die Ärztekammer bis hin zu Transparency International viel mehr gefordert wurde. “Die Umsetzung beschränkt sich vorerst auf die von der Richtlinie zwingend vorgegebenen Inhalte”, heißt es in den Erläuterungen zum Gesetz aus dem Kocher-Ministerium. Nicht einmal das Mindeste werde eingehalten, kritisiert die Arbeiterkammer.
“Wenn sich ein Arbeitnehmer überlegt, Missstände zu melden und sich die neue Rechtslage erklären lässt, sagt er wahrscheinlich: Da lasse ich die Hände davon”, fürchtet der AK-Jurist Walter Gagawczuk.
Der Arbeitsrechtler aus der Arbeiterkammer warnt davor, dass die unsichere Rechtslage zukünftige Whistleblower abschrecken könnte und sogar die EU-Vorgaben unterläuft. Auch Transparency International klagt, dass “die Chance, Vertrauen bei HinweisgeberInnen aufzubauen und somit Rechtssicherheit herzustellen, vertan wird”.
Anders als Deutschland: Keine anonymen Hinweise
Das Gesetz schreibt gemäß den EU-Vorgaben vor, dass Unternehmen ab 50 Beschäftigten Meldestellen für Hinweisgeber einrichten müssen. Zusätzlich gibt es eine externe Meldestelle, die im Innenministerium angesiedelt ist, nämlich das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Auf Wunsch von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer sollen die Meldestellen aber keinen anonymen Meldungen nachgehen müssen. Anders als in Deutschland, wo die Meldestellen auch anonyme Hinweise verfolgen müssen.
Die Meldekanäle sind nur ein Teilaspekt der Neuregelung. Daneben sollen Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Vergeltungsmaßnahmen wie Kündigungen geschützt werden, denn viele von ihnen riskieren ihren Job. Doch dieser Schutz ist laut Arbeiterkammer “völlig unzureichend”. Auch die Strafe von 20.000 Euro bei Verstoß ist “lächerliche gering”, sagt Gagawczuk.
Geschützt werden nur Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmer:innen. In Österreich arbeitet ein Großteil der Beschäftigten aber in Klein- und Mittelbetrieben, beinahe 50 Prozent der Arbeitnehmer:innen und über 98% der Unternehmen würden also aus dem Whistleblowerschutz fallen.
Für AK-Jurist Gagawczuk ist das “europarechtswidrig”, denn gemäß der Richtlinie müssen alle Arbeitnehmer:innen geschützt werden.
Kein Schutz bei Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, Lohn- und Sozialdumping
Außerdem fallen viele Straftatbestände nicht unter den Gesetzesschutz. Arbeitsminister Kocher will nur Hinweise auf Verstöße gegen das EU-Recht schützen, dazu Korruptionsdelikte wie Bestechung und Anfütterung. Wer Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung oder Lohn- und Sozialdumping im Betrieb oder der Behörde meldet, bleibt ungeschützt. Das kritisiert auch Transparency International scharf: Einerseits gibt es zahlenmäßig viel mehr Betrugsdelikte als Verurteilungen wegen Korruption, andererseits steigt für Hinweisgeber:innen ohne juristische Bildung die Unsicherheit, in welchen Rechtsbereich ihre Beobachtung fällt. Das ist eher abschreckend.
“Ein Gesetz, das nicht allen Arbeitnehmern Sicherheit gibt, ist zu wenig. Dass gerade Meldungen zu Lohn- und Sozialdumping draußen sind, führt weiter zu unfairem Wettbewerb”, kritisiert der Vorsitzende des Sozialausschusses Josef Muchitsch.
Der deutsche Entwurf bringt den Arbeitnehmer:innen weit mehr Rechte
Prominente Fälle von Hinweisgebern, die etwa geholfen haben, den Wirecard-Skandal in Deutschland aufzudecken, wären im österreichischen Recht nicht geschützt. Auch Whistleblower aus der Commerzialbank Mattersburg im Burgenland hätten durch das Gesetz keinen Schutz erfahren, denn dabei ging es um Untreue, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung – mit einem Schaden von hunderten Millionen. Ebenfalls nicht unter den Schutz fallen Gefährdungsanzeigen aus Krankenhäusern oder das Aufdecken von Missständen im Pflegeheim. Die Ärztekammer wünscht sich außerdem, Meldungen zur Arbeitszeitüberschreitung aufzunehmen.
In Deutschland, wo das Gesetz im Dezember beschlossen wurde, sind sowohl das deutsche Strafrecht als auch Hinweise auf Schwarzbeschäftigung und Lohndumping abgedeckt – der Schutz geht also viel weiter als in Österreich.
Der vielleicht wesentlichste Nachteil für Arbeitnehmer:innen im österreichischen Recht ist aber die fehlende Beweislastumkehr. Sowohl die EU Kommission als auch Deutschland sehen vor, dass Kündigungen oder andere “Benachteiligungen” nach einer Meldung verboten sind. Nicht der Arbeitnehmer muss beweisen, dass die Kündigung in Zusammenhang mit der Meldung steht, sondern der Arbeitgeber muss beweisen, dass es eben nicht so ist. Im österreichischen Recht fehlt diese sogenannte Beweislastumkehr, was ein großer Nachteil für Beschäftigte ist.