Geht es nach der Europäischen Zentralbank, dann ist der erhöhte Leitzins das Mittel der Wahl, um die Inflation zu bekämpfen. Mehr Zinsen für Sparbücher, weniger Nachfrage, dann sinkende Preise. Aber funktioniert das in der Praxis? Oder könnte das sowohl für Konsument:innen als auch Banken am Ende schlechter ausgehen als gedacht? Darüber haben wir mit Tobias Schweitzer, Leiter des Bereichs Wirtschaft der Arbeiterkammer Wien, gesprochen.
Kontrast: Die EZB hat den Leitzins erhöht. Die Folge soll sein: Kredite werden teurer – und Konsument:innen lassen eher Geld am Sparbuch und bekommen Zinsen. Damit sinkt die Nachfrage – was die Preise senkt und damit die Inflation. Ist diese Strategie aufgegangen?
Tobias Schweitzer: Für die ungewohnt hohe Inflationsentwicklung in Österreich und der EU ist wichtig zu verstehen, dass diese Teuerung vorrangig von den gestiegenen Energiepreisen aufgrund des Ukraine-Krieges und Lieferkettenproblemen ausgelöst wurde. Also angebotsseitig. Wie richtig erwähnt wirkt die Geldpolitik der EZB vor allem nachfrageseitig. Das heißt: Das Ziel ist es, über verschiedene Kanäle die generelle Nachfrage nach Produkten zu senken, was die Unternehmen dazu veranlassen soll, die Preise zu senken. Dafür muss weniger konsumiert werden. Also es muss schwieriger werden, einen Kredit aufzunehmen, um z.B. ein Haus zu bauen.
In der Praxis sehen wir aktuell ein Sinken der Kreditnachfrage, bei den Einlagen- bzw. Sparzinsen sind die Banken zögerlicher beim Erhöhen. Es wird derzeit weniger konsumiert als noch vor der Pandemie, als die Inflationsrate bei um die 2,2% lag.
Die Zinspolitik greift jedoch gar nicht die Inflationsentwicklung bei der Wurzel ihres Ursprungs an, weshalb die Maßnahmen weniger effektiv sind als direkt in die Preise einzugreifen. Da müsste die Bundesregierung handeln und beispielsweise nicht nur Strompreise, sondern auch andere Haushaltsenergien deckeln bzw. die Mieterhöhungen stoppen.
Die Zinspolitik der EZB greift nicht die Wurzel der Inflation an – ob sie wirkt, ist fraglich
Der deutsche Ökonom Maurice Höfgen sieht diese Zinspolitik kritisch – auch für die Banken: Die Leitzinserhöhung, sagt er, beeinflusst kaum jene Preise, die aktuell die Preistreiber sind. Also Energie oder Lebensmittel. Stattdessen hat die Zinserhöhung negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Gleichzeitig steige das Risiko, dass mit höheren Zinsen Immobilienkredite ausfallen, was wiederum für Banken eine Gefahr darstellen. Wie bewerten Sie das?
Schweitzer: Zinserhöhungen sind eine recht grobe, destruktive Maßnahme in der Inflationsbekämpfung. Sie wirken wirken nur indirekt auf die Preise, in dem die Nachfrage so weit gedrosselt wird, dass schließlich auch die Preise nachgeben. Zinserhöhungen würden auch besser zu einer Situation passen, in der steigende Preise durch überhitzte Nachfrage entstanden sind. Wir sehen aber die Hauptursachen in Angebotsschocks durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und schon davor durch Lieferkettenproblem durch die Covid-Pandemie. Aber konkreter zu den Auswirkungen auf Immobilienkredite:
Die Zinserhöhungen belasten zunächst einmal die Haushalte, deren Immobilienkredite variable verzinst sind, und deren Anteil ist in Österreich vergleichsweise hoch. Zusammen mit den übrigen Belastungen durch die Teuerung kann das einige Haushalte mit variablen Immo-Krediten in eine prekäre Lage bringen.
Hier stellt sich aber auch die Frage, ob bei einem offensichtlich unpassenden Risikoprofil einer Eigeheimfinanzierung bei der Beratung alles richtig gelaufen ist, und inwieweit nicht auch die Banken hier in der Verantwortung stehen.
Weiters ist durch die angehobenen Zinsen die Aufnahme neuer Kredite schwieriger geworden, was dazu führt, dass Kredite für zunehmend mehr Unternehmen oder „Häuslbauer:innen“ nicht mehr finanzierbar sind. Generell ist aber die Ausfallsrate bei Immobilienkrediten relativ gering und wenn man den Stresstests der OeNB vertrauen kann, geht auch noch wenig Risiko für die Stabilität des Bankensektors aus.
Rekordgewinne für Banken: Die sollten für Risikofälle vorsorgen, damit nicht immer die Steuerzahler:innen einspringen
Wer kann Banken überhaupt vorschreiben, welche Zinsen und Gebühren sie verlangen bzw. gewähren?
Schweitzer: Tatsächlich haben sich vor allem bei bestehenden Krediten und Einlagen die Zinsen nicht parallel entwickelt, das heißt: Die Banken haben also ein Körberlgeld verdient und gleichzeitig kräftig Dividenden ausgeschüttet. Das halten wir aus mehreren Gründen für problematisch:
Damit wird von den Sparer:innen und Häuslbauer:innen genommen und den Aktionär:innen gegeben, also nach oben umverteilt. Wenn Banken gute Gewinne machen, sollten sie damit für Risikofälle vorsorgen, also ihr Eigenkaptal erhöhen.
Die Banken profitieren ja auch davon, dass mit den Covid-Hilfen Firmeninsolvenzen abgewendet wurden, und so die Bankenstabilität gestärkt wurde. Wenn also die Gebühren asymmetrisch erhöht werden, überrascht es nicht, dass über eine Erhöhung der Bankenstabilitätsabgabe nachgedacht wird.
Grundsätzlich gilt Vertragsfreiheit bei der Gestaltung von Klauseln und Gebühren. Die Grenzen setzen das ABGB, Bestimmungen gegen Marktmissbrauch, das Bankwesengesetz und das Konsumentenrecht. Die Gesetzgeberin gibt also einen gewissen Rahmen. Dabei ist es wichtig, dass Arbeitnehmer:innenvertreter:innen sowohl bei der Gesetzgebung wachsam sind, also auch im Konsumentenschutz aktiv sind. Sei es in der Beratung, in Musterklagen gegen nachteilige Geschäftsbedingungen, oder in der Frage von Marktbeobachtung, wie z.B. mit dem Bankenrechner.
Österreichs Banken haben in den letzten zwei Jahren Rekordgewinne gemacht. Wie könnte man das umverteilen?
Schweitzer: Wichtig festzuhalten ist, dass diese Rekordergebnisse stark von der derzeitigen Zinsentwicklung beeinflusst sind. Nach der sehr guten Gewinnsituation 2021 konnten laut Österreichischer Nationalbank letztes Jahr die Gewinne im Bankensektor um 67% auf ein neues Rekordniveau von 10,2 Milliarden Euro gesteigert werden.
Diese Rekordgewinne veranlassen fast alle großen Banken zu starken Erhöhungen ihrer Dividendenausschüttungen bzw. dazu. Aktienrückkäufe zu tätigen. Für das erste Quartal 2023 melden große österreichischen Banken sogar noch höhere Gewinne als im Rekordjahr. Auch das Anheben verschiedenster Gebühren spielt hier eine Rolle. Das heißt, es wäre Spielraum da, Gebühren zu senken und vor allem die Zinsen für die Sparer:innen zu erhöhen.
Wenn die Banken hier nicht in Bewegung kommen, sollten steuerliche oder regulatorische Maßnahmen überlegt werden. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Stabilisierung von Unternehmen und Haushalten in den Krisen mit Milliarden an öffentlichen Geldern die Risiken für Banken reduziert hat. Die wären sonst mit einer Vielzahl an Kreditausfällen konfrontiert gewesen.
Laut Tobias Schweitzer vertrauen vor allem große Banken darauf, dass der Staat im Zweifelsfall einspringt
Im März musste die Schweizer Bank Credit Suisse gerettet werden, auch in den USA waren es ebenfalls drei Banken. Sind die Regeln hinsichtlich Eigenkapital und Sicherheiten lückenhaft?
Schweitzer: Die insolventen Banken, die Anfang des Jahres für Schockwellen im internationalen Finanzsystem gesorgt hatten, sind alle in ihrer Art gute Beispiele, um zu zeigen, wo wir etwas aus der Krise gelernt haben, und wo wir noch Schwachpunkte haben. Zunächst: Die Situation hat sich wieder beruhigt, und das ist meiner Einschätzung nach auf zwei wesentliche Faktoren zurückzuführen: Erstens wurde die Eigenkapitalausstattung der Banken durch Basel III, also dem Regelwerk, das nach der Finanzkrise umgesetzt wurde, in Qualität und Quantität verbessert. Auch wenn es in diesem Bereich auf noch Nachbesserungsbedarf gibt. Zum zweiten haben wir ein Bankeninsolvenzrecht, das den Marktaustritt von Banken in Schieflage erleichtert. In Österreich wurden in den letzten Jahren auch einige Institute ohne größer Verwerfungen abgewickelt. Das wäre in der Vergangenheit viel schwieriger gewesen.
Aber: In den USA gilt Basel III nur für die größeren Institute, Vorschriften bezüglich Eigenkapital und Risikomanagement sind dort für kleine und mittlere Institute laxer als in der EU. Das blieb offensichtlich nicht ohne Folgen. Dies sollte eine Warnung für jene sein, die für ein Weitertreiben des Proportionalitätsansatzes lobbyieren, die also weniger strenge Regeln für kleiner und mittlere Institute wollen.
Das Resultat, wenn Banken eingehen, ist: Institute verschwinden, man rettet, fusioniert, als Folge gibt es immer weniger und dafür noch größere Banken – wie bewertest du diese Entwicklung?
Schweitzer: Bei der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS titelten auch eher konservative Blätter mit Schlagzeilen wie „Ein Zombie ist weg, doch ein Monster entsteht“. Damit ist ein Problem angesprochen, das tatsächlich nach der Krise zunehmend verdrängt wurde: Die too big to fail Problematik, also der Umstand, dass sich Institute darauf verlassen, gerettet zu werden, wenn ihr Fall zu großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten würde. Mit der Übernahme durch die UBS stehen wir vielleicht schon eher einer „too big to be saved“ Problematik gegenüber.
Was der Fall Credit Suisse auch zeigt: Der Investmentbankteil der Bank hat den im Grunde soliden Geschäftsbankenteil der Bank mitgerissen. Es bedarf also, wie auch schon nach der Krise von einer hochrangigen Expert:innengruppe (Liikanen-Report) vorgeschlagenen, eine bessere Trennung der Geschäftsbank und der Investmentbankrisiken, also einer Bankenstrukturreform.