Wochenlang haben SPÖ, ÖVP und NEOS intensiv verhandelt, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Vergangenen Freitag stiegen die NEOS dann überraschend aus, am Tag danach auch die ÖVP. Nun droht eine FPÖ-ÖVP-Regierung unter einem Kanzler Kickl. Doch wie konnte es so weit kommen? Und woran sind die Verhandlungen gescheitert? Das haben wir Nationalratsabgeordneten und Bau-Holz-Gewerkschafts-Chef Josef Muchitsch gefragt, der für die SPÖ bis zum Schluss am Verhandlungstisch saß.
Kontrast: Du warst bei den Koalitionsverhandlungen von SPÖ, ÖVP und NEOS dabei. Wie laufen solche Verhandlungen überhaupt ab, wer nimmt daran teil?
Josef Muchitsch: Koalitionsverhandlungen sind komplex: Hunderte Personen beraten an verschiedenen Tischen, während Teams im Hintergrund die Ergebnisse für die Parteispitzen aufbereiten. Untergruppen klären Details, die wichtigsten Punkte entscheidet am Ende eine Spitzengruppe. Expert:innen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Was ist die Aufgabe der Expert:innen?
Sie prüfen, ob politische Vorschläge umsetzbar sind und bewerten sie finanziell. Das ist auch gut so, denn eine Maßnahme mag zwar Einsparungen versprechen – wenn sie einem Realitätscheck jedoch nicht standhält, nützt das niemandem.
Letzte Woche sind zuerst die NEOS und dann die ÖVP ausgestiegen. Warum sind die Verhandlungen gescheitert?
Will man es neutral formulieren, scheitern Verhandlungen meist daran, dass entweder die Gemeinsamkeiten zu gering sind oder eine Partei eine für sie offensichtlich bessere Lösung sieht. Im aktuellen Fall war dies bei der ÖVP der Fall: Mit Ausscheiden der NEOS setzte sich der Wirtschaftsflügel – offenbar gegen den Willen von Karl Nehammer – endgültig durch und favorisierte eine Koalition mit der FPÖ.
Dieser Flügel, bestehend aus Großindustriellen, Bankenvertretern und der Industriellenvereinigung, wollte sich möglichst wenig an der Budgetkonsolidierung beteiligen und erwartete größere Vorteile. Das fügt sich, denn die FPÖ vertritt konsequent die Interessen der Reichsten und Großunternehmer.
Und wie hat sich die Situation für die NEOS dargestellt?
Die NEOS hatten Bedenken, bei ihrer Mitgliederversammlung nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit zu erreichen, da sie sich umfassendere und härtere „Reformen” im Regierungsprogramm gewünscht hätten. Das ist verständlich. Allerdings ist es demokratiepolitisch fragwürdig, ob eine Partei mit 9 % Stimmenanteil in Verhandlungen weitreichende Forderungen stellt, rote Linien zieht und diese zur Bedingung für den Koalitionseintritt macht, obwohl sie für die anderen Parteien kaum umsetzbar sind. Die SPÖ hingegen hatte großes Interesse an der Koalition und bemühte sich bis zuletzt um Lösungen und Kompromisse.
Inwiefern hat die SPÖ nach Kompromissen gesucht?
Für die SPÖ gab es von Anfang an kaum rote Linien. Doch klar ist: Ein Gesamtpaket muss ausgewogen und wirtschaftlich sinnvoll sein. Wir haben bei der Budgetsanierung stets betont, dass vieles möglich ist – aber nur, wenn alle Gruppen einen fairen Beitrag leisten. Wenn Arbeitnehmer:innen und Pensionist:innen nicht nur das Budgetloch stopfen sollen, sondern obendrein mit einer höheren Mehrwertsteuer Steuersenkungen für Unternehmen finanzieren, ist das weder fair noch vernünftig.
Teile der ÖVP und auch die NEOS haben das Prinzip verstanden und anfangs unterstützt. Doch der ÖVP-Wirtschaftsflügel forderte von Beginn an milliardenschwere Steuersenkungen für Unternehmen und drängte später auf massive Einschnitte bei Pensionen und im Gesundheitsbereich. Einen eigenen Beitrag war man nicht bereit zu leisten – weder durch eine Bankenabgabe noch durch eine geringe Erhöhung der Körperschaftssteuer für hohe Gewinne.
Die SPÖ verzichtete sogar auf ihre Forderungen nach einer Millionärs-, Erbschafts- und Schenkungssteuer und brachte zahlreiche Alternativen ein. Wir fragten ÖVP und NEOS mehrfach, wie sie die Budgetsanierung fairer gestalten wollen, ohne sie einseitig auf die breite Bevölkerung abzuwälzen. Doch statt konstruktiver Ideen kamen nur Vorschläge zu Kürzungen bei Pensionen, Gesundheitsleistungen und Klimaförderungen.
Hattest du das Gefühl, dass NEOS oder ÖVP kompromissbereit waren?
Bei kleineren Themen gab es Kompromissbereitschaft und spürbares Bemühen – besonders den NEOS möchte ich das nicht absprechen. Bei der Budgetsanierung sah es jedoch anders aus: Da musste man Kompromisse mit der Lupe suchen. Ein Beispiel: NEOS und ÖVP sahen es als Entgegenkommen, ein Paket gegen Steuerbetrug zu schnüren. Das bedeutet im Grunde nur, dass bestehende Steuerpflichten besser eingetrieben werden sollen.
Dass man so etwas als großes Zugeständnis verkauft, mag taktisch clever sein – ob es ehrlich ist, steht auf einem anderen Blatt.
Jetzt kommt sehr wahrscheinlich eine FPÖ-ÖVP-Regierung unter einem Kanzler Kickl. Was bedeutet das für die Menschen in Österreich? Wie geht es jetzt weiter?
Österreich steht an einem Wendepunkt. Beschäftigte in Pflege, Bildung, Sicherheit und Produktion verdienen eine Politik, die ihnen Respekt und Sicherheit gibt. Doch die ÖVP-geführten Regierungen seit 2017 hinterlassen ein Land mit hoher Verschuldung, wirtschaftlicher Schwäche und einem Gesundheitssystem am Limit. Der wirtschaftliche Rückschritt und die steigende Arbeitslosigkeit haben bei den Menschen verständlicherweise Zukunftsängste geschürt.
Eine Regierung unter Kickl könnte diese Probleme verschärfen: Sozialabbau, ein höheres Pensionsalter und Einschnitte bei Bildung, Gesundheit, Pensionen und Gehältern würden vor allem jene treffen, die ohnehin schon unter der Teuerung leiden. Während Arbeitnehmer:innen und Pensionist:innen die Last tragen, bleiben Vermögende wie Benko, Pierer und Co verschont.
Wir als SPÖ lehnen diesen Kurs entschieden ab. Österreich braucht eine Regierung, die Zuversicht gibt und das Leben der Menschen wieder verbessert, welche für soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität für alle steht, statt Politik für einige wenige zu machen. Das hatten wir schon!
Koalitionsverhandlungen in Österreich gescheitert – Der Knackpunkt war die Budgetsanierung