Dass so viele Menschen gerade ihre Existenz bedroht sehen, macht Adele Neuhauser wütend. Dass die neue Einsamkeit uns alle belastet, stimmt sie besorgt. All das müsste nicht so sein, findet die Schauspielerin. Mit etwas mehr Solidarität und gerechter Verteilung von Wohlstand könnten wir Armut wirksam bekämpfen. Wie die Pandemie ihr eigenes Leben verändert hat und warum sie überzeugt ist, dass am Ende alles gut wird, erzählt uns Adele Neuhauser im Interview.
Kontrast.at: Frau Neuhauser, wie war das vergangene Jahr für Sie?
Adele Neuhauser: Es hat sich enorm viel getan. Der Ausbruch der Pandemie und der erste Lockdown waren extrem schockierend und beängstigend. Wir waren damals mitten in den Dreharbeiten zu einem neuen Tatort und mussten unseren Dreh unterbrechen. Die erste Woche im Lockdown fühlte sich ja noch wie geschenkte Zeit an. Die Stille, der Rückzug waren auch auf eine Art schön. Aber dann wurde uns allen klar: Wir müssen mit diesem Virus weiterleben. Zum Glück hat man Wege gefunden, dass wir mit speziellen Sicherheitsmaßnahmen weiterarbeiten konnten. Anfänglich war es befremdlich und ich hätte nicht gedacht, dass es uns gelingt, die Dreharbeiten glücklich zu Ende zu bringen. Ich habe im letzten Jahr einige Produktionen verwirklichen können und es war letztendlich ein sehr arbeitsreiches Jahr für mich. Und hätte es dieses Virus nicht gegeben, wäre es ein absolut glückliches Jahr gewesen. Aber so viele Menschen haben ihr Leben verloren und sehr viele ihre Arbeit. Auch die Stimmung wird immer verzweifelter und aggressiver.
Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Die allgemeine Situation hat sich natürlich auch auf mein Leben ausgewirkt. In diesen Zeiten ist man viel zum Nachdenken gekommen. Wir sind auch zu einem großen Teil selbst daran schuld, dass wir uns weltweit in dieser schrecklichen Lage befinden. Wir gehen so rücksichtslos mit unserem Planeten um, dass es sich jetzt fast so anfühlt, als wollte er uns Menschen loswerden. Wenn wir das Virus überwunden haben, werden wir noch mehr Kraft aufwenden müssen, um unsere Umwelt zu retten. Deshalb habe ich für mich beschlossen, mein Leben zu ändern und aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun. Ich bin in eine kleinere Wohnung gezogen. Ich will einfach nicht mehr so viel Energie verbrauchen.
Sie haben ja auch Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen. Wie geht es den Kunst- und Kulturschaffenden in Österreich denn gerade?
Einigen geht es gar nicht gut. Sie sind unverschuldet in ihre missliche Lage geraten. Wenige Künstler können ins Homeoffice gehen oder in Kurzarbeit. Viele sitzen zwischen den Stühlen. Dadurch, dass viele freiberuflich und von Auftritten abhängig sind, sind sie in einer existenzbedrohlichen Situation.
Kunst – und Kulturschaffende haben keine so starke Lobby wie Großkonzerne etc. und viele fallen einfach durch das System. Es reicht nicht, Künstlern online eine Plattform zu geben, sie brauchen auch finanzielle Unterstützung.
Was hätte man politisch anders machen müssen? Bei den Förderungen zum Beispiel?
Man hätte einen anderen Schlüssel finden müssen, um angemessene Unterstützungen für Künstler möglich zu machen. Unser System ist an vielen Stellen ungerecht, auch das wird in dieser Krise sichtbar. Kunst ist lebensnotwendig. Wir brauchen den scharfen Blick von Künstlern, um unser Leben reflektiert betrachten zu können. Und dazu sind nicht nur das Burgtheater oder die Salzburger Festspiele oder die Philharmoniker notwendig, sondern alle unterschiedlichsten kulturellen Stimmen tragen dazu bei.
Die Krise ist für viele eine echte Zerreißprobe geworden…
Das kann man wohl sagen. Für viele ist ihre Lebenssituation zur Falle geworden. Alleinerziehende Frauen, oder Kleinfamilien auf engstem Raum im Homeoffice und Home-Schooling.
Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Die steigende Gewalt gegen Frauen… das ist so erschütternd und widerlich. Warum müssen so oft Frauen dafür bezahlen, wenn Männer nicht mehr ein und aus wissen?
In einer Krise hat man oft den Eindruck, jeder ist sich selbst der Nächste. Ist da Platz für mehr Solidarität oder Achtsamkeit?
Diese rücksichtslosen Einzelkämpfer gab es immer schon und die kämpfen auch dann, wenn es gar nicht notwendig ist. Das macht sie auch so unsympathisch. Aber für Solidarität und Achtsamkeit ist immer Platz und er wird auch genutzt. Besonders im ersten Lockdown war das in einem hohen Maße spürbar. Wie viel Hilfsbereitschaft und Fürsorge war da sichtbar! Applaudierende Menschen für Pflegepersonal und Supermarktangestellte…
Glauben Sie, dass sich die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird?
Ich hoffe, dass sich die Arbeitswelt verändert. Vor allem die Wertigkeiten von unterschiedlichen Berufen.
Gibt es Ihrer Meinung nach Berufe, die zu wenig honoriert werden?
Ja absolut! Vor allem Pflegeberufe. Wir bewundern zwar die hingebungsvolle Arbeit von Krankenpflegern, aber wir bezahlen sie nicht gebührend. Das muss sich ändern! Wie viele Menschen haben uns mit ihren systemrelevanten Berufen durch die Lockdown-Phasen geleitet und dabei ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt? Ich glaube, wir haben schon einen anderen Zugang zu manchen Berufsständen bekommen.
Soziale Berufe sind unschätzbar wichtig für eine gesunde Gesellschaft und sie verdienen endlich auch eine angemessene Entlohnung.
Und umgekehrt: Gibt es Ihrer Ansicht nach Berufe, die unverhältnismäßig hoch honoriert werden?
Bei manchen Politikern frage ich mich, wofür sie so viel verdienen. Ich verstehe schon, dass verantwortungsvolle Berufe entsprechend entlohnt werden. Aber dann sollen sie auch verantwortungsvoll handeln. Es ist so viel Geld im Umlauf, aber ich finde, dass es ungerecht verteilt wird. Man müsste darauf achten, dass die Ärmsten dieser Welt mehr erhalten.
Dann haben vielleicht ein paar Reiche weniger von ihrem Reichtum, bleiben aber noch immer reich und die Ärmsten wären nicht mehr hoffnungslos verloren.
Halten Sie das für realistisch?
Ich kann mich erinnern, als im November 1989 die Mauer in Deutschland gefallen ist, wie wir alle einen Solidaritätsbeitrag geleistet haben. Der wurde automatisch vom Gehalt abgezogen. Es hat niemandem ein riesiges Loch ins Portemonnaie gerissen, aber es hat geholfen. Ich könnte mir vorstellen, dass man das wieder macht und man jetzt Menschen in Not aktiv hilft. Dass wir uns zusammentun und jeder einen kleinen Beitrag leistet. Das ist doch möglich.
Eine ganz persönliche Frage: Sie haben in Ihrer Autobiografie über eine Zeit geschrieben, die sehr schwer für Sie war, finanziell, aber auch psychisch. Was war das für eine Zeit und welche Gedanken hatten Sie damals?
Nun ja, ich war depressiv, hatte Wut auf mich selber, aber auch Angst vor der Welt, Angst vor mir selbst. Ich fühlte mich hilflos und dachte, dass ich nicht genüge. Dass ich den Ansprüchen nicht genüge, die die Welt an mich stellt und die ich an mich stellte. Ich hatte das Gefühl, ich bin zu uninteressant, zu hässlich, zu unbegabt…. All diese Dinge. Ich habe mich kaputt gemacht. Ich habe mich vor mir selber erniedrigt und so die „Kraft“ gesammelt, um einen Suizidversuch zu machen.
Ich fürchte, dass viele jetzt auch in dieser schwierigen Zeit solche destruktiven Gedanken haben und unter Einsamkeit leiden, die auch zerstörerisch ist. Ich glaube, das ist mit das Schwierigste oder das Schmerzlichste, was diese Pandemie angerichtet hat. Natürlich auch, dass viele gestorben sind. Gleichzeitig leiden so viele Menschen auch seelisch.
Wir brauchen einander und das ist uns in diesen Zeiten sehr deutlich geworden.
Wir haben es am Anfang sicher auch genossen: Die Stille, dieses Zurückgezogen sein. Fast so wie ein geschenkter Urlaub, oder wie Schulferien. Aber wir haben immer mehr gemerkt, dass wir uns brauchen. Dass wir die Berührungen brauchen. Wir brauchen auch Lokale, nicht um zu konsumieren, sondern um uns zu spüren in einer Gesellschaft. Genauso wie ein kollektives Betrachten eines Films im Kino oder im Theater – ein kollektives Erlebnis – das ist so essenziell für ein gesundes Leben.
Rückblickend, was hätte Ihnen damals geholfen, als es Ihnen so schlecht ging?
Das Tragische ist ja, dass man sich als Betroffener schämt oder Scheu hat, sich an andere zu wenden und zu sagen: „Ich brauche Hilfe“, genau das ist der Punkt. Ich habe immer wieder betont, wenn ich über diese Zeit gesprochen habe:
Ich hätte nicht den Mut aufbringen sollen, Hand an mich zu legen, sondern ich hätte den Mut aufbringen sollen, anderen zu sagen „Ich schaffe es gerade nicht alleine, ich brauche Hilfe.“
Ich glaube, dass man mehr darauf aufmerksam machen müsste, dass es kein Makel ist, wenn man sich einsam fühlt. Wenn man Angst hat und traurig ist. Es gibt so viele Stellen, wo man Hilfe finden kann. Das können Freunde und Familie sein, aber manchmal kann es auch gut sein, eine neutrale Person zu kontaktieren. Und gerade Jugendliche sind in der Pandemie psychisch sehr gefährdet.
Sie haben als Teil einer Kampagne versucht, das Tabu-Thema psychische Erkrankung zu brechen. Hat sich da etwas getan? Ist es leichter geworden, über diese Probleme zu sprechen als Betroffene?
Es ist nie leicht, darüber zu reden. Ich glaube aber, dass sich langsam ein anderes Verständnis dafür durchsetzt. Suizid ist zwar noch immer ein Tabu-Thema. Aber gut ist, dass man offener über psychische Krankheiten spricht. Depressionen sind eine ernst zu nehmende Krankheit.
Sie sagen von sich, Sie sind keine, die zu den Leisen gehört. Und Sie nützen ja Ihre gesellschaftliche Position, um für Anliegen einzutreten, die Ihnen wichtig sind. Welche Anliegen sind das?
Mit Plan International setze ich mich für Mädchen auf der ganzen Welt ein. Damit sie die Chance bekommen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und zu selbstbewussten Frauen werden. Bei Oikocredit können Frauen, vor allem in den ärmeren Regionen der Welt, Kleinstkredite erhalten. So erhalten sie und ihre Familien eine Überlebenschance. Und wie anfänglich schon erwähnt setze ich mich für den Klimaschutz ein.
Menschen kennen Sie vermutlich am ehesten als Bibi Fellner oder Julie Zirbner. Ist es mehr Fluch oder Segen, wenn man so mit einer Rolle identifiziert wird?
(lacht) Ich habe es geliebt, wenn Leute gesagt haben: „Schau, die Julie!“ Also, ich fand das großartig. Ich mag die Julie Zirbner und ich mag auch die Bibi Fellner. Sie sind gute Persönlichkeiten, die eine wie die andere. Natürlich sehne ich mich auch nach anderen Herausforderungen und die kommen auch, aber interessanterweise mehr aus Deutschland als aus Österreich. Ich freue mich, wenn Menschen mir mit Freude begegnen und meine Arbeit wertschätzen, das ist schön.
Was wären Sie geworden, wenn es mit der Schauspielerei nicht geklappt hätte?
Ich wäre Sennerin geworden auf einer Alm. Ich habe mich oft in den Bergen gesehen. Ich glaube, ich wäre eine gute Bäuerin gewesen (lacht).
Naturverbunden sind Sie ja!
Ja und ich liebe die Viecherln! Ich hätte das gerne gemacht. Es ist ein hartes Leben, aber ich hätte es schon geschafft.
Sie sind ja eine begeisterte Kinogeherin und schwärmen von diesem Erlebnis, sich im Dunkeln, gemeinsam mit anderen, zwei Stunden ungestört einen Film anzusehen. Was glauben Sie, hat das Kino noch eine Zukunft?
Ja, das glaube ich. Das Kino ist so stark! Alles, was größer ist als das Leben, ist aufregend und schön. Das Kino wird bleiben. Hundertprozentig! Und genauso das Theater. Man wird Wege finden. Irgendwann sind wir alle geimpft und dann geht das Leben wieder in vollster Pracht los! Bei manchen wird es vielleicht länger dauern, bis sie aus ihrer Krise kommen. Aber ich hoffe, dass wir da gemeinsam rauskommen. Wie ich schon gesagt habe:
Geben wir einen Solidaritätsbeitrag und holen wir die Menschen aus der Armut. Ich bin sofort bereit! Und dann, dann werden wir wieder große Feste feiern, ganz sicher. Es werden viele Kinder entstehen (lacht).
Ihr Appell ist also – sobald es wieder geht – das Leben genießen!
Absolut. Alles machen, was uns gut tut und was der Welt gut tut. Gemeinsam die Probleme lösen, die wirklich dringlich sind. Die Erderwärmung aufhalten. Wir haben genug zu tun! Ich appelliere an den gesunden Menschenverstand und an die Solidarität: Gehen wir es gemeinsam an, dann schaffen wir das schon!
Frau Neuhauser, vielen Dank für das Gespräch!
Viele von uns kennen Adele Neuhauser durch ihre Rollen aus dem “Tatort” oder “Vier Frauen und ein Todesfall”. Neuhauser kam 1959 als Kind einer österreichischen Mutter und eines griechischen Vaters in Athen zur Welt. Als sie vier Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie nach Wien. Dass sich die Eltern später trennten und die Familie Griechenland verließ, verkraftete sie nicht gut. Mit 10 Jahren beging sie ihren ersten Suizidversuch. Bis sie 21 Jahre alt ist, folgten noch mehrere weitere. Ihren Werdegang und ihre Erlebnisse hat sie auch in ihrer 2017 erschienen Autobiografie “Ich war mein größter Feind” aufgearbeitet. Neuhauser lebte viele Jahre in Deutschland und arbeitete auf Theaterbühnen. Mittlerweile hat sie ihren Schwerpunkt auf Film und Fernsehen verlagert. Und das mit Erfolg: Fünf Mal wurde ihr der Publikumspreis “Romy” verliehen.
Das ist Adele Neuhauser
Ich liebe diese Schauspielerin Adele Neuhauser; diese tolle Frau würde ich gerne mal persönlich in einem schönen Wiener Cafe treffen. Das ist mein Traum. Alles Gute für Sie liebe Adele Neuhauser. Liebe Grüße aus München