Die Lokführer-Gewerkschaft (GDL) und die Deutsche Bahn einigen sich auf eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden pro Woche. Und das bei gleichem Gehalt. Das Besondere an der Einigung: ein neues, flexibles Arbeitsmodell, das die persönlichen Bedürfnisse des Personals berücksichtigt. Denn wer weithin länger arbeiten möchte, kann das tun und bekommt sogar noch 2,7 % mehr Gehalt pro Stunde. Experten bezeichnen das neue Modell als zukunftsweisend.
Fünf Monate haben die Verhandlungen gedauert. Doch jetzt ist die Deutsche Bahn den Forderungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL entgegengekommen. Die Arbeitszeit sinkt schrittweise von 2026 bis 2029 von 38 Stunden auf 35 Stunden pro Woche – und das ohne Lohnabzüge. Außerdem gibt es eine Lohnerhöhung von insgesamt 420 € und einen einmaligen Inflationsausgleich von 2.850 €.
35 oder 38 Stunden arbeiten: Personal darf selbst entscheiden
Kern der Einigung ist ein flexibles Arbeitszeit-Modell, das die unterschiedlichen Bedürfnisse des Schichtpersonals berücksichtigt. Wer 35 Stunden arbeiten will, kann das tun und bekommt den gleichen Lohn wie zuvor. Wer weiterhin 38 Stunden arbeiten will, bekommt pro Stunde 2,7 % mehr Gehalt.
GDL und Deutsche Bahn sind zufrieden mit den Ergebnissen der Streiks
Sowohl die Gewerkschaft als auch die Bahn zeigen sich zufrieden mit den Ergebnissen: Denn von einer Arbeitszeitverkürzung profitieren sowohl die Arbeitnehmer:innen, als auch die Arbeitgeber:innen. Denn wenn die Arbeitsbedingungen besser sind, gibt es auch mehr produktive und zufriedene Arbeitskräfte. Versuche zur Arbeitszeitverkürzung zeigen etwa, dass bereits bei ein paar Stunden weniger pro Woche sowohl Stress als auch Krankheiten abnehmen. Außerdem sinkt das Burnout-Risiko. Kurz: Das Personal ist gesund und seltener krankgeschrieben.
Das schrittweise Heruntersetzen der Arbeitszeit kommt der Bahn obendrein zugute, die nun beim Personal besser planen kann.
“Kompromisse leben am Ende immer von dem, was machbar ist. Und was den Teil Arbeitszeit betrifft, haben wir ein gutes Ergebnis, was aus meiner Sicht durchaus richtungsweisend für die Bundesrepublik Deutschland sein kann, weil dort ja auch immer wieder über dieses Thema diskutiert wird”, sagt DB-Chef Martin Seiler.
GDL-Chef Claus Weselsky sah die langen und intensiven Streiks als notwendig an. Es war der Verdienst der GDL, die sich die kürzeren Arbeitszeiten und die höheren Löhne hart erkämpft hat:
“Es ist die Arbeitgeberseite gewesen, die diese Auseinandersetzung so lang gezogen hat. Erst zum Schluss ist sie eingeknickt”, so Weselsky.
Vorerst sind die Streiks beendet. Die Einigung gilt bis Ende Februar 2026. Das heißt: bis dahin wird nicht gestreikt. Der Tarifvertrag läuft 26 Monate bis zum 31. Dezember 2025. Darauf folgt eine zweimonatige Verhandlungsphase, in der ebenfalls nicht gestreikt werden soll. Ab 2026 geht allerdings der Kampf weiter, weil die GDL mehr Zuständigkeit für die Bahnmitarbeitenden möchte.
„Wir bedauern, dass die Fahrgäste durch unsere Streiks derartig in Anspruch genommen wurden. Aber wir erklären hier und heute: Diese Auseinandersetzung hätte weder in der Länge, noch in der Härte sein müssen. Mit Vernunft und Augenmaß wären wir mit diesen Kompromissen auch vorher… pic.twitter.com/IFq6RoPAMa
— Nurder Koch (@NurderK) March 26, 2024
Arbeitszeitplanung der Zukunft: Fachleute zeigen sich begeistert
Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, sowie der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) begrüßen den Tarifkompromiss und betonen insbesondere die flexible Arbeitszeitgestaltung als wichtigstes Ergebnis. Fuest hebt hervor, dass diese Flexibilität im Umgang mit dem Mangel an Fachkräften vorteilhaft ist.
Auch der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Enzo Weber hält viel von der flexiblen Arbeitszeitplanung. Das Personal soll die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit an die eigene Lebenssituation anzupassen. Dadurch lässt sich etwa Arbeit und Familie leichter vereinen. Oder die Pflege eines Angehörigen.
“Selbstbestimmung ist das Wesentliche, das bei der heutigen Arbeitszeit gefragt ist”, so Weber.
Doch können wir uns dieses Modell jetzt leisten, wenn an allen Ecken und Enden die Kräfte fehlen und man teilweise nicht mehr weiß, wer die ganze Arbeit macht? Daraufhin sagt Weber, dass es genau aufgrund des Arbeitskräftemangels motivierende Arbeitsbedingungen braucht. Dann steigt die Zufriedenheit im Job und die Produktivität. Das sei auch in allen anderen Branchen möglich. Natürlich ist die Umstellung auf ein flexibleres Arbeitsmodell für die Unternehmen mit einem gewissen organisatorischen Aufwand verbunden. Doch auch dafür hat Weber einen Tipp:
“Holt die Leute mit ins Boot. Lasst uns kollektiv entscheiden und organisieren, wie wir arbeiten müssen und das gestalten möchten. Das kann dann nochmal zusätzlich motivierend sein”.