Die EU-Kommission startet ein Defizitverfahren gegen Österreich. Das hat der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis am Mittwoch angekündigt. Für SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer und viele Ökonom:innen ist das allerdings „kein Drama“. Was hinter dem Verfahren steckt, warum es kein Diktat aus Brüssel ist und gegen welche acht EU-Länder aktuell ein Verfahren läuft – liest du hier.
Expert:innen hatten es erwartet: Jetzt kommt es tatsächlich zu einem EU-Defizitverfahren gegen Österreich. Das kündigte der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis am 4. Juni bei einer Pressekonferenz an. Spätestens seit April war klar, dass Österreich zu viele neue Schulden gemacht hat: 2024 waren es laut Statistik Austria 4,7 Prozent des BIP, für heuer rechnet der Fiskalrat mit 4,4 Prozent Neuverschuldung. Die Gesamtverschuldung lag 2024 bei 81,8 Prozent des BIP.
Was bedeutet das EU-Defizitverfahren für Österreich?
Laut EU-Regeln sind aber nur neue Schulden von höchstens 3 Prozent bei einer Gesamtverschuldung von 60 Prozent des BIP erlaubt. Zwar wurden während der COVID-Pandemie die Regeln gelockert bzw. ausgesetzt, mittlerweile gelten die sogenannten Konvergenz- oder Maastrichtkriterien aber wieder. Aufgrund der Wirtschaftspolitik der letzten Bundesregierung, die ein Milliardenloch im Budget hinterlassen hat, kommt es jetzt zum EU-Defizitverfahren (ÜD-Verfahren).
„Das eigentliche Ziel dieser EU-Regeln ist es, eine wirtschaftliche Angleichung der Mitgliedsstaaten zu fördern und sicherzustellen, dass alle krisenfest bleiben“, erklärt Ökonomin und Fiskalrätin Prof. Elisabeth Springler im Kontrast-Interview.
Wenn ein Land diese Regeln nicht einhält, kann es zu einem sogenannten „übermäßigen Defizitverfahren“ (ÜD-Verfahren) kommen.
EU-Defizitverfahren bedeutet lediglich engeren Austausch mit der EU-Kommission
Während eines EU-Defizitverfahrens muss das betroffene Mitgliedsland der Europäischen Kommission regelmäßig darüber berichten, wie man das Defizit in den Griff bekommen will. Die Kommission überlässt es dem jeweiligen Land selbst, welche Maßnahmen es ergreift. Denn für die Budgetpolitik eines Landes ist die jeweilige Regierung und nicht die EU zuständig.
Deshalb kritisiert Finanzminister Marterbauer auch den Versuch, das Defizitverfahren jetzt als ein „Diktat aus Brüssel“ darzustellen. Für die Bevölkerung und die Wirtschaft erwartet er sich trotz des Verfahrens keine negativen Effekte. Im Interview mit Kontrast sagte er bereits Ende März:
„Ein Defizitverfahren würde vor allem einen engeren Austausch des Finanzministeriums mit der Kommission bedeuten, auch die Reaktion der Märkte ist gering, solange die Budgetsanierung ambitioniert weiterverfolgt wird“, so Marterbauer. Hinzu kommt, dass der Staat dadurch länger Zeit hat, das Defizit auf unter 3 Prozent zu senken, was mehr Spielräume eröffnet.
Neben Fiskalratschef Christoph Badelt sieht auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen „keinen Grund zur Panik“. Laut dem ehemaligen Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre bedeutet ein Defizitverfahren lediglich formale Konsultationen mit der EU-Kommission. „Das ist alles.“
Das BIP sagt aber noch nicht automatisch etwas darüber aus, wie es den Menschen in dem Land geht. Das hängt etwa davon ab, wie dieser gemeinsam erwirtschaftete „Kuchen“ verteilt ist und wie es um andere Faktoren bestellt ist wie psychische Gesundheit, Zugang zu Grünraum oder Gleichberechtigung. Einige Länder messen deshalb den Fortschritt ihrer Wirtschaft inzwischen auch an anderen Faktoren.
Diese Länder haben laufende Defizitverfahren
Das „Verfahren bei einem übermäßigen Defizit“ (ÜD-Verfahren) ist ein seit 1997 fixierter Mechanismus der EU. Dadurch sollen die Mitgliedsstaaten die fiskalpolitischen Regeln einhalten. Derzeit durchlaufen Frankreich, Belgien, Italien, Polen, Malta, Ungarn, Rumänien und die Slowakei solche Defizitverfahren.
Spanien hatte 2024 zwar auch eine Neuverschuldung von ca. 3,5 % des BIP (und eine Schuldenquote von ca. 105 % des BIP), die EU-Kommission rechnet allerdings damit, dass Spanien das Defizit in den Griff bekommt. Weil in Spanien die Wirtschaftsentwicklung derzeit sehr positiv verläuft, gibt es auch kein ÜD-Verfahren.
Österreichs EU-Defizitverfahren wurde 2012 frühzeitig beendet
Es gibt nur drei EU-Mitgliedsstaaten, die noch nie ein Defizitverfahren durchlaufen haben: Luxemburg, Estland und Schweden. Deutschland durchlief schon zwei Verfahren, Österreich eins – und zwar nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2008.
2009 lag das österreichische Defizit bei 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Staatsschuldenquote war mit 79,6 Prozent sehr hoch. Am 2. Dezember 2009 wurde ein ÜD-Verfahren eingeleitet. Die Vorgabe: Österreich müsse das Defizit bis spätestens 2013 wieder unter die 3-Prozent-Grenze bringen. Die damalige Regierung aus SPÖ und ÖVP erreichte dieses Ziel bereits 2012. 2013 betrug das Defizit nur noch 1,5 Prozent des BIP. Die EU-Kommission beendete das Defizitverfahren am 25. Juni 2013 offiziell.
Finanzminister Markus Marterbauer: So will er das Budget sanieren und die Wirtschaft ankurbeln
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