Bis ein T-Shirt in einem Geschäft in Österreich landet, hat es meist tausende Kilometer zurückgelegt. Doch derzeit ist niemand dafür verantwortlich, dass auf diesem Produktions- und Handelsweg Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Freiwillig schützen Konzerne diese Rechte nicht. Die Regierung in Österreich bleibt untätig. Die EU hingegen will das per Gesetz jetzt ändern.
Indische Buben, jünger als 6 Jahre, die Teppiche knüpfen. Indonesische Arbeiter:innen, die Felder mit Ölpalmen bewirtschaften und Herbizide einatmen – damit wir Palmöl in Keksen essen. Verschmutzte Flüsse neben Textilfabriken. Viel zu oft werden global gehandelte Güter unter menschenunwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen produziert. Konzerne nehmen das in Kauf, weil sie bei den Zulieferern den billigsten suchen. Jeder Zulieferbetrieb ist Glied in der Lieferkette. An diesem Problem will die EU jetzt mit ihrem Lieferkettengesetz ansetzen. Ein Entwurf liegt seit 23. Februar auf dem Tisch.
EU-Gesetz: Unternehmen sind für gesamte Lieferkette verantwortlich
Die EU-Kommission schlägt vor, dass zukünftig EU-weit alle Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten und 150 Millionen Euro Umsatz für die Menschenrechts- und Umweltverstöße ihrer Lieferanten verantwortlich sind. In der Bekleidungs- und Rohstoffindustrie sowie der Landwirtschaft soll die Regelung schon für Unternehmen mit 250 Mitarbeiter:innen gelten. Denn diese Branchen haben ein besonders hohes Risiko derartiger Verstöße. Für Vergehen sollen die Konzerne Strafen zahlen müssen. Und Betroffene sollen die Unternehmen klagen dürfen.
Denn freiwillig schützen profitorientierte Konzerne ihre Arbeiter:innen und die Umwelt nicht, wie die EU-Kommission ihren Entwurf begründet: „Freiwillige Maßnahmen scheinen nicht zu groß angelegten Verbesserungen in allen Sektoren geführt zu haben.“
Lieferkettengesetz als möglicher Game-Changer
NGOs sowie das Bündnis „Menschenrechte brauchen Gesetze“ begrüßen den Entwurf. Erstmals in der Geschichte ist auf EU-Ebene festgeschrieben, dass auch Unternehmen eine Verantwortung haben, dass entlang ihrer Lieferkette Menschenrechte eingehalten werden. Bis jetzt waren nur Staaten dafür verantwortlich. „Dieses Gesetz kann ein Game-Changer sein und weltweit die Arbeitsbedingungen verbessern“, glaubt Julia Wegerer von der Arbeiterkammer.
Das ist auch dringend notwendig. Immerhin sind 160 Millionen Minderjährige von Kinderarbeit betroffen – seit 20 Jahren steigt die Zahl wieder – und 25 Millionen Menschen von Zwangsarbeit. Verletzungen von Gewerkschaftsrecht passieren heute so häufig wie seit 8 Jahren nicht mehr.
Ein Problem: großzügige Ausnahmen. Nur 0,2% der Unternehmen sind betroffen
Doch auf Drängen der Konzern-Lobby sind im Entwurf großzügige Ausnahmen enthalten. Das Bündnis, das auch von der SPÖ unterstützt wird, kritisiert, dass mit der aktuellen Regelung lediglich 0,2% aller EU-Unternehmen betroffen wären. In Österreich müssten sogar nur 0,06% der Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen. Dabei sagen die Mitarbeiter-Anzahl sowie die Umsatz-Höhe nichts über das Risiko von Menschenrechtsverletzungen aus, wie Wegerer betont.
Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, ergänzt: „Die Mehrheit der österreichischen Unternehmen möchte ethisch handeln. Doch sie haben einen Wettbewerbsnachteil gegenüber jenen Unternehmen, die sich nicht an Menschenrechte und Umweltstandards halten. Deshalb wünschen sich auch viele Unternehmen ein Lieferkettengesetz.“
Die derzeitige Situation sei für die österreichischen Klein- und Mittelbetriebe, die unter hohen Standards produzieren, ein Nachteil: „Die Profitgier einiger weniger kostet heimische Arbeitsplätze und wird auf dem Rücken von Menschenwürde und Umwelt ausgetragen“, so SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim.
Dass deutlich mehr in der EU tätige Unternehmen erfasst werden müssen, fordert auch die SPÖ. “Leider scheint sich an einigen Stellen die Handschrift der Konzern-Lobby wiederzufinden, insbesondere bei den Schwellwerten für Unternehmen”, sagen Julia Herr, SPÖ-Umweltsprecherin, und Petra Bayr, SPÖ-Sprecherin für globale Entwicklung.
Dass kleine und mittlere Unternehmen gänzlich ausgenommen sind, ist für das Bündnis nicht verständlich. Es wäre keine große finanzielle Belastung. Eine Studie der EU-Kommission errechnet Kosten von 0,074% des Umsatzes von KMUs, wenn diese ebenfalls berücksichtigt werden würden. Öffentliche Unterstützungsmaßnahmen könnten zusätzlich entlasten.
Schlupflöcher: Mit Klauseln können Konzerne ihre Verantwortung weiterhin abschieben
Der Entwurf sieht außerdem vor, dass Konzerne durch sogenannte Vertragsklauseln weiterhin die Zulieferer für die Vergehen verantwortlich machen können. Der Konzern lässt somit den Zulieferer unterschreiben, sich an die Menschenrechte und Umweltstandards zu halten. Darauf kann sich der Mutterkonzern berufen und so einer Strafe entgehen. Das lässt außer Acht, dass es der Konzern ist, der entscheidet, wen sie womit beauftragen und dabei häufig Billigstanbieter suchen. Damit nehmen sie in Kauf, dass unter unwürdigen Bedingungen gearbeitet wird. Echte Risikoabwehr vor Ort in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und NGOs ist im Entwurf nicht vorgesehen.
Die Strafen müssen hoch sein
Es müsse sichergestellt werden, dass Betroffene, NGOs und Gewerkschaft bei Verletzung der Menschenrechte und Umweltstandards auch tatsächlich klagen können. Teure Verfahrenskosten, kurze Verjährungsfristen und aufwändige Beweislast können das in der Praxis jedoch sehr erschweren. Wenn darüber hinaus die Strafen zu niedrig sind, gibt es kaum Anreize, dass sich Konzerne auch an das Gesetz halten, befürchtet Rechtsanwältin Michaela Krömer. Auch eine Urteilsveröffentlichung sollte möglich sein, damit der Druck auf Konzerne steigt.
„Manche Konzerne haben mehr Macht und mehr Geld als einzelne Staaten und können somit Gesetze und Menschenrechte umgehen. Der Entwurf ist ein guter Start, um diese Lücke zu schließen“, sagt Rechtsanwältin Michaela Krömer.
Immer mehr Länder haben Lieferkettengesetze – aber für Österreich keine Priorität
Der Vorschlag habe zwar „das Potenzial, ein Meilenstein zu sein“, aber nur, wenn es auf EU-Ebene deutlich nachgeschärft wird und die nationalen Gesetze entsprechend streng beschlossen werden, wie Bettina Rosenberger vom Netzwerk für soziale Verantwortung betont.
In immer mehr Ländern gibt es inzwischen eigene Lieferkettengesetze, die Unternehmen zur Verantwortung ziehen. Während Frankreich 2017 ein entsprechendes Gesetz beschlossen hat und 2020 die Schweizer mehrheitlich für die “Konzernverantwortungsinitiative” gestimmt haben, gab es auch in Deutschland vergangenen Sommer die Einigung zu einem Lieferkettengesetz.
Auch in Österreich liegt seit Monaten ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch. Die Sozialdemokraten fordern, dass internationale Konzerne, die in Österreich Produkte verkaufen oder Dienstleistungen anbieten, ihre Lieferketten überprüfen müssen. Wenn diese feststellen, dass Menschen-, Arbeits- oder Umweltrechte missachtet werden, sollen sie handeln müssen. Betroffene sollen bei Schäden den Konzern vor österreichischen Gerichten klagen können – und es soll nicht nur zu Geldstrafen, sondern auch zur Beendigung öffentlicher Aufträge kommen. Doch für die ÖVP-Grün-Regierung scheint dies keine Priorität zu haben.
„Ich vermisse den Mut von den Grünen und der ÖVP, effektive Gesetze in die Wege zu leiten. Stattdessen werden unsere Anträge ausgesetzt und vertagt“, sagt SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim.
Schön dass das auch mal bedacht wird.
Ich kann irgendwie nur denken, dass manche Leute einen Aufschrei machen, weil das billig shirt beim primark plötzlich das doppelte kostet.