Das Lieferkettengesetz der EU soll Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen. So sollen sie künftig die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes entlang ihrer gesamten Lieferkette sicherstellen. Vom Abbau der Rohstoffe über die Herstellung und Lieferung des Produktes bis hin zum Verkauf. Wie das Gesetz im Detail aussieht, wer davon betroffen ist und welche Auswirkungen es hat, erklären wir dir hier.
Das Lieferkettengesetz kurz erklärt
Das Lieferkettengesetz (LKGS) und auf Englisch die “Corporate sustainability due diligence directive” (CSDD) ist ein Wendepunkt in der globalen Wirtschaft. Es verpflichtet Unternehmen zu mehr Verantwortung bei der Herstellung und Lieferung ihrer Produkte. Und zwar entlang der ganzen “Lieferkette”. Denn laut dem Gesetz müssen Unternehmen künftig sowohl die Einhaltung der Menschenrechte als auch die Einhaltung der geltenden Umweltstandards kontrollieren und durchsetzen. Die Idee: Produkte, die wir täglich nutzen – vom Smartphone bis zur Jeans – sollen nicht auf Kosten von Mensch und Natur hergestellt werden.
So will die EU sicherstellen, dass keine Produkte auf den europäischen Markt gelangen, die unter Missachtung von Menschenrechten (Kinderarbeit, Arbeitsausbeutung) oder Umweltschutzstandards hergestellt wurden. Unternehmen müssen nach dem Lieferkettengesetz also Risiken für Menschenrechte und Umwelt prüfen und darüber Bericht erstatten. Dies schließt auch die Einrichtung von Beschwerdemechanismen für Betroffene entlang der Lieferkette ein. Es geht also darum, lokale Kontrollmechanismen zu schaffen, die globale Auswirkungen haben.
Was ist eine Lieferkette?
Eine Lieferkette beschreibt den gesamten Prozess, den ein Produkt von der Rohstoffgewinnung bis zum Endverbraucher durchläuft und umfasst verschiedene Stufen der Produktion, Verarbeitung, Lagerung, Transport und Verkauf. Unternehmen innerhalb dieser Kette sind über die ganze Welt verteilt und nur auf bestimmte Teile des Herstellungsprozesses spezialisiert.
Da beginnt eine Lieferkette: vom Baumwollfeld in deinen Schrank
Wenn du dir im Discounter eine Jeans für ein paar Euro kaufst, dann wurde sie mit ziemlicher Sicherheit nicht fair hergestellt. Denn der Herstellungsprozess eines Kleidungsstücks ist ein komplexer und globaler Prozess und der Preis der Jeans sollte hoch genug sein, damit auch alle Arbeiter:innen fair bezahlt werden können. Sind da wirklich so viele Schritte involviert? Ja!
- Alles beginnt mit dem Anbau von Baumwolle, der häufig in Ländern wie Indien, China, den USA oder der Türkei stattfindet. Die Baumwolle wird gesät, gepflegt und schließlich geerntet.
- Nach der Ernte wird die Baumwolle gereinigt und zu Garn gesponnen. Dieser Prozess findet entweder in der Nähe der Baumwollfelder oder in einem anderen Land statt. Je nachdem, wo die Spinnereien am günstigsten sind.
- Das Garn wird dann zu Stoff gewebt oder gestrickt. Dies geschieht oft in großen Textilfabriken, die sich ebenfalls in Ländern mit niedrigeren Produktionskosten befinden können.
- Der gewebte Stoff wird anschließend gefärbt, gewaschen und chemisch behandelt, um die gewünschten Farben und Texturen zu erreichen. Diese Schritte benötigen sehr viel Wasser und Energie. Außerdem werden bei der Färbung und Herstellung von Kleidung oft giftige Chemikalien eingesetzt, die das Kleidungsstück in Form bringen, vor Schweißgeruch bewahren oder einfärben. Arbeiter:innen haben oft keine passende Schutzkleidung und sind diesen Giften schutzlos ausgesetzt.
- Aus dem fertigen Stoff werden Jeans zugeschnitten und zusammengenäht. Dies erfolgt zumeist in Nähereien, die in den gleichen Ländern wie die Textilfabriken angesiedelt sind.
- Nach dem Nähen erhalten die Jeans weitere Behandlungen wie Sandstrahlen, Druck oder anderweitige Verschönerungen (zum Beispiel Aufnäher), damit sie ihren individuellen Look bekommen.
- Die fertigen Jeans werden dann unter hohem Klimaausstoß mit LKWs, Schiffen oder Flugzeugen weltweit verschickt. Zwischendurch werden sie in Lagerhäusern und Verteilzentren gelagert, bevor sie in Einzelhandelsgeschäften angeboten werden.
- Schließlich werden die Jeans in Geschäften oder über Online-Plattformen zum Kauf angeboten.
An den einzelnen Schritten sind unzählige Arbeiter:innen und Fachkräfte beteiligt. Zudem sind sie über die ganze Welt verstreut. Das macht die Überwachung und Einhaltung der Menschenrechte zu einer echten Herausforderung. Deswegen ist das Lieferkettengesetz auch zwingend notwendig.
Warum ist ein europäische Lieferkettengesetz wichtig?
Vor rund zehn Jahren stürzte in Bangladesch eine Textilfabrik ein. Dabei starben über 1.100 Arbeiter:innen und mehr als 2.000 wurden verletzt. Das ist nur eine von vielen Tragödien, die durch die Einhaltung von Menschenrechten und Sicherheitsstandards hätte verhindert werden können. Es war eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte der Branche. Diese offenbarte die extrem prekären Arbeitsbedingungen unter denen viele Textilarbeiter:innen arbeiten. Auch im Rahmen für bekannte Marken wie ZARA, Primark und C&A leiden. Gerade in der Textilindustrie sind die Arbeitsbedingungen oft sehr schlecht. Hungerlohn, Ausbeutung, keine Schutzkleidung oder medizinische Versorgung für Arbeiter:innen und mangelnde Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz sind weit verbreitet. Obwohl die EU versucht, Konzerne mit dem Lieferkettengesetz in die Verantwortung zu nehmen, bleiben die prekären Produktionsverhältnisse jedenfalls so lange bestehen, bis das Gesetz endgültig in Kraft tritt. Auch für die Umwelt ist das europäische Lieferkettengesetz aus mehreren Gründen von Bedeutung:
- Das Gesetz zwingt Unternehmen dazu, ihre gesamten Lieferketten zu überprüfen und sicherzustellen, dass diese keine schwerwiegenden Umweltschäden verursachen. Dazu gehören beispielsweise die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch giftige Chemikalien, wie Lösungsmittel, die zur Reinigung in Textilwebereien verwendet werden, oder von unverantwortlicher Abfallentsorgung.
- Unternehmen müssen darauf achten, dass in ihrer Lieferkette Ressourcen nachhaltig genutzt werden. Das schließt eine nachhaltige Forstwirtschaft, einen schonenden Umgang mit Wasser und den verantwortungsvollen Abbau von spezifischen Mineralien wie Kupfer und Lithium sowie anderen wichtigen Rohstoffen wie Holz und Palmöl ein.
- Das Lieferkettengesetz kann dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, indem es Unternehmen verpflichtet, klimafreundlichere Praktiken entlang ihrer Lieferketten einzuführen. Dies kann den Übergang zu sauberen Energien und besseren Produktionsprozessen fördern.
- Das Gesetz fördert außerdem eine größere Transparenz in Lieferketten: Unternehmen müssen öffentlich Rechenschaft über ihre Umweltauswirkungen ablegen, was wiederum das Bewusstsein und die Verantwortung für umweltfreundlichere Praktiken steigert.
Ab wann gelten die neuen Vorschriften?
Der Gesetzgebungsprozess hat im Februar 2022 mit einem Vorschlag der Europäischen Kommission begonnen. Am 24. April 2024 hat das EU-Parlament in Straßburg trotz einiger Widerstände das neue EU-Lieferkettengesetz entgültig abgesegnet. Jetzt muss noch der Rat der Mitgliedstaaten zustimmen. Danach haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre lang Zeit, um die entsprechenden nationalen Gesetze zu beschließen. Die Länge der Übergangsphase hängt zudem von der Unternehmensgröße ab. Für kleinere Unternehmen ist eine zusätzliche Schonfrist vorgesehen, in der sie die Umsetzung der Vorschriften um ein Jahr hinauszögern können.
Das Gesetz gilt für alle Unternehmen, die in der EU aktiv sind
Das LKGS gilt prinzipiell für europäische Unternehmen und für Unternehmen, die aus “Drittstaaten” (Nicht-EU-Ländern) stammen und in der EU tätig sind. Ursprünglich sollte das Lieferkettengesetz bereits für Unternehmen ab 500 Beschäftigten mit einem globalen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr gelten. Italien und einige weitere Länder kritisierten diese Schwelle. Was zu einer Absenkung führte. Das im April 2024 angenommene Gesetz gilt nur für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Konkret sind folgende Unternehmen zur Einhaltung verpflichtet:
- Unternehmen mit 1.000 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro.
- In Risikobranchen mit erhöhten Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt (zum Beispiel in der Textilindustrie, Fischerei oder Landwirtschaft) gilt die Richtlinie ab 250 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von 40 Millionen
Sanktionen für Unternehmen: min. 5 Prozent des weltweiten Umsatzes
Wenn ein Unternehmen gegen die neuen EU-Vorschriften verstößt, drohen ihm ernsthafte Konsequenzen. Einerseits sind Schadensersatzforderungen möglich – andererseits können die jeweiligen nationale Aufsichten auch zu härteren Maßnahmen greifen. Dazu zählen etwa das öffentliche Anprangern der Firmennamen (“Naming and Shaming”) oder der Marktrückruf der Produkte. Durchaus üppig sollen auch Geldbußen ausfallen, die sich auf mindestens 5 % des globalen Nettoumsatzes belaufen können.
Unternehmen außerhalb der EU, die sich nicht an die Gesetze halten, müssen mit einem Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen im EU-Raum rechnen. Dies unterstreicht den hohen Stellenwert, den die EU auf die Einhaltung ethischer Geschäftspraktiken legt.
ÖVP stimmte gegen das Lieferkettengesetz
Bei der Abstimmung im EU-Rat im Dezember 2022 enthielt sich der damalige Wirtschaftsminister Kocher (ÖVP). In der EU wird eine Enthaltung meist als Ablehnung gedeutet. Das verärgerte sowohl Sozialpartner und Gewerkschaften als auch die Bevölkerung. Der Vorwurf: Kocher stehe auf der Seite der Industrie und verhindere dadurch eine nachhaltige und zukunftsweisende Wirtschaftspolitik. Bis dato hat Österreich im Gegensatz zu Deutschland kein eigenes Lieferkettengesetz verabschiedet. Die Regierung orientiert sich an der EU. Das bedeutet: Ein nationales Gesetz kommt erst, wenn die Richtlinie in Kraft tritt.
Deutschland ist Österreich bei der Sorgfaltspflicht der Lieferketten jedenfalls weit voraus. Denn die deutsche Bundesregierung hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 dazu verpflichtet, eine unternehmerische Sorgfaltspflicht per Gesetz festzulegen. Seit Anfang 2024 gilt das Gesetz in Deutschland nun auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Das deutsche Gesetz umfasst die Punkte:
- die Einrichtung betriebsinterner Zuständigkeiten,
- die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen,
- die Abgabe einer Grundsatzerklärung,
- das Einsetzen von Präventions- und Abhilfemaßnahmen,
- die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens sowie
- die Berichterstattung und Dokumentation über die eingeführten Maßnahmen.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überwacht die Durchsetzung des Gesetzes und verhängt gegebenenfalls Strafen. Das deutsche Lieferkettengesetz ist insgesamt allerdings weniger streng als das EU-Lieferkettengesetz. So bedeutet das EU-Gesetz für deutsche Unternehmen eine künftig strengere Rechtslage.
Was bedeutet das Lieferkettengesetz für Verbraucher:innen?
Durch das Gesetz werden Unternehmen stärker in die Pflicht genommen, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihrer Lieferkette geht. Verbraucher:innen können sich somit mehr darauf verlassen, dass Unternehmen für Verstöße zur Rechenschaft gezogen werden.
Kritik: Wer ist gegen das Lieferkettengesetz?
Das Lieferkettengesetz stößt nicht überall auf Zustimmung. Einige Wirtschaftsverbände und Unternehmen kritisieren eine hohe Bürokratie und damit verbundene Kosten. Georg Knill, Chef der Industriellenvereinigung (IV), nennt das Lieferkettengesetz gegenüber der Austria Presse Agentur (APA) gar “die nächste bürokratische Lawine, die auf uns losbricht.” Kritiker:innen befürchten, dass insbesondere kleinere Unternehmen die zusätzlichen bürokratischen Anforderungen schwer bewältigen können. Kritik kommt auch von einigen Handelspartnern außerhalb der EU, die in den Regelungen eine Einschränkung des freien Handels sehen. So befürchten zum Beispiel China und Indien, dass das LFKGS ihre Exporte einschränken könnte. Die USA sehen im Gesetz einen möglichen Verstoß gegen die Prinzipien der Welthandelsorganisation (WTO) und den internationalen Handel.
Greenpeace, Gewerkschaften & Arbeiterkammer kritisieren Gesetz als zu schwach
Kritik am Lieferkettengesetz gibt es auch von Organisationen, die prinzipiell für eine nachhaltige Herstellung und Umweltschutz sind. So zum Beispiel von NGOs wie Greenpeace, den Gewerkschaften und der Arbeiterkammer. Das Gesetz sei zwar ein wesentlicher Fortschritt, doch es gehe nicht weit genug. Besonders problematisch scheint die Befreiung kleinerer Unternehmen von den LFKGS Regelungen. Denn das wirftdie Frage nach einer gerechten Verantwortlichkeit auf. Gerade kleine Betriebe, die bereits nachhaltig arbeiten sind besorgt. Denn ein unausgewogenes Gesetz im Wettbewerb würde sie benachteiligen. Da ihre Konkurrenz durch die Ausnutzung von Schlupflöchern günstiger produzieren kann.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Ausnahme des Finanzsektors von den Regelungen, die beispielsweise von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian als “nicht nachvollziehbar” bezeichnet wurde. Darüber hinaus herrscht Unzufriedenheit über die Umsetzungsfristen, da das Gesetz – abhängig von der Unternehmensgröße – erst in drei bis fünf Jahren vollständig in Kraft treten wird. In Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels und der so dringenden Anpassung unserer Lebensweisen, ist diese Verzögerung katastrophal.
Fazit: Das Lieferkettengesetz ist gut für die Umwelt und die Arbeitnehmer:innen weltweit
Das Lieferkettengesetz ist notwendig, denn nur so schafft die EU die notwendige Wende hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Unternehmen werden bald mit verstärkten Anforderungen konfrontiert sein, während Verbraucher:innen endlich mit Zuversicht darauf blicken können, dass Produkte, die sie erwerben, tatsächlich unter ethisch vertretbaren Bedingungen hergestellt wurden.
Das Gesetz ist nicht nur ein Schritt in die richtige Richtung, sondern stärkt auch das Bewusstsein für problematische Herstellungsbedingungen und nachhaltigen Konsum. Sein Einfluss auf die Arbeits- und Umweltstandards weltweit stehen allerdings noch aus.
“Das Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Wirtschaft, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht – innerhalb der planetaren Grenzen. Am Jahrestag der Katastrophe (…) in Bangladesch haben wir nun endlich einen Schritt in Richtung mehr globaler Gerechtigkeit gesetzt”, erklärte Anna Leitner, Expertin für Lieferketten bei GLOBAL 2000, zum Beschluss des Lieferkettengesetzes im EU-Parlament im April 2024.
EU-Parlaments Vize-Präsidentin Evelyn Regner bekräftigte mit den Worten: “Unternehmen haben eine Verantwortung, so wie jede Privatperson auch”, und ÖGB Präsident Wolfgang Katzian lobte den Beschluss, denn “niemand möchte Produkte erwerben, die durch Kinder- oder Zwangsarbeit entstanden sind”.
Mit dem EU-Lieferkettengesetz ergreift die EU die Initiative, um wichtige Themen wie den Schutz von Arbeitnehmer:innenrechten und den Umweltschutz in der globalen Wirtschaft voranzubringen, und setzt damit einen wesentlichen Baustein für eine nachhaltigere Zukunft. Für Gewerkschaften, NGOs und alle, die auf eine gerechtere Welt hinarbeiten, ist das EU-Lieferkettengesetz der Anfang einer neuen Zeit. Eine Zeit, in der ethisches Handeln die Voraussetzung für eine Teilnahme am wirtschaftlichen Prozess darstellt.