In Finnland setzt die neue Regierung unter der sozialdemokratischen Premierministerin Sanna Marin auf Work-Life Balance, Investitionen in die Bildung und auf Sozialpartnerschaft. Sie lernt auch von ihrem Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Wir haben mit Jenni Karjalainen, einer Beraterin im Arbeitsministerium gesprochen, um mehr über die Pläne dieser finnischen Regierung zu erfahren.
Kontrast: Finnland litt in den letzten Jahren unter der Sparpolitik der Konservativen. Der Sozialstaat wurde abgebaut, die Gewerkschaften geschwächt und die Arbeitslosenunterstützung gekürzt. Die Sozialdemokraten haben im letzten Jahr den Premierminister zurückgewonnen und befindet sich nun in einer progressiven Regierung. Könnten Sie uns die Situation in Finnland beschreiben?
Karjalainen: Wir sind natürlich sehr froh, dass die Bürger uns ihr Vertrauen geschenkt haben und wir die letzte Wahl gewonnen haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass im Moment alles rosig ist. Obwohl wir Sozialdemokraten die Ministerpräsidentschaft gewonnen haben, führen wir eine Fünf-Parteien-Koalition an. Die Linksallianz, die Grüne Liga, die Schwedische Volkspartei und die Zentrumspartei sind ebenfalls Teil der Koalition. Die Zentrumspartei ist die Partei des früheren Ministerpräsidenten. Für sie war es nicht so einfach, sich in dieser neuen Regierung einzufinden.
Unsere größte Herausforderung ist derzeit die Anhebung des Beschäftigungsniveaus auf 75%. Das ist ein Schlüsselelement unseres Regierungsprogramms. Es geht darum, 60.000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen. Die Hälfte dieser Zahl soll bis zum nächsten Herbst erreicht werden. Deshalb muss die Regierung neue Gesetze auf den Tisch legen, um dieses Ziel zu erreichen. Das wird nicht leicht sein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ökonomen im Finanzministerium Einschnitte bei der sozialen Sicherheit und beim Arbeitsschutz als einen Weg zur Verbesserung des Beschäftigungsniveaus sehen. Für uns sind diese Maßnahmen natürlich die letzte Option. Als erstes wollen wir die öffentlichen Arbeitsmarkservice verbessern und die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, dem öffentlichen Arbeitsmarktservice und den privaten Unternehmen verstärken, damit jeder, der eine neue Arbeit sucht, den Service und die Unterstützung erhält, die er persönlich benötigt. Das ist besonders wichtig für Menschen, die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, wie z. B. ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen.
Kontrast: Die Work-Life Balance scheint in Finnland viel besser zu sein als in anderen europäischen Ländern. Dennoch diskutiert Ihre Regierung über weitere Verbesserungen. Was sind die größten Herausforderungen in diesem Bereich?
Karjalainen: Das nordische Work-Life-Balance-Modell scheint sowohl sehr effektiv als auch gleichzeitig sehr widerstandsfähig zu sein. Ein wichtiges Merkmal ist das hohe Niveau der Gleichstellung der Geschlechter. Sowohl Männer als auch Frauen gehen zur Arbeit und teilen sich Familien- und Haushaltsarbeiten. Auch wenn Väter die Karenz immer noch viel weniger in Anspruch nehmen als Frauen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist etwas, das bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehr wichtig ist.
Ein Bereich, in dem wir Verbesserungen anstreben, ist die Qualität der Arbeit. Die Qualität der Arbeit kann immer verbessert werden, und dies ist natürlich auch mit der Produktivität verbunden. Es gibt unzählige Studien darüber, dass Menschen, die Spaß an ihrer Arbeit haben, kreativer und innovativer sind. Als Folge davon steigt auch die Produktivität. Natürlich ist es schwierig, den Zusammenhang zwischen Arbeitsqualität und Produktivität zu quantifizieren.
Für diese Regierung sind Verbesserungen der Arbeitsqualität sehr wichtig. Deshalb haben wir ein Projekt zum Wohlbefinden am Arbeitsplatz, das wir gemeinsam mit unseren Sozialpartnern starten werden.
Ziel ist es, die Sozialpartner allen Sektoren der Industrie Dienstleistung in dieses Programm einzubinden.
Kontrast: Finnland ist ein wichtiges europäisches Technologie-Hub. Wie kann die Politik dazu beitragen, das Umfeld für Innovation und Kreativität zu verbessern?
Karjalainen: Unsere Partei ist der festen Überzeugung, dass unser größtes Kapital die finnische Gesellschaft ist. Wir haben ein funktionierendes Sozialsystem, das soziale Sicherheit, Bildung und Arbeit umfasst, um nur einige Punkte zu nennen. Darüber hinaus ist die Gleichstellung der Geschlechter, wie bereits erwähnt, von zentraler Bedeutung für die Work-Life Balance. Darüber hinaus ist die finnische Natur ein großes Kapital für uns. Auf unsere Gesellschaft und Natur müssen wir Acht geben. Voraussetzung dafür und für unseren wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt sind ein stabiles Sozial- und Wirtschaftssystem sowie ein effizienter und vertrauenswürdiger öffentlicher Dienst.
Eine Sache, bei der wir vor einigen Herausforderungen stehen, ist die Immigration. Wie alle anderen versuchen wir, globale Talente nach Finnland zu locken. Um diesen Prozess zu erleichtern, haben wir die arbeitsbasierte Einwanderungsgesetzgebung vom Innenministerium in das Ministerium für Arbeit und Wirtschaft verlagert. Jetzt versuchen wir eine engere Verbindung zwischen wirtschaftlicher Aktivität, Innovationspolitik und Beschäftigungspolitik herzustellen. Die Einwanderungspolitik wird enger mit diesen Politikbereichen verknüpft werden. Und natürlich versuchen wir, alle, die aus dem Ausland hierherkommen, in unsere Gesellschaft zu integrieren und dafür zu sorgen, dass sie hier in Finnland bleiben.
Dann gibt es natürlich auch verschiedene Forschungs- und Innovationsförderungen, die für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung stehen. Das Wichtigste ist aber vielleicht die Qualität des Bildungssystems. Wir brauchen florierende Universitäten, die attraktiv genug für globale Supertalente sind. Wir haben festgestellt, dass wir immer noch einige Probleme haben, wenn es um die Einstellung der Arbeitgeber gegenüber der Vielfalt ihrer Mitarbeiter geht. Hier in der nördlichen Ecke Europas erwägen nicht alle Arbeitgeber, als erste Option überhaupt jemanden einzustellen, der nicht ganz in der Norm liegt. Wie ich bereits erwähnt habe, sind auch die Senioren von dieser Einstellung betroffen. Wir haben eine Kampagne zur Vielfalt am Arbeitsplatz gestartet, um den Arbeitgebern klar zu machen, dass Vielfalt am Arbeitsplatz ein Schlüssel zur Förderung von Innovation und Produktivität ist. Wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Fähigkeiten zusammenarbeiten, ist das Endergebnis oft viel besser, als wenn man immer nur mit Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund und einer ähnlichen Ausbildung arbeitet.
Kontrast: Finnland hat ein viel beachtetes Experiment zur Einführung eines Grundeinkommens durchgeführt. Eine Gruppe von Arbeitslosen erhielt 560 Euro für zwei Jahre ohne jegliche Bedingungen, auch nachdem sie eine Arbeit gefunden hatten. Können Sie uns einige Details über die Ergebnisse dieser Idee und wie sie die Politik beeinflusst hat, mitteilen?
Karjalainen: Noch sind nicht alle Ergebnisse bekannt, die letzte Studie wird im Frühjahr dieses Jahres vorliegen. Aber ja, das Experiment mit dem bedingungsloses Grundeinkommen hat großes internationales Interesse geweckt. Meine Partei ist aber nicht für ein Grundeinkommen, sondern stattdessen für einkommensbezogene Sozialleistungen. Es gibt verschiedene Befürworter des Grundeinkommensmodells. Einige kommen von der rechten Seite des politischen Spektrums. Sie sagen, dass ein Grundeinkommen das System viel leichter verständlich machen würde. Meistens ist das Problem bei diesen Ideen, dass die Grundeinkommens-Befürworter aus dieser Gruppe das Niveau des Grundeinkommens so niedrig ansetzen würden, dass die Menschen damit große Schwierigkeiten hätten zu überleben. Die linke Seite geht von der Idee aus, dass die Menschen ein Mindesteinkommen haben sollten, von dem sie leben könnten, um leichter eine Arbeit zu finden, die ihren Fähigkeiten entspricht. Das Problem mit dieser Idee eines Grundeinkommens in der Höhe eines existenzsichernden Lohns ist, dass wir bereits an die Grenzen der öffentlichen Finanzen gestoßen sind. Es könnte leicht so teuer werden, dass der Staat es sich nicht mehr leisten kann.
Ich hoffe, dass wir aus diesem Experiment, das die Vorgängerregierung begonnen hat, nützliche Erfahrungen gewinnen werden. Ein weiteres Problem ist jedoch, dass das Projekt vorzeitig begonnen wurde und viele relevante Faktoren ausgelassen wurden, zum Beispiel die Auswirkungen auf andere Formen von Leistungen und das Steuersystem.
Kontrast: Aktuell gibt es in Finnland Streikdrohungen bezüglich der Verlängerung der Arbeitszeit, die unter der letzten Regierung eingeführt wurde. Offenbar sollen die Menschen 3 Tage länger arbeiten, ohne dass sie zusätzliches Geld erhalten. Worum geht es da genau und wie arbeitet Ihre Regierung an der Lösung des Problems?
Karjalainen: Die vorherige Regierung hat die Sozialpartner im Grunde genommen gezwungen, ihren Kollektivvertrag zu den von der Regierung vorgeschlagenen Bedingungen auszuhandeln. Wir als Sozialdemokraten versuchen uns nicht in die Verhandlungen der Sozialpartner einzumischen. Jetzt haben wir den ersten Kollektivvertrag, der ohne diese drei zusätzlichen Arbeitstage abgeschlossen wurde, die von der Vorgängerregierung verlangt wurden. Die anderen Gewerkschaften haben jedoch noch immer mit dem gleichen Problem zu kämpfen. Ich hoffe, dass wir nicht den Punkt erreichen werden, an dem die Regierung eingreifen muss. Denn wir haben sehr schlechte Erfahrungen mit Politikern gemacht, die sich in Arbeitsmarktverhandlungen einmischen. Das ist etwas, was den Sozialpartnern selbst überlassen bleibt.
Kontrast: Ihr Premierministerin hat während einer Diskussion im Sommer erklärt, dass wir die Arbeitszeit reduzieren sollten und erwähnte eine 4-Tage-Woche als interessante Option. Sind kürzere Arbeitszeiten ein Ziel der finnischen Sozialdemokraten?
Karjalainen: Sie meinte, dass wir angesichts der technologischen Entwicklung an eine Zukunft denken sollten, in der wir kürzere Arbeitszeiten haben. Die Idee von Ministerpräsidentin Sanna Marin war es, eine Zukunftsvision zu diskutieren. In unserem Regierungsprogramm wird die Verkürzung der Arbeitswoche nicht erwähnt, und nicht alle Regierungsparteien wären zu diesem Schritt bereit. Eine Vier-Tage-Woche könnte aber eine sozialdemokratische Vision für die Zukunft sein. Aber auch in unserer eigenen Partei gibt es dazu unterschiedliche Ansichten.