Seit 2015 arbeitet Adele Siegl beim Essenszusteller Foodora als Fahrerin. Anfangs gefällt es ihr gut, doch innerhalb weniger Monate verschlechtern Klima und Arbeitsbedingungen. Siegl und ihre Kollegen schließen sich zusammen. Sie wollen einen Kollektivvertrag und höhere Löhne. Jetzt ist Siegl Vorsitzende im Foodora-Betriebsrat und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen. Wir haben mit ihr über das Unternehmen, die Arbeit und die Widerstände gesprochen.
Adele Siegl hat im Oktober 2015 begonnen, als Rider, also Fahrrad-Zustellerin für den Essenlieferanten Foodora zu arbeiten. “Wie die typische foodora-Fahrerin hatte ich dringend einen Job gesucht und Fahrradbotin war schon länger ein vorstellbarer Job für mich”, sagt Siegl.
Am Beginn ist Siegl mit den Arbeitsbedingungen zufrieden: 8,50 Euro Stundenlohn, das Unternehmen bezahlt Rad-Reparaturen und die nötige Schutzkleidung, wie Winter-Radhandschuhe, Regenhosen und Gamaschen. Schnell steigt sie zum Rider Captain auf und lernt die Unternehmens-Struktur von innen kennen. Außerdem ist sie für das Recruiting, also das Anwerben von neuen Fahrern zuständig.
Mitarbeiter werden am Handy getrackt, Löhne gesenkt
Rasch verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen im Start-Up. Im Herbst 2015 werden viele Fahrer eigestellt, die Auftragslage ist gut. Doch im Frühjahr 2016 gibt es weniger Bestellungen als gedacht und damit zu viele Fahrer für zu wenige Aufträge.
“Das war nicht nur eine Konsequenz des schönen Wetters, sondern auch der wachstumsorientierten, aber schlampigen und rein quantitätsorientierten Einstellungspolitik im Winter”, erklärt Siegl. Das Unternehmen will Beschäftigte loswerden. Es trackt fortan die Mitarbeiter per App, bewertet ihre “Performance” und entscheidet anhand der Daten, wer gehen muss. Ein neues Lohnschema wird eingeführt, die Löhne sinken. Das Lohnschema für Angestellte, das bis 2016 nach Stundenausmaß gestafffelt war, wird an den Kollektivvertrag für Kleintransport angeglichen. Für viele bedeutet das eine effektive Lohnkürzung.
Weder Schutzausrichtung noch Versicherung
Menschliche Ansprechpartner verschwinden, stattdessen entscheidet plötzlich eine App per Algorithmus über Dienst-Einteilungen. Zusteller gehen und werden gegangen.
„Das Arbeitsrecht wurde immer wieder ignoriert. 2016 gab es weder korrekte Feiertagsentlohnung, noch Pausen, eine Versicherung oder eine Entschädigung für Materialverschleiß. Später im Winter wurde auch keine Schutzausrüstung mehr zur Verfügung gestellt”, kritisiert Adele Siegl.
Es gibt erste Gespräche, einen Betriebsrat zu gründen. Doch die Fluktuation unter den Fahrern ist hoch, Verbündete kündigen. Auch die Arbeit als Rider Captain, die mit dem Betreuuen von Fahrern einhergeht, wird unangenehmer. “Die Entwicklungen, die in Form von Kürzungen auf Rider-Seite mit dem rasanten Wachstum des Unternehmens einhergingen, machten den Job nicht gerade einfach”, sagt Siegl.
Die Foodora-Fahrer schließen sich zusammen – auf WhatsApp
2016 beginnen die Beschäftigten, sich per WhatsApp-Gruppen zusammenzuschließen. Sie halten Treffen ab, besprechen ihre Arbeitssituation. Noch gibt es eine foodora-Garage, die als Treffpunkt dient. Im Herbst 2016 erfahren sie, dass auch der letzte Ort der persönlichen Begegnung geschlossen wird. Adele Siegl und ihre KollegInnen richten eine geheime Gruppe ein, treffen sich fortan in einem „verwegenen Kellerlokal“ – und kontaktieren die Gewerkschaft vida. Alle Infos von dort teilen sie in der WhatsApp-Gruppe.
„Das Rider Management wurde nervös und witterte den Aufruhr. Es wurden einzelne Spaziergänge mit möglichen Verdächtigen unternommen, um etwas über diese WhatsApp-Gruppe herauszufinden. Niemand gab zu, irgendetwas zu wissen”, sagt Siegl.
Die Rider machen weiter. Das Ziel? Ein Betriebsrat, ein Kollektivvertrag – und damit höhere Löhne. Auch in anderen Ländern schließen sich Fahrrad-Zusteller zusammen. In England und Deutschland formierten sich Rider mit dem IWW und der FAU zum Netzwerk DeliverUnion, das die Arbeitsbedingungen bei Deliveroo beklagte. In Malmö luden Rider gemeinsam mit der Gewerkschaft Örestad Ls zu einem Treffen ein. Viel früher gab es bereits Proteste und Streiks in Turin.
Foodora: „Ein Betriebsrat passt nicht zum Geschäftsmodell“
Anfang 2017 macht das Foodora-Management in Berlin Druck und droht mit Massenkündigungen. „Der Standort, der einen Betriebsrat gründet, wird geschlossen“, heißt es.
„Das Management erklärte uns, dass Foodora ein dynamisches Tech-Unternehmen sei und ein Betriebsrat würde nicht zum Geschäftsmodell passen, weil er nur Prozesse verlangsamen würde“, erinnert sich Siegl.
Die angekündigte Betriebsversammlung findet dennoch statt und die Rider wählen im April 2017 einen Betriebsrat. Die Reaktion des Unternehmens folgt prompt: An einem einzigen Tag werden 70 Beschäftigte gekündigt. Die neuen Kollegen, die binnen kurzer Zeit angeheuert werden, kennen weder die Geschichte der Monate zuvor noch das Team im Betriebsrat, das jetzt eine Betriebsvereinbarung fordert. Die soll den Druck auf die Rider mildern, deren Daten und Leistungen ständig über GPS-Tracking gespeichert und ausgewertet werden. Die Geschäftsführung ist alles andere als kooperativ.
Im Juni 2017 gründet sich auch in Köln ein Betriebsrat. Adele Siegl und ihre Kollegen stellen Kontakt her und tauschen sich per Chat aus. Gegen Ende des Jahres 2017 gibt es auch Vernetzung mit Ridern und Gewerkschaften aus Deutschland, Finnland, Norwegen, den Niederlanden, Griechenland, Italien und Frankreich.
2018 und unzählige Meetings später gibt es noch immer keinen Kollektivvertrag und keine Betriebsvereinbarung. Das Team des Betriebsrats ist erschöpft, kämpft aber weiter.